Literatur Das dramatische Genthiner Eisenbahnunglück von 1939 macht auch heute noch betroffen
Christine Schreiber vom Heimatverein Parey stellt Gert Loschütz „Besichtigung eines Unglücks“ im Lesecafé der Bibliothek Parey vor. Das Buch erinnert an den schwersten Zugunfall der deutschen Geschichte.
Parey - Wie ein schweres Unglück in Literatur verwandelt werden kann, zeigt der aus Genthin stammende Schriftsteller Gert Loschütz in seinem 2021 erschienen Roman „Besichtigung eines Unglücks“. Im Lesecafè in Parey wurde das Buch vorgestellt.
Die Zuhörer, unter anderem vom Pareyer Seniorenrat, im Lesecafé der Pareyer Bibliothek waren sichtlich betroffen von den Ausschnitten, die sie unter anderem von Christine Schreiber vom Heimatverein Parey und von Schauspieler Oliver Orbansky (vom Band) zu hören bekamen.
Dabei hörten sie auch, dass der Autor des Buches, Gerd Loschütz, durch einen Zufall von dem schweren Eisenbahnunglück erfahren hatte. „Sein Weg führte in dann für Recherchen in das Genthiner Stadtarchiv. Da er dort nicht viel fand, recherchierte er im Magdeburger Kriminalarchiv und im Archiv der Reichsbahn weiter“, informierte Christine Schreiber.
Es ist bis heute das schwerste Eisenbahnunglück in Deutschland. Zwei Tage vor Heiligabend kamen 278 Menschen ums Leben. 453 wurden verletzt.
Verkettung vieler Umstände führen zum Unglück
Es war eine Verkettung menschlichen Versagens und unglücklicher Umstände, die zur Katastrophe führten. Durch das Aus- und Einsteigen vieler Fahrgäste in Potsdam und Brandenburg sowie durch einen vor ihm fahrenden langsamen Militärzug summierte sich die Verspätung des pünktlich gestarteten D10 bis Genthin auf etwa 27 Minuten. Der nachfolgende D180 war eine halbe Stunde später von Berlin aus auf gleicher Strecke losgefahren. Er stoppte nur kurz in Potsdam.
So verringerte sich der Abstand zwischen den beiden Zügen schnell. Unmittelbar vor Genthin nahe Kade übersah der Lokführer des D180 ein Vorsignal und fuhr in den für ihn eigentlich gesperrten Streckenabschnitt. Auch das kure Zeit später folgenden Haltesignal überfuhr er.
Die Sicherheitstechnik der elektro-induktiven Anlage, die nach einem Fehler eine automatische Zwangsbremsung auslöste und die es auch vor 83 Jahren schon gab, fehlte in der Dampflokomotive des D180. Sie war zu Reparaturzwecken ausgebaut worden.
Auch Prozesse brachte kein Licht ins Dunkel
Die Zeitungen berichteten 1939 nur wenig über das Unglück, Zahlen wurden aus Geheimhaltungsgründen nur zögerlich veröffentlicht. In offiziellen Mitteilungen und Statistiken wurde die Tragödie nur beiläufig erwähnt. Deshalb blieb für die Öffentlichkeit auch lange unklar, wie es zu dem Unglück kommen konnte.
Wirklich Licht in das Dunkel der Umstände, die zur Katastrophe führten, brachte auch der Prozess gegen den Lokführer des D180 nicht. Warum er die Signale in der Stellung „Freie Fahrt“ erkannt haben will, konnte er nicht erklären.
War er von giftigen Kohlenmonoxid-Gasen beeinträchtigt und nicht voll handlungsfähig? Hatte seine Konzentration nach 14 Stunden Dienstzeit vor dem Unglück nachgelassen? Geklärt wurde das nicht. Der Lokführer wurde 1940 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Unglücks-Lok war nach der Generalüberholung im Jahr 1964 noch bis in die 1970er Jahre in Betrieb.
Dekmal erinnert an die Ereignisse im Dezember 1939
„Besichtigung eines Unglücks“ ist ein feinsinniges, sprachlich genau gearbeitetes und spannendes Buch, das frei von Sensationsspekulationen Zeitgeschichte und literarisches Erzählen miteinander verbindet. Im November 2021 erhielt der Autor für das Buch den mit 30.000 Euro dotierten Wilhelm-Rabe-Preis der Stadt Braunschweig. Der Roman stand in der „Longlist“ der 20 besten Bücher 2021 des Deutschen Literaturpreises 2021.
Das Buch von Gert Loschütz: „Besichtigung eines Unglücks“ ist im Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main, im Jahr 2021, 332 Seiten, erschienen. Am 13. Dezember diesen Jahres erscheint das Buch auch als Taschenbuchausgabe.