Leerstand in Genthin: Eine Bestandsaufnahme Die Innenstadt braucht mutige und kreative Ideen
Genthin l In der Genthiner Innenstadt stehen unübersehbar Geschäfte leer. Die Händler der langjährig bestehenden Geschäfte beobachten ein Kommen und Gehen. Konzepte sind gefragt.
Eisessen und Kaffeetrinken, Kinderspielzeug kaufen, ein schönes Buch und ein nettes Geschenk besorgen. Dann bequeme Schuhe und ein hübsches Oberteil aussuchen. Alles möglich in der Genthiner Innenstadt und dennoch finden sich in den Ladenzeilen rund um den Markt Lücken. In der Brandenburger Straße 32, 47, 51, 60, 62, der Mühlenstraße 5, 12 und in der Marktstraße 8 finden Passanten leere Schaufenster mit "Zu vermieten"-Schildern, verstaubte Scheiben oder blanke Regale.
Willi Bernicke (27), Hausverwalter des Gebäudes in der Brandenburgerstraße 51, sieht das Problem für die Innenstadt in den Centern und Einkaufspassagen, die Händler und Kunden aus dem Genthiner Stadtzentrum ziehen. Außerdem traue sich niemand, sich selbstständig zu machen, meint der junge Hausverwalter, der schon über passende Konzepte nachgedacht hat. Einem Bio-Lebensmittelladen würde er eine Chance geben, aber Konkurrenz ist schon mit dem Bio-Sortiment der umliegenden Supermärkte oder der Drogerie vorhanden.
Für größere Ketten, wie beispielsweise ein Fast-Food-Restaurant, ist Genthin zu klein, sagt Petra Bensch (55). Die Maklerin, die unter anderem die Geschäfte in der Brandenburger Straße 60 und 62 betreut, hat in den letzten 20 Jahren schon etliche Läden kommen und gehen sehen. Problematisch sei auch die Größe und Tiefe des Geschäftes der Nummer 60. Nicht jedes Konzept passe in jeden leeren Laden. "In der Brandenburger Straße hat sich schon einiges getan", sagt die Kennerin des Immobilienmarktes und meint damit die zahlreichen Schönheitsreparaturen und Fassadenarbeiten, die seit der Wende das Stadtbild verbessert haben. Auch sie würde sich einen kleinen Lebensmittelladen, ähnlich einem Hofladen mit Eigenproduktion, für die Innenstadt wünschen.
All jene Händler, die schon etliche Jahre in der Genthiner Innenstadt arbeiten, haben sich mit Ausdauer eine Stammkundschaft aufgebaut. So wie Cornelia Rüdiger, Inhaberin des Strickcafés in der Brandenburger Straße 19, die das Geschäft seit 15 Jahren führt und seit 2010 am jetzigen Standort betreibt. Mit den unterschiedlichen Wollarten und verschiedenen Kurzwaren ist der Laden in Genthin die erste und einzige Adresse für Strickwaren. Die Geschäftsführerin, in deren Laden sich die Stammkundschaft regelmäßig zum gemeinsamen Stricken und Häkeln trifft, ist mit dem Geschäft zufrieden und wird im September nach Magdeburg expandieren. Ein bisschen mehr bummeln müsse man in Genthin können, wünscht sich die Parchenerin, die ihre Kundschaft schnell und selbstbewusst bedient.
Der Buch- und Schreibwarenladen von Manfred Schreiber und seiner Frau in der Brandenburger Straße 56 ist einer der wenigen, die schon seit der Wende bestehen. Aus den Tagen Anfang der Neunziger finden sich noch das Fotogeschäft, der Uhrmacher, der Jeansladen und das Modegeschäft direkt nebenan. "Ein Ende meines Ladens sehe ich noch lange nicht", meint Schreiber. Allerdings muss der 59-Jährige auch 50 Stunden in der Woche arbeiten, damit die Geschäfte weiter laufen.
Anders ist es bei Schuhverkäufer Erwin Kunert. Der 76-Jährige wird nach 15-jährigem Bestehen sein Schuhgeschäft altersbedingt im nächsten Jahr aufgeben. Welcher Händler dann in den Laden am Markt ziehe, steht noch nicht fest. "Er wird wohl leer bleiben", prognostiziert Kunert. Für ihn sind die fehlenden Parkmöglichkeiten in der Innenstadt auch Grund für fehlende Kundschaft rund um den Genthiner Marktplatz. Unweit entfernt, in der Mühlenstraße 5, steht der ehemalige Blumenladen seit gut einem Jahr leer. Der Immobilienkaufmann und Vermieter des Geschäftes, Olaf Schmeichel, denkt mittlerweile an Rückbau. "Auch wenn es der Struktur der Stadt nicht guttun würde", sagt der gebürtige Genthiner. Aber Wohnungen bieten langfristig mehr Aussichten auf Erfolg.
Ideen sind also gefragt. Bürgermeister Thomas Barz wünscht sich einen Herrenausstatter oder Schneider. In die Innenstadt passe seiner Meinung nach alles, was man schnell tragen kann. Also keine Supermarktketten für den Wochengroßeinkauf oder Elektrogroßmärkte. Außerdem sind die Genthiner als Kunden gefragt: "Wer ein Herz für seine Stadt hat, kauft hier", so Barz. Für eine schöne Innenstadt sollen Autos bewusst auf Abstand gehalten werden. Die Stadtverwaltung verzeichnet seit 1990 3358 Gewerbeanmeldungen für die Stadt Genthin. Einen Trend zu mehr oder weniger Anmeldungen könne man nicht feststellen. Das bliebe ein Zahlenspiel, so die Stadtverwaltung, weil viele Gewerbe von anderen Gewerbetreibenden übernommen werden oder Gebäude neu genutzt werden.
Auch in Genthins Partnerstadt, Datteln in Nordrhein-Westfalen, macht man sich über die Belebung der Innenstadt Gedanken. Stadtsprecher Dirk Lehmanski ist von der Attraktivität der Fußgängerzone überzeugt: "Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass rund 30 Prozent der Kunden in der Innenstadt extra aus dem Umland kommen." Das liege auch an der Werbegemeinschaft der 37000 Einwohner zählenden Stadt Datteln. Stephan Bröcker (47), Inhaber eines Raumausstattungsgeschäfts in der Fußgängerzone, ist Vorstandsvorsitzender der Werbegemeinschaft, einem Zusammenschluss aus zirca 100 Mitgliedsbetrieben in der Innenstadt der ehemaligen Bergbaustadt. Als Interessengemeinschaft bemühen sich die Händler, die Attraktivität der Gegend zu verbessern und veranstaltet gemeinsam verkaufsoffene Sonntage oder Stadtfeste, die auch die Kundenbindung fördern. "Nur ein Zusammenhalt der Händler bringt die Leerstände weg", so der 47-Jährige. Auch Neuinteressenten könnten sich mit einer Geschäftsidee an die Werbegemeinschaft wenden, um Unterstützung zu bekommen.
Altbürgermeister Wolfgang Bernicke, der die ehemalige Interessengemeinschaft Genthiner Kaufleute mitgegründet hat, sieht eine Belebung der Genthiner Innenstadt stark abhängig von der Weiterführung der Leitbild-Aktion, die die Aufgabe des Stadtmarketingvereins übernommen hat. Ihm fehle in der Innenstadt ebenfalls ein Lebensmittelgeschäft.
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