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Seit November leitet Diana Enders die "Jerichower Schreibrunde" im AWO Fachkrankenhaus Schreiben, um die Seele von großer Last zu befreien

Von Sigrun Tausche 21.02.2013, 02:13

Dienstagabend in der Patientenbibliothek des AWO Fachkrankenhauses Jerichow: Jeder Stuhl rund um den großen Tisch ist besetzt. Gespannt hören alle demjenigen zu, der gerade liest. Danach wird diskutiert. Mit dabei ist auch Diana Enders. Sie leitet seit November die Jerichower Schreibrunde.

Jerichow l Eine nun schon jahrelange Geschichte und auch eine gewisse Berühmtheit hat die Jerichower Schreibrunde, die unter der Leitung von Schriftstellerin Dorothea Iser gegründet worden war. Dabei ist die Runde nichts Statisches. Wohl gibt es über Jahre einen festen Kern an Mitgliedern, aber neue kommen immer wieder dazu, andere gehen. Es war Zufall, dass gerade in dieser Woche so viele neue Gesichter darunter waren. Es waren Patienten aus dem Hause, aber auch Gäste von außerhalb, die davon gehört hatten und einfach mal reinschnuppern wollten. Und sie waren beeindruckt, wollen gerne wiederkommen. Andere sind regelmäßig dabei, die meisten von ihnen ehemalige Patienten. Manche konnten diesmal nicht.

Für Diana Enders war es erst die vierte Veranstaltung, die sie leitete. Einmal im Monat trifft sich die Schreibrunde hier für zwei Stunden. Etwa zehn Leute seien immer dabei, mal weniger, mal mehr, sagt sie.

Vom Ablauf her sei alles gleich geblieben wie all die Jahre mit Dorothea Iser. "Texte werden mitgebracht und vorgelesen, und wir sprechen darüber." Natürlich sei sie ein anderer Typ, meint Diana Enders, schon deshalb sei es nicht völlig das Gleiche. Zudem stehe jetzt auch nicht so sehr das Ziel einer Veröffentlichung im Mittelpunkt. Auszuschließen sei aber nicht, dass es dazu auch wieder kommt. "Wichtig ist, dass die Menschen ausdrücken können, was sie fühlen, und dass andere sich einfühlen können." Da spielen literarische Qualitäten nicht so sehr die Rolle.

Manches aber hat diese Qualitäten durchaus. Die drei Gedichte zum Beispiel, die Lutz Sehmisch vortrug: Mit knappen Worten, ohne Ballast, aber auf den Punkt versteht er es, Gefühle auszudrücken, die den aufmerksamen Zuhörer mitreißen. Lutz Sehmisch ist einer von jenen, die schon seit längerem schreiben, und er hat auch schon veröffentlicht.

Für einen anderen kann genauso bedeutend der lange Brief sein, an Freund oder Freundin geschrieben, oder einfach nur Zeilen, mit denen alles mal herausgelassen wird, was sich oftmals über lange Zeit im Innern angestaut und die Seele krank gemacht hat.

Schreiben seit der Jugend und Germanistikstudium

Diana Enders ist wie Dorothea Iser jemand, der von außen dazu kommt, aber sich sehr gut einzufühlen weiß, Ratschläge geben kann und Mut macht, den Weg weiter zu gehen. Geschrieben hat auch Diana Enders schon. Durch ihre gemeinsamen Lesungen mit Dr. Jochen Gutte im Jerichower Bürgerhaus ist sie als Autorin bereits einem größeren Kreis bekannt geworden.

Die 36-jährige stammt aus Guben und hat in Berlin und Halle Germanistik studiert. Mit ihrem Mann, Pfarrer Christof Enders, kam sie 2005 nach Jerichow. Vier Kinder hat die Familie. Die älteste Tochter, Hanna, ist 17 und macht jetzt ihr Abitur, Doris ist 14, Benjamin 11 und Leonhard (6) kommt jetzt zur Schule.

Tagebuch geführt hat Diana Enders immer schon, und bereits in der Jugend habe es die ersten Schreibversuche gegeben, erzählt sie. Ironischerweise habe ausgerechnet während des Germanistikstudiums ihr eigenes Schreiben brach gelegen. "Wohl wegen der vielen großen Schriftsteller, mit denen wir uns beschäftigt haben", glaubt sie. Erst als ihr Jüngster etwas größer war, habe sie wieder angefangen und möchte auch dabei bleiben. Zurzeit arbeite sie an einem Geschichtenband. "Durch die Lesungen mit Jochen Gutte gibt es immer Ziele, die ich mir setze", freut sie sich über diesen Ansporn.

Job in der Patientenbibliothek, dazu neue Therapie im Test

Seit 1. August hat Diana Enders eine halbe Stelle hier im AWO Fachkrankenhaus. "Es ist ein großer Glücksfall für mich mit vier Kindern", meint sie. Die Patientenbibliothek im Haus 3, die auch Mitarbeitern offen steht, ist ihr Hauptarbeitsplatz. Viel Belletristik zum Schmökern und einen großen Ratgeberteil gibt es hier, erklärt sie. "Die Patienten bekommen oft auch den Auftrag, sich anhand von Büchern über ihre Krankheiten zu informieren. Das wird rege genutzt."

In diesen Ratgebern ist alles gut verständlich erklärt. Eine Fachbibliothek gibt es im Hause noch an anderer Stelle, betont Diana Enders.

Testweise solle nun auch die Biblio-Therapie, auch genannt Poesie-Therapie eingeführt werden. "Das ist ein neuer Therapiezweig. Es geht darum, mit der Kraft der Worte oder mit Charakteren in der Literatur Gefühle anzuregen. Das hilft Patienten." Was angesichts der angekündigten Sparzwänge wegen des neuen Abrechnungssystems daraus wird, sei allerdings fraglich.

Sie hoffe, dass die Schreib-runde auch weiterhin vom Krankenhaus getragen werde. Denn sie erlebt, wie wichtig diese für viele ist. Manchen reicht das eine Treffen im Monat hier längst nicht mehr. Sie fahren regelmäßig auch zu anderen Runden, insbesondere nach Burg. Der Kontakt zu den anderen Runden werde auf jeden Fall weiter gehalten, betont Diana Enders. Sie selbst sei auch Mitglied im Burger Autorenkreis. Einmal im Jahr, in der Regel im Oktober, fahre die ganze Jerichower Schreibrunde dorthin.

Und irgendwann, ist sie überzeugt, werde es auch wieder eine öffentliche Veranstaltung der Schreibrunde hier in Jerichow geben.