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Geburtstag Der Ehrenbürger und frühere Genthiner Pfarrer Willi Kraning wird 90 Jahre alt.

Von Mike Fleske 23.04.2021, 15:44
Der Wendepfarrer und Genthiner Ehrenbürger Willi Kraning
Der Wendepfarrer und Genthiner Ehrenbürger Willi Kraning Simone Pötschke

Genthin

Wahrscheinlich wird es am 24. April kaum einen Menschen in Sachsen-Anhalt geben, bei dem das Telefon, bei dem die Türglocke häufiger läutet als bei Willi Kraning. Denn heute wird der Ehrenbürger der Stadt Genthin und Pfarrer im Ruhestand 90 Jahre alt. Zwar lebt er seit einigen Jahren in Barleben, aber sein Name bleibt in Genthin untrennbar mit der Zeit der politischen Wende der Jahre 1989/90 verbunden.

Sein Leben bis heute: Bewegt. Kraning wird 1931 in Hagen geboren und wächst in schwierigen Zeiten des Nationalsozialismus heran. Früh bildet sich bei ihm eine politische Meinung heran. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist ihm klar: Der Frieden ist ein hohes Gut und muss von jedem Einzelnen verteidigt werden. Deshalb will er mit 17 Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) werden, um etwas für ein friedliches Deutschland tun.

Übersiedlung von der Bundesrepublik in die DDR

Ernüchtert durch die Berlin-Blockade 1948, meldet sich Kraning im Priesterseminar Paderborn an, weil er etwas Gutes für die Menschen tun will. Und macht dann einen ungewöhnlichen Schritt: Er siedelt von der Bundesrepublik in die Deutsche Demokratische Republik über, meldet sich für den priesterlichen Dienst im Kommissariat Magdeburg.

Für ihn eine Entscheidung, die ihm ganz persönlich einiges abverlangt. Nach dem Mauerbau 1961 kann er bis zum Tod seines Vaters 1978 nicht in seine Heimat reisen. „1958 habe ich keinen Reisepass mehr bekommen. Dann kam das Angebot, dass ich zwar ausreisen, aber nicht wieder einreisen durfte, doch das wollte ich nicht“, erinnerte sich Kraning einmal im Gespräch mit der Volksstimme. 1956 wird Kraning in Magdeburg zum Priester geweiht, wird Seelsorger in Zeitz und Ostrau. Ab 1970 ist Kraning Pfarrer in Schönebeck und 1987 Pfarrer der St. Marien-Gemeinde in Genthin. Die Zeichen der Zeit stehen auf Veränderungen.

An die sich überstürzenden Ereignisse 1989 erinnert er sich noch wie heute. Besonders das erste „Gebet für die gesellschaftliche Erneuerung“ am 25. Oktober 1989 sei für ihn ein einschneidendes Erlebnis gewesen. An die 1000 Menschen hatten sich damals in der Marien-Kirche versammelt, viele unter ihnen auch Nichtchristen.

Organisator von friedlichen Protesten im November 1989

Obwohl er zu mancher Zeit auch Angst gehabt habe, weil ihm vorgehalten wurde, illegale Zusammenkünfte zu organisieren, habe der spürbare Wille der Menschen, die sich den Gebeten anschlossen, ihn bestärkt. „Nachher waren es 6000 und unsere Kirche reichte nicht mehr aus, so dass wir in die evangelische Kirche wechselten“, so Kraning.

Nach Gesprächen mit der Partei- und Kreisführung sei sogar von dieser Seite die Lautsprecheranlage organisiert worden. Ebenso bewegend sei gewesen, als sich zunächst die Partei und schließlich auch die Staatssicherheit den Fragen der aufgewühlten Menschenmenge stellten. „Manchmal dachte ich, die Situation könne kippen, aber zum Glück blieb alles friedlich“, so Kraning. Es sind Tage und Monate in denen sich sein Name untrennbar mit der Stadt Genthin verbindet.

„Willi Kraning war und ist für mich ein Mensch von einem unglaublichen Gestaltungswillen - verbunden mit einer ebenso ausgeprägten Gestaltungsfähigkeit“, blickt Thomas Begrich, 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Genthin und damaliger Verwaltungsleiter des Johanniter-Krankenhauses, zurück. Dabei gehe es ihm immer um die Menschen, nie um sich selbst.

