Gedenken An Gewaltopfer erinnert
Vor 16 Jahren wurde der Halberstädter Helmut Sackers von einem Skinhead erstochen. Ihm soll nun ein Gedenkort errichtet werden.
Halberstadt l „Nachbar nach Streit um laute Musik erstochen”, meldete Ende April 2000 das Polizeipräsidium Halberstadt den Tod Helmut Sackers. Dass der damals 60-jährige Sozialdemokrat von einem neonazistischen Skinhead erstochen wurde, davon erfuhr die Öffentlichkeit erst später. Auch darüber, was sich in den Stunden vor der grausamen Tat abgespielt hatte.
Am 16. Todestag folgten über 40 Frauen, Männer und Kinder dem gemeinsamen Aufruf der in der Harzregion gegründeten antifaschistischen Initiative „Würdiges Gedenken für Helmut Sackers“, der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt und des Bürgerbündnisses für ein gewaltfreies Halberstadt. Sie versammelten sich zunächst auf der Südostseite des Domes, einem Platz inmitten der Stadt, an den es Helmut Sackers und seine Lebensgefährtin Heide Dannenberg bei ihren Spaziergängen oft zog.
Auf der öffentlichen Gedenkveranstaltung erfuhren die Teilnehmer etwas über das Leben des Mordopfers und das Geschehen an seinem Todestag. Der 60-jährige Kaufmann, ein engagierter Sozialdemokrat, hatte die Polizei gerufen, weil ein bekannter Nazi-Skin in der Nachbarwohnung lautstark das Horst-Wessel-Lied spielte. Im Beisein der beiden Polizisten drohte der Rentner bei einem erneuten Abspielen des Kampfliedes der SA mit einer Anzeige. Eine Stunde später war Helmut Sackers tot, verblutet an vier Messerstichen im Treppenhaus des Plattenbaus im Nordring.
Das Landgericht Magdeburg sprach Andreas S. im November 2000 in erster Instanz wegen Notwehr vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge frei. Die Angehörigen des Opfers wollten sich mit dem Freispruch nicht abfinden. Sie gingen davon aus, dass der Naziskin den körperlich unterlegenen und lungenkranken Rentner gezielt und aus Rache für den Polizeieinsatz angegriffen und getötet hatte.
Ein Anwalt legte im Namen der Familie Rechtsmittel beim Bundesgerichtshof gegen den Freispruch ein und hatte damit Erfolg. Im Sommer 2001 wurde der Freispruch aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht Halle verwiesen. Doch es dauerte über drei Jahre bis zum Beginn der Revisionsverhandlung, die mit einem erneuten Freispruch wegen „intensiven Notwehrexzesses“ endete.
Das Urteil schlug bundesweit hohe Wellen. Als „skandalös“ kritisierte es unter anderem der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und bescheinigte dem Landgericht Halle eine „eigentümliche Auffassung von Zivilcourage“.
Der Umgang der Justiz mit den tödlichen Messerstichen gegen Helmut Sackers sei ein „Beispiel dafür, wie schwer es ist, Gerechtigkeit für Opfer rechter Gewalt auf juristischem Weg zu erlangen“, kommentierte die Mobile Opferberatung das Urteil. Zumal der Freispruch eine weitere Konsequenz hat: Weil der Täter nicht verurteilt wurde, wird Helmut Sackers von der Landes- und Bundesregierung nicht offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.
Heide Dannenberg wollte erst nichts sagen, ergriff aber doch das Wort: „Helmut hätte hier gesagt, dass Zivilcourage weiterhin wichtig ist, niemand wegschauen darf, sondern sich einmischen sollte, wenn Unrecht geschieht. Deshalb lasst uns zusammenstehen und alles tun, um der rechten Gewalt Einhalt zu gebieten. Das sind wir ihm und allen anderen Opfern schuldig.“
„Weil Neonazis und rechte Gewalt hier immer noch und immer wieder ein großes Problem sind, ist es uns wichtig, dass viele Menschen von Helmut Sackers erfahren, der sein couragiertes Handeln mit dem Leben bezahlt hat“, sagte ein Sprecher der Initiative und verwies auf eine dramatische Entwicklung in der Gegenwart. Politisch rechts und rassistisch motivierte Angriffe hätten sich 2015 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt.
Die Initiative werde alles daran setzen, noch in diesem Jahr einen öffentlichen Gedenkort für Helmut Sackers in Halberstadt zu errichten, hieß es, bevor die Gruppe gemeinsam zum Städtischen Friedhof ging, um des engagierten Sozialdemokraten an dessen Grab zu gedenken.