Einweihung im AWO Fachkrankenhaus für den 27. Januar 2012 geplant Jerichow: Jury kürt Siegerentwurf eines Gedenksteins für Opfer der NS-Euthanasie
Jerichow. Jahrzehntelang wurde nicht viel geredet über dieses traurige Kapitel, doch im Zusammenhang mit der Ausstellung "Euthanasie und Eugenik - Das AWO Fachkrankenhaus in der Zeit des Nationalsozialismus" rückte in den vergangenen Monaten wieder mehr ins Bewusstsein vieler Menschen, was damals auch hier geschah. 930 Patienten der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Jerichow hat die "Aktion T4" das Leben gekostet. Ihnen soll nun ein Gedenkstein gewidmet werden.
Viele haben sich in den zurückliegenden Wochen Gedanken darüber gemacht, wie ein solcher Gedenkstein aussehen könnte. Die AWO Sachsen-Anhalt hatte im April in ihren Einrichtungen der Psychiatrie und Behindertenhilfe einen künstlerischen Wettbewerb ausgelobt. Mehr als 70 Frauen und Männer, die seelisch, körperlich oder geistig beeinträchtigt sind, beteiligten sich daran. Begleitet wurden sie dabei insbesondere von Kunstpädagogen. Insgesamt 25 Wettbewerbsbeiträge entstanden auf diese Weise.
Gestern traf sich in Jerichow eine Jury, um über den Wettbewerbssieger zu entscheiden. Adrian Maerevoet (Beauftragter der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung), Dr. med. Bernd Langer (Vorsitzender des Psychiatrieausschusses), Dr. Ute Hoffmann (Leiterin der Gedenkstätte Bernburg), Harald Bothe (Bürgermeister von Jerichow), Joachim Müller (Chefarzt AWO Fachkrankenhaus Jerichow) und AWO-Landesgeschäftsführer Wolfgang Schuth vergaben unabhängig voneinander Punkte an ihre Favoriten, ohne zu wissen, von wem die Entwürfe stammen. So erfuhren die Jurymitglieder auch erst nach der Entscheidung, dass eine Gruppenarbeit der Psychosomatischen Station des AWO Fachkrankenhauses Jerichow das Rennen machte.
Anstatt nur eine Zeichnung vorzulegen, haben die Mitglieder dieser Gruppe das Model für eine mehrgliedrige Gedenkstätte gebastelt und einen Hefter mit Erläuterungen und Detailansichten beigelegt. In einen Granitstein soll ein durchgängiges "Fenster in die Vergangenheit" gearbeitet werden, daran angebracht ein bewegliches, stacheldrahtumhülltes Gitter. Ein "Weg wider das Vergessen", tangiert von verlorenen Besitztümern und vielleicht mit Fußspuren, soll von dort aus weiterführen zu einer "Wand der Erinnerung", einer rostigen Eisenplatte, auf die mit Kreide immer wieder neu Namen, Gedichte, Gedanken geschrieben werden können.
Umgesetzt werden kann nur einer der 25 eingereichten Entwürfe, aber allein schon die Beschäftigung mit dem Thema hat den Teilnehmern viel gebracht. Das betonte unter anderem Anja Thiele vom AWO Wohnverbund Börde. Die Ergotherapeutin hat mit einer Wohngruppe aus Magdeburg an dem Wettbewerb teilgenommen und dabei eng mit einer Gruppe aus der Börde zusammengearbeitet. Der Entwurf ihrer Gruppe kam auf den dritten Platz - ein schöner Erfolg.
"Ich fand es unheimlich spannend, mitzumachen", sagte Anja Thiele. "Wir sind im Vorfeld zu einem Steinmetz gefahren und haben auch verschiedene Gedenkstätten besucht. " Sie erklärt: "Ich betreue Menschen, die damals von der Aktion T4 betroffen gewesen wären. Vielen war das bisher gar nicht bewusst, dass sie selbst hätten dazu gehören können!"
Das unterstrich auch Wolfgang Schuth: "Der Entwurf für diesen Gedenkstein kommt von Menschen, die zu den Opfern der Nationalsozialisten gehört hätten. Vergleichbares gab es in Sachsen-Anhalt bislang nicht!"
Eine Würdigung sollen alle Entwürfe erfahren, kündigte Projektleiter Jan Bartelheimer an. Vorstellen könnte er sich eine Publikation oder eine Ausstellung.
In den nächsten Monaten wird der Siegerentwurf nun umgesetzt - das bedeutet nicht nur für den Steinmetz Arbeit, sondern das ganze Areal neben einer Weggabelung hinter Haus 6 des Fachkrankenhauses muss gestaltet werden.
Am 27. Januar 2012, dem Gedenktag für die Opfer des NS-Holocaust, soll die Gedenkstätte eingeweiht werden. Das Projekt wird durch die "Aktion Mensch" gefördert.