75 Jahre Eisenbahnunglück Genthiner gedenken der Katastrophe vom 22. Dezember 1939
Mit einer Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Kreishauses wurde in der vergangenen Woche an das Zugunglück von 1939 in Genthin erinnert. Etwa 150 Menschen schlossen sich der Veranstaltung mit dem Autor Gert Loschütz an.
Genthin l Mit einer ungewöhnlichen und dennoch würdigen Gedenkveranstaltung erinnerte die Stadt Genthin an das Eisenbahnunglück vor 75 Jahren. Der Autor Gert Loschütz präsentierte zum ersten Mal in Genthin das Hörspiel "Besichtigung eines Unglücks", das sich mit dem größten Eisenbahnunglück in Deutschland befasst.
Die Veranstaltung zeigte, dass ein würdevolles Gedenken auch allein durch die Kraft der Geräusche, Worte und des konzentrierten Zuhörens möglich ist. 90 Minuten verbrachten die rund 150 Besucher im nahezu völlig dunklen Plenarsaal des Kreishauses und erlebten die Rekonstruktion der Katastrophe in einer künstlerisch sehr anspruchsvollen Weise.
Hörstück als Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung
Am 22. Dezember 1939 um 0.53 Uhr fuhr nahe des Genthiner Bahnhofs der D 180 von Berlin mit ungebremster Geschwindigkeit auf den haltenden D 10, sein Ziel war Köln, auf. Mehr als 180 Menschen verloren bei der Katastrophe ihr Leben. Der 1946 in Genthin geborene Autor hat sich eingehend mit diesem Unglück beschäftigt, hat nahezu alle Akten eingesehen, die verfügbar sind, und Schicksale recherchiert. Aus dieser Arbeit ist ein beeindruckendes Ton-Dokument entstanden, das in der Tradition großer Hörfunkpioniere wie Alfred Andersch oder Ernst Schnabel steht. Loschütz fragte in seinem Hörspiel: "Was wäre gewesen wenn ...?"
... Wenn der Bahnwärter in Genthin das Haltesignal nur vier Sekunden später umgelegt hätte ... Einen Herzschlag, einen Wimpernschlag später und der D 10 hätte den Bahnhof Genthin passiert, der D 180 hätte gehalten. Das Unglück hätte nicht stattgefunden. Doch das Unglück gab es. Loschütz setzt es eindrucksvoll in Hörbildern in Szene. Das Geräusch der haltenden Stahlräder auf Schienen wird dabei zum Symbol des Schreckens.
Die hochklassig besetzten Sprecher geben der Katastrophe eine Stimme. Übernehmen die Rollen von beteiligten Schrankenwärtern, Lokführern, Kriminalbeamten. Etwa 40 Minuten läuft die Handlung auf das Eisenbahnunglück zu, wird die Zeitgeschichte gestreift. Deutschland befindet sich im Krieg, in den wenigen Zügen die verkehren, sind mehr Menschen als sonst unterwegs. Die Katastrophe nach dem Unglück wurde dadurch noch größer, als sie es ohnehin gewesen wäre. Im zweiten Teil wandelt sich das Stück zur Schicksalsbeschreibung. Loschütz beschäftigt sich mit dem Italiener Guiseppe Buonomo, der bei dem Unglück umkam und der Reisenden Carla Kleiss, die schwer verletzt wurde. Was die beiden verband - wie Karlas jüdischer Geliebter Richard Kuiper in Düsseldorf in das Geschehen einbezogen wird. Das verwebt der Autor auf eine tiefgründige Weise mit den Geschehnissen der Nacht des 22. Dezember 1939.
Nach der Vorführung äußerten sich viele Zuhörer bewegt. Zumal Loschütz seine Genthiner Wurzeln deutlich zutage treten lässt. Viele Fakten, Plätze, Sichtweisen, die in dem Hörstück vorkommen, haben unmittelbar mit ihm zu tun. Nach der Veranstaltung im Plenarsaal wurde im Foyer eine Ausstellung zum Eisenbahnunglück eröffnet. Gestaltet wurde sie vom Förderverein Stadtgeschichte, der sich gemeinsam mit der Stadt- und Kreisbibliothek Edlef Köppen und dem Kreismuseum Genthin für die Durchführung des Abends verantwortlich zeigte.
Ausstellung im Kreishaus dokumentiert Unglück
"Wir haben auf sechs Tafeln chronologisch den Ablauf der Katastrophe nachvollziehbar gemacht", erläuterte Wolfgang Bernicke, der für den Ausstellungsaufbau regieführend war. Es gäbe viele Akten, Beschreibungen und Bilder, die das Unglück aufbereiteten. "Wir haben nur einen ganz kleinen Auszug herrichten können", erläuterte Bernicke. Die Ausstellung widmet sich auch den stark diskutierten Witterungsverhältnissen am Unglückstag. Diese Fakten werden mit Belegen aus unterschiedlichen Quellen erörtert.
Bis zum Februar 2015 sollen die Tafeln im Kreishaus zu sehen sein. Bernicke verwies auch auf die vom Förderverein herausgegebene Schriftenreihe, die in Band fünf weitere Informationen zum Eisenbahnunglück enthält. Der Schirmherr der Gedenkveranstaltung, Bürgermeister Thomas Barz, warnte in seinen Worten die Zuhörer davor, das Unglück auf den Streit um die Höhe der Opferzahlen zu reduzieren. "Es ist bis heute der folgenschwerste Eisenbahnunfall, den Deutschland erleiden musste."
Nach 75 Jahren merke man noch immer, wie tief ein solches Unglück gehe. "Unsere Gedanken gehören auch heute den Opfern, den Toten und denen, die schwer verletzt wurden." Der Weg und die Reise seien uralte Gleichnisse für das menschliche Leben. "Auch deshalb sind wir so betroffen, weil der Tod die Menschen unterwegs getroffen hat, im Aufbruch zu einem neuen Lebensabschnitt oder auf der Fahrt nach Hause."
Die Menschen seien verabschiedet oder erwartet worden. Der Bürgermeister fügte hinzu: "Man darf sich nicht an alltägliche Unfallmeldungen gewöhnen, da immer Schicksale mit ihnen verbunden sind." Barz rief aber auch die zahlreichen Helfer in Erinnerung, die nach der Katastrophe oft bis zur völligen Erschöpfung geholfen hätten. Die Veranstaltung endete mit einer Schweigeminute im Gedenken und als Referenz an die Opfer und die Helfer.