Beteiligt an der Schaffung von sozialen Einrichtungen in der Stadt

Der heutige Pfarrer der St.-Marien-Gemeinde Stephan Donath sagt: „Für die, die ihn in dieser Zeit erlebt haben, ist er ein 'Begriff', was ja auch an den vergangenen Jubiläen immer gewürdigt wurde.“ Kranings Initiative seien auch die „Leuchttürme“ der Gemeinde zu verdanken: „Caritas-Sozialstation, Kita Sonnenschein und Thomas-Morus-Haus.“

Die Kita, ein besonderes Anliegen. „Pfarrer Willi Kraning ist ein großartiger Mann“, hatte die frühere Leiterin der Einrichtung Gabriele Nitsche einmal gesagt. „Er hatte 1991 die Idee, eine integrative Kindereinrichtung zu schaffen, die offen für alle Kinder ist, ob getauft oder nicht getauft, ob behindert oder nicht behindert.“ Ein Credo, dass auch heute noch Bestand hat. In den Jahren nach der Wende ist Pfarrer Kraning ein Motor der Stadt. Fördert und fordert, begründet im November 1989 die Genthiner SPD mit.

„Er hat damals gesagt, die Wende ist da, nun seid ihr gefordert und hat uns in die Verantwortung genommen“, erinnert sich Marianne Renusch, SPD-Mitglied und frühere Leiterin der Caritas-Sozialstation. „Wir haben uns auch aufgrund seines Engagements in Stadt- und Ortsräten engagiert.“ Bernhard Horn, nach den ersten freien Wahlen in Genthin im Jahr 1990 für ein Jahr SPD Bürgermeister hat es einst so zusammengefasst: „Die Geschichte der SPD in Genthin ist ein wichtiges Kapitel der Stadtgeschichte.“

Frage nach Kirchenorgel bricht das Eis

Verbunden in der Aufbauphase auch mit Willi Kraning, der sich in der Nachwendezeit weiter als Brückenbauer etabliert. Hartmut Glöckner, von 1992 bis 1994 Bürgermeister in Genthin erinnert sich: „Als ich damals nach Genthin kam, waren die Vorbehalte in der SPD gegen mich sehr groß und als ich mich bei Willi Kraning vorgestellt habe, war auch er zurückhaltend.“

Doch eine besondere Frage schlug eine Brücke: „Darf ich dann und wann auf Ihrer Kirchenorgel spielen?“, wollte Glöckner wissen und brach das Eis zwischen den Beiden. Später seien sie Vertraute und Freunde geworden. Glöckner und Kraning sind sich einig, dass etwas gegen die vorherrschende Perspektivlosigkeit der Jugend getan werden muss und so entsteht das Morus-Jugendhaus unter Trägerschaft der katholischen Kirche.

„Ich habe mich damals auf die Stelle des Jugendhausleiters beworben, ohne Vorbildung in der Jugendarbeit, ohne Konfession“, erinnert sich Bernd Neumann. Doch Kraning sagt: „Das spielt keine Rolle, erzählen Sie, wie Sie sich Ihre Arbeit vorstellen.“ Das tut Neumann überzeugend, wird eingestellt, darf seine Fachausbildung nachholen und ist zwei Jahrzehnte lang erfolgreich Jugendhausleiter. Da ist er wieder - der Pfarrer als Brückenbauer.

Name im kollektiven Bewusstsein verankert

1997 wird Willi Kraning Ehrenbürger der Stadt Genthin - für seine Verdienste beim friedlichen Übergang der Wendezeit. Der amtierende Bürgermeister Matthias Günther wird den Jubilar heute besuchen. „Er ist ein Mann, der die Stadt Genthin prägte und sich damit einen Platz im kollektiven Bewusstsein der Stadt geschaffen hat“, sagt Günther.

Kraning bleibt Genthin verbunden, auch wenn er seit 1995 bei Magdeburg lebt. 2001 geht er in den Ruhestand, bleibt aber residierender Domkapitular. „Er ist eine starke Persönlichkeit, der sich immer für die Mitwirkung der Menschen in der Kirche eingesetzt hat“, sagt Susanne Sperling, Sprecherin des Bistums. Kraning bleibt ein Gestalter und Vorbild für viele.