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130 Jahre alt und trotzdem noch knackig

18.07.2013, 06:11

Halberstadt l Langeweile hat in der Urlaubs- und Ferienzeit keine Chance. Warum? Weil es im Harzkreis viel zu entdecken gibt. Das "Sommerabenteuer" der Volksstimme öffnet für Leser Unternehmen, Denkmale sowie Kulturschätze und gewährt Einblicke der besonderen Art. Zum Auftakt hat gestern die Würstchen- und Konservenvertriebs GmbH Halberstadt ihre Pforten geöffnet.

130 Jahre alt und trotzdem noch knackig. Für diesen Jungbrunnen würde ein Haufen Leute viel Geld ausgeben. Aber wer will schon über 45 Minuten bei bis zu 85 Grad im Rauch hängen. In Halberstadt gehört das jedoch zur Prozedur, damit aus Würstchen die berühmten original Halberstädter Würstchen werden. Die sind mittlerweile so berühmt, dass sogar die Europäische Union die Marke zu einer geschützten geografischen Angabe erklärt hat.

"Ich erzähle Ihnen heute viel, aber nicht alles." - Margot Wesenberg, Halberstädter Würstchen- und Konserven GmbH

Warum das so ist, dafür haben sich Volksstimme-Leser aus dem Harzkreis interessiert. Margot Wesenberg von der Würstchen- und Konservenvertrieb GmbH hat die Sommerabenteurer auf eine interessante Entdeckungstour mitgenommen: Auf die Spur der Halberstädter Würstchen. Eine Erfolgsgeschichte, die mit Firmengründer Friedrich Heine 1883 begann.

"Ich erzähle Ihnen heute viel, aber nicht alles", begann Margot Wesenberg die Tour. Zwar lassen sich die Würstchen-Spezialisten gern in die Karten schauen. Immerhin besuchen bis zu 20 000 Gäste aus nah und fern das Traditions­unternehmen. Trotzdem gibt es Geheimnisse, die seit 130 Jahren mit Argusaugen gehütet werden. Dazu gehört die Gewürzmischung und das Räucherverfahren, das eine normale Wurst zu einer original Halberstädter adelt. Die Rezeptur und Herstellung ist bis heute fast unverändert geblieben. Nicht zu vergessen die 220 Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeit ihren Anteil zur Erfolgsgeschichte des Halberstädter Unternehmens beitragen. Darunter 70 Prozent Frauen.

Bevor die Sommerabenteurer in die Welt des Halberstädter Würstchens abtauchen dürfen, müssen sie ihr Outfit verändern. Schön sieht anders aus. Rote Haarnetze, blaue Füßlinge und eine weiße Plastikkutte sind für die hohen Hygienestandards unerlässlich. Obwohl ein Hauch von Karneval in der Luft liegt. Für das Unternehmen ist Hygiene jedoch überlebenswichtig.

Die letzte Hürde muss an einem Automaten überwunden werden. Der gibt den Weg in die heiligen Produktionshallen, die aus dem Jahr 1913 stammen und denkmalgeschützt sind, erst nach einer Desinfektionsdusche der Hände frei. "Mitarbeiter müssen diese Prozedur bis zu 15 Mal am Tag absolvieren", so Margot Wesenberg. Die erhalten für die strapazierten Hände Pflegemittel, weil die Haut das häufige Desinfizieren irgendwann nicht mehr mitmacht. Die Ampel am Automat springt von Rot auf Grün: Jetzt kann es losgehen.

"Das ist die wichtigste Maschine im Unter­nehmen."

Früh morgens um 3.30 Uhr startet die Produktion mit der Anlieferung der Schweine- und Rinderhälften, die von flinken Händen, die von Stahlnetzhandschuhen geschützt sind, zerteilt werden. Am Kutter, einer großen Maschine, die das Fleisch zerkleinert und es mit den Gewürzen vermischt, entsteht das Brät. Das ist die wichtigste Maschine im Unternehmen", betont Margot Wesenberg. Der Mitarbeiter am Kutter entscheidet über die Qualität der Würstchen und überwacht diese ständig. Dabei ist Naschen unbedingt erlaubt. "Ist nicht jedermanns Sache, ist aber unerlässlich, um die Qualität zu sichern", sagt Margot Wesenberg.

In der nächsten Station auf dem Weg zur Erfolgswurst sind zarte Frauenfinger gefragt, die das Brät mit einer beeindruckenden Fingerfertigkeit in die Schaf- beziehungsweise Schweinedärme pressen. Täglich immerhin fünf bis acht Tonnen, was etwa 50 000 bis 80 000 Würstchen entspricht.

Auf dem Weg zur nächsten Abteilung bleibt Margot Wesenberg vor einer glänzenden Metalltür stehen. Bevor sie die öffnet, verbietet sie das Fotografieren. Hier wird eines der großen Geheimnisse gehütet: Die Gewürzmischung. Zwar ist nicht viel zu sehen, dafür explodieren beim Vorbeihuschen am Gewürzraum die Geruchsnerven. Augen zu und man ist in Gedanken auf einem orientalischen Markt.

Im Heiligtum der Firma, der 100 Jahre alten Rauchkammer, bekommen die Würstchen im Buchenrauch bei bis zu 85 Grad schließlich das gewisse Extra bevor sie für 24 bis 36 Stunden in den Reiferaum kommen und dann verpackt werden.

Wobei das Unternehmen heute weit mehr als nur die original Halberstädter herstellt und vertreibt. Mittlerweile sind es 80 verschiedene Produkte, darunter allein 20 verschiedene Würstchensorten. Waren im Wert von 15 bis 20 Millionen Euro verlassen jährlich die Produktionshalle, in der nur noch die aufwendig sanierte Bauhülle aus dem Jahr 1913 stammt. Das Innenleben ist nach der Privatisierung 1992 vom neuen Eigentümer Ulrich Nitsch modernisiert worden.

Die Teilnehmer des Sommerabenteuers zeigen sich beeindruckt. Rolf Dörge: "Ich bin angenehm überrascht von der Hygienesituation. Ich habe früher beim ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerk gearbeitet und damals am Bahnhof schon die Halberstädter gegessen.

Johann-Christoph ­Beutel: "Ich finde das sehr interessant. Ich frage mich aber, wie die Leute bei den leckeren Sachen widerstehen können und keine Würstchen essen." Jürgen Vollheim: " Höchst interessant und wichtig für Halberstadt, dass sich das ­Unternehmen etabliert hat. Es ist erstaunlich wieviel Massen an Fleisch abgesetzt werden."