Barbara und Thomas Koerver geben auf dem Gnadenhof Pferden, Eseln, Hühnern, Ziegen ... ein Zuhause Ein bisschen Frieden mitten in Schlagenthin
Ein Platz, an dem alte Tiere ein Zuhause finden. Ein Ort, an dem Pferde grasen, die niemand wollte. Ein Fleckchen Erde für Hühner mit gebrochenen Beinen. Was sich anhört wie eine Immenhof-Beschreibung, gibt es in Schlagenthin wirklich. Auf dem Gnadenhof der Koervers.
Schlagenthin l Kaltblutstute Tara wirft durch das Fenster einen Blick in den Unterstand auf ihrer Koppel in Schlagenthin. Das Holz wirkt gemütlich, das frische Stroh verstärkt diesen Eindruck. Tara entscheidet sich trotzdem gegen den Stall. Das Wetter ist einfach zu schön, um den Tag drinnen zu verbringen. Mit der Schimmelstute Luna liefert sie sich stattdessen ein Wettrennen über die große Koppel. Tara liegt vorn, das Kraftpaket läuft langsam aus und trabt zur Selbsttränke. Luna fordert eine Revanche, doch Tara widmet sich lieber dem Gras. Ab und an scheint sie nachdenklich aufzuschauen und ihre Umgebung zu mustern.
"Pferdemarkt in Polen. Das ist eine ganz finstere Welt."
Es hätte auch anders kommen können. Vor drei Jahren stand Tara bei minus 35 Grad auf einem polnischen Pferdemarkt. Von glänzendem Fell und perfekter Bemuskelung, was die Stute heute zu einem Hingucker macht, war damals nichts zu sehen. Den Winter hatte Tara in einem finsteren Kabuff verbracht. Wenig Futter, kein Licht, keine Bewegung. Verwachsene Hufe ließen jeden Schritt zur Qual werden. Auf frische Luft reagierte sie verstört. Tara war kraftlos, ausgemergelt und kaputt. Einen Käufer fand sie auf dem Markt so nicht. Ein Schicksal als Arbeitspferd blieb ihr erspart. Kein Grund zur Freude in Polen. Die Pferde, die übrig bleiben, werden als Schlachtpferde nach Süditalien exportiert.
Tara prustet aufgeregt durch die Nüstern, ein Jeep nähert sich der Koppel in Schlagenthin. Drinnen sitzt Barbara Koerver, die auf der Koppel nach dem Rechten sehen will. Den acht Großpferden, die hier grasen, geht es gut. "Fast alle sind aus Polen", erzählt Koerver.
Einmal im Jahr fährt sie dorthin. "Das ist eine ganz finstere Welt", sagt sie, während sie Tara eine Möhre gibt. Bei den Schlachtpferden zählt nur das Gewicht. Es kommt vor, dass die Stuten vor dem Transport gedeckt werden, weil sie mit einem Fohlen im Bauch schwerer sind. Eine weitere Taktik dieses Ziel zu erreichen: Die Pferde werden mit Wasser aufgepumpt.
In Polen hat Koerver den Hufschmied Bogdan kennengelernt. Beide engagieren sich in der Tierschutzorganisation AWF. Bogdan hat auch Tara vor dem Schlachttransport gerettet. "Ich kann nicht die Welt ändern", sagt Barbara Koerver. "Aber den Tieren, für die ich hier Platz habe, kann ich ein Zuhause geben." Tara hatte Glück, für sie war Platz in Schlagenthin.
Koerver steigt wieder in den Jeep, zwei Minuten braucht sie zurück zum Hof. Die Schlagenthiner sind stolz auf den Gnadenhof, den Barbara und Thomas Koerver hier aus dem Nichts gestampft haben. "Eine wunderschöne Anlage für den guten Zweck", sagt Ortsbürgermeister Horst Blasius. Hühner gackern, Barbara Koerver sieht nach Hahn Werner. "Ein Mann aus der Umgebung hat ihn zu uns gebracht, er konnte sich nicht mehr um ihn kümmern." Für sie ein kleines Zeichen, dass sich im Bewusstsein der Menschen etwas zu ändern scheint. "Statt den Hahn in die Suppe zu tun, hat sich hier jemand Gedanken gemacht, wie das Tier einen schönen Lebensabend verbringen kann. Das rührt mich." Als Hahn Werner auf den Gnadenhof kam, hatte er ein gebrochenes Bein. Das wurde geschient, das Tier aufgepäppelt. "Heute ist er ein richtiger Prachthahn", sagt Koerver.
Auf dem Hof hat jedes Tier - ob Huhn, Esel oder Pferd - einen Namen. Da sind zum Beispiel die Ponys Goethe, Schiller und Mozart. Ihre Besitzerin konnte sich nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr um sie kümmern. Tagsüber grasen sie nun auf der Ponykoppel. Geduldet von Eseldame Erna.
Mit ihr hat alles angefangen, sie war vor etwa zehn Jahren das erste Tier auf dem Schlagenthiner Gnadenhof. Zusammen mit einem Ziegenbock. Den hat Barbara Koerver auf dem Rücksitz ihres Autos nach Schlagenthin gebracht. Sechs Festangestellte beschäftigen sie und ihr Mann auf dem Schlagenthiner Gnadenhof. Thomas Koerver verdient sein Geld mit Immobilienberatung. Viel davon fließt in den Tierschutz.
"Urlaub ist für mich nicht reizvoll. Die Tiere geben so viel zurück"
"Urlaub ist für mich nicht reizvoll, ich bin gern bei den Tieren. Sie geben so viel zurück", sagt Barbara Koerver, setzt ihre Brille auf und bespricht mit Mitarbeiterin Katharina Fleig, was am Nachmittag zu tun ist. "Napoleon lassen wir heute in Ruhe, dafür wird Ariane geritten." Alle Pferde werden täglich bewegt. Geritten, gefahren oder longiert. Die Mitarbeiter sind jeden Tag von 8 bis 17 Uhr auf dem Hof beschäftigt. "Ich bin immer hier, Tiere kennen keine Uhr", sagt Barbara Koerver. Um 17 Uhr drehen die Chefin und Katharina Fleig ihre Fütterungsrunde. Alle Ställe werden täglich gemistet, sie sind auch nachts offen, die Tiere können sich aussuchen, ob sie drinnen oder draußen schlafen. Die Koppeln werden nochmal abgefahren, die Frauen sehen bei Hühnern, Ziegen, Katzen und Pferden nach dem Rechten. "Ins Bett bringen", nennt Barbara Koerver das. Ein bisschen wie auf Immenhof. "Mehr Tiere haben leider keinen Platz hier", sagt Koerver. Die Kapazitäten sind ausgelastet.
Für die Nacht zieht es Kaltblutstute Tara doch in den Unterstand. Sie träumt anstatt von dreckigen Ställen, klaffenden Wunden, Entzündungen und verfaulten Zähnen immer häufiger von saftigem Gras. Wenn Tara morgen früh aufwacht, werden viele ihrer Artgenossen auf einem polnischen Pferdemarkt auf einen Käufer warten. Nur wenige werden einen wie Barbara Koerver finden.