Coronavirus Harzer Steuerberater im Dauer-Telefondienst
Drei Steuerberater aus Ilsenburg, Wernigerode und Halberstadt berichten aus ihrem Alltag in der Corona-Krise.
Ilsenburg/Halberstadt/Wernigerode l „Ich habe weinende Mandanten am Telefon“, sagt Antje Müller. „Man leidet mit den Mandanten. Wir erleben hier täglich die Existenzängste unserer Mandanten, und das geht nicht spurlos an uns vorbei.“ Die Steuerberaterin, die seit 2012 eine von fünf Partnern einer renommierten Kanzlei in Halberstadt ist, hat so eine Krise wie diese bisher noch nicht erlebt. „Dass eine Vielzahl von Mandanten so verunsichert und verzweifelt ist, kenne ich so nicht. Jeder Mandant trägt das Unternehmerrisiko – das ist allen klar. Aber Corona ist derzeit eine für alle unglaublich schwer einschätzbare Situation.“
Derzeit sei sie in erster Linie am Telefon beratend tätig. „Mein Arbeitstag seit dem 16. März gleicht einem Telefondienst. Wir schauen vor allem gemeinsam mit den Mandanten, was an Hilfen beantragt werden kann. Die Programme passen nicht auf jeden.“ Das Besondere: Ihre Steuerberatersozietät ist überregional tätig, neben den Büros in Halberstadt, Seesen, Northeim, Wernigerode und Einbeck gibt es auch Berührungspunkte nach Hamburg, Thüringen und Bayern.
Deshalb weiß sie, wie unterschiedlich die einzelnen Landesregierungen in der Krise agieren. „Sachsen-Anhalt schreibt sich auf die Fahne, Land der Frühaufsteher zu sein. Was die Hilfen angeht, waren wir allerdings das Land der Spätzünder“, beschreibt sie ihren Eindruck. „Alle anderen haben früher reagiert. Bayern hatte als erstes Land ein Soforthilfeprogramm aufgestellt, bevor der Bund nachzog. Wir hatten Anrufe von Mandanten, die die 9000 Euro Soforthilfe beantragen wollten – doch die Anträge gab es noch gar nicht.“ Zudem seien die Richtlinien des Programms lange nicht eindeutig formuliert gewesen.
„Es wurde keine Aussage getroffen, inwieweit betriebliche und private Rücklagen vorerst verwendet werden müssen. Niedersachsen hat klar und deutlich formuliert, private und betriebliche liquide Mittel sind nicht vorrangig einzusetzen.“ Noch ein Beispiel: In Niedersachsen sei bis Ende März ein kalkulatorischer Unternehmerlohn (1180 Euro) angesetzt worden, in Sachsen-Anhalt nicht. Mittlerweile ist der Unternehmerlohn in der neuen Richtlinie nicht mehr enthalten. Unternehmer müssten Grundsicherung beantragen, um sich über Wasser zu halten.
Sinnvoll seien die diversen Steuererleichterungen für Unternehmen. So verschaffe die Erstattung der Dauerfristverlängerung zum jetzigen Zeitpunkt eine gewisse Liquidität. „Aber die Zahllasten werden nur in die Zukunft geschoben“, gibt sie zu bedenken. „Das Geschäft von manchen Mandanten kann und wird nicht nachgeholt werden. Für den Einzelhandel, das Hotel- und Gaststättengewerbe zum Beispiel ist das Ostergeschäft endgültig verloren.“
Derzeit sei die Anzeige von Kurzarbeitergeld bei der Bundesagentur für Arbeit ein wichtiges Thema für Steuerberater. Arbeitnehmern wird 60 bzw. 67 Prozent des Nettolohnes gezahlt. Der Arbeitgeber geht zunächst in Vorleistung. Nach Erstellung der Lohnabrechnung hat er einen Erstattungsanspruch gegenüber der Bundesagentur für Arbeit. Von der Möglichkeit, das Kurzarbeitergeld für den Arbeitnehmer aufzustocken, damit dieser auf sein volles Gehalt kommt, mache derzeit kaum ein Mandant Gebrauch, berichtet Antje Müller. Da viele Arbeitgeber zurzeit einen kompletten Umsatzausfall erleiden und nicht abschätzen können, wie lange der Shutdown anhält, können sie die Lücke nicht schließen.
Sven Rüger kann das bestätigen. Auch in seiner Kanzlei in Ilsenburg sei Kurzarbeit ein wesentliches Thema. „Es geht um die Beratung zur Kurzarbeit, die Vorbereitung von Anzeigen, betriebliche Besonderheiten wie Nebenjobs, Schichtzuschläge und vieles mehr“, erklärt er. „Die Anträge sind da, die Wege stehen fest, aber das System ist vielen neu.“ Zuletzt sei Kurzarbeit in dieser Dimension 2008/2009 zur Wirtschaftskrise genutzt worden. „In der Summe der Unternehmen wird Kurzarbeit aber derzeit viel häufiger beantragt als 2008.“ Während vor zehn Jahren vor allem Unternehmen mit internationalen Märkten betroffen waren, seien es jetzt kleine und mittelständische Unternehmen mit nationalen wie internationalen Märkten, verdeutlicht er das Ausmaß.
Der Großteil der Anzeigen werde bis 30. September und 31. Dezember gestellt, berichtet Rüger. So lange? „Ja, vor dem Hintergