Heimatfotorätsel-Auflösung: Dr. Wolf-Dieter Klassert kann die ganze Geschichte des markanten Eckhauses am Markt in Genthin erzählen
Beim Heimatfotorätsel war diesmal ein markantes Eckhaus am Markt in Genthin gesucht. Alle Anrufer und Mail-Schreiber wussten Interessantes dazu zu erzählen. Besonders der Urenkel des Erbauers.
Genthin - Mit diesem Foto zu unserem Heimaträtsel haben wir ungeahnt ins Schwarze getroffen. Denn als erster meldet sich am Sonnabend am Telefon Dr. Wolf-Dieter Klassert. Er ist der Urenkel desjenigen, der das markante Eckhaus am Genthiner Markt um 1900 mit den roten Ziegeln einst hat erbauen lassen. Der heute 78-jährige Klassert kann die komplette Geschichte des Hauses erzählen.
Klasserts Urgroßvater mütterlicherseits Hermann Burckhardt, geboren 1843 in der Genthiner Mühlenstraße, war Webermeister. Nach der Gründung des Deutschen Reiches und Berlin als Hauptstadt 1871, schreibt Klassert, setzte dort ein Bauboom ein verbunden mit starker Nachfrage nach Ziegelsteinen. Durch die günstige Lage am Elbe-Havel-Kanal wurde auch Genthin davon erfasst. Es entstanden auch in Genthin viele Ziegeleien. Hermann Burckhardt habe sich mit seinem Kapital an mehreren Ziegeleien beteiligt.
Eigene Ziegelei, eigene Schiffe
1885 gründete Burckhardt seine eigene Ziegelei in der heutigen Ziegeleistraße in Genthin. Die - direkt am Kanal gelegen - hatte einen eigenen Hafen. Die für die Steineproduktion benötigte Erde bezog die Ziegelei aus einem eigenen Erdloch in Parey. Die fertigen Steine wurden per Kahn nach Berlin geliefert. Man hatte dazu auch eigene Schiffe. Als Warenzeichen wurde „Burckhardt Rathenow“ geführt, da das damals Standardabmaße und Qualität garantierte.
Etwa 1900 war Hermann Burckhardt so vermögend, das er direkt am Genthiner Marktplatz mehrere kleinere Grundstücke kaufen konnte und das abgebildete Haus am Markt Nr. 7 für sich und seine Familie mit fünf Kindern bauen konnte. Nach dem Tod Hermann Burckhardts erbte sein Sohn Ernst Burckhardt Haus und Ziegelei. Ernst war Stadtverordneter in Genthin. In der Funktion zeichnete er gemeinsam mit dem Genthiner Sparkassendirektor das Notgeld, herausgegeben von der Stadt Genthin in der Inflation 1921. In den letzten Kriegstagen erhielt das Haus einen Granateinschlag im Dach.
Im Mai 1945 übergab Ernst Burckhardt als Vertreter der Stadt gemeinsam mit dem Polizeichef von Genthin die Stadt an die Sowjetarmee. Er und seine Frau Hanna mussten das Haus verlassen, es wurde Sitz des sowjetischen Militärkommandanten. Sie erhielten eine kleine Wohnung im Meisterhaus der Ziegelei. Dort starb Ernst 1950. Die Ziegelei wurde enteignet. Zunächst wurde sie unter die sowjetische Militäradministration gestellt, später nach Gründung der DDR 1949 unter kommunale Verwaltung. Durch falsche Bedienung wurde das Herzstück der Ziegelei, der Ringofen, zerstört. 1951 wurde das Haus und die Ziegelei an Familie Burckhardt zurück übertragen. Die Ziegelei konnte nur noch abgerissen werden. Die Schiffe wurden verkauft.
Kleiderfabrik, Zahnarztpraxen, Wohnungen
Das Haus war nach dem Abzug der sowjetischen Kommandantur aufgeteilt in Wohnungen, eine Kleiderfabrik und Zahnarztpraxen. Hanna Burckhardt erhielt 1952 ein kleines Zimmer mit einem kleinen Flur. Sie war verantwortlich für die Reinigung vor und im Haus und die Reparaturen. Die Mieteinnahmen deckten bei weitem nicht die Kosten. Kurz vor ihrem Tod fand sie noch eine Käuferin. Die überließ das Haus bald der Stadt Genthin. Nach der Wende 1990 stellten die Erben der letzten Käuferin einen Rückübertragungsantrag und erhielten das Haus von der Stadt reparaturbedürftig zurück. Sie veräußerten as Haus an Investoren, die es in den heutigen Zustand versetzten.
Sieglinde Göbel schreibt: „Soweit ich weiß, war die Lebenshilfe Genthin mit einer Werkstatt für betreute Mitarbeiter in diesem Haus". Dann sei es zum Wohnhaus umgebaut worden und Sieglinde Göbels Schwiegermutter wohnte dort lange Zeit. Alles, was auf dem Markt passierte, konnte sie verfolgen und bei den Markttagen sei sie natürlich schnell vor Ort gewesen.
Alfred Jansky hat, wie er schreibt, in diesem Haus, der Burkhardschen Villa, viele Jahre seiner Kindheit verbracht: „Die Handwerkskammer, ein Zahnarzt Kähne, die Schneiderei Paul Glaw und eine Kanzlei waren hier zu Hause. Auf dem Hof wohnten Gamalskis. Wir hatten ein Zimmer mit Blick auf das Schuhgeschäft Wagenfeller und den Uhren- und Schmuckwarenladen Sonnemann in der Kleinen Marktstrasse“. Die Mitarbeiterinnen der Firma Glaw hätten ihre Fahrräder auf dem Hof oder im Haus abgestellt. Möglichkeit für Alfred und seine Freunde, sich diese Fahrräder zu greifen, da sie eine eigenen hatten, um das Fahrradfahren zu lernen. Er habe aber nicht nur Fahrrad fahren gelernt, sondern auch, dass man fragen sollte, wenn man fremdes Eigentum benutzen möchte.
Elektro-Heizungsanlage mit Nachtspeicheröfen
Herbert Busse, gelernter Maler, heute 70, erinnert sich an den Zahnarzt Dr. Schwarzlose. „Zu dem haben wir Kinder uns nur getraut, wenn wir zu fünft waren“, weiß er noch. Denn die Geräusche, die damals aus der Praxis gedrungen seien, waren sehr viel furchteinflößender als heute. Archibald Severin, heute 88, kennt die Glawsche „Kleiderbude“, in der seine Mutter als Näherin und Direktrice gearbeitet habe. Und Günther Müller hat zu DDR-Zeitenhier mit seinen Mitarbeitern eine Elektro-Heizungsanlage mit Nachtspeicheröfen eingebaut, für das ein Kabel von der Mühlenstraße aus gelegt werden musste. Müllers Schützling Gernot Kleinschmidt lieferte damit sein Meisterstück ab.
Als Gewinner des Überraschungspreises wurde Wolf-Dieter Klassert auserkoren. Er kann in der Redaktion, Magdeburger Straße 10, abgeholt werden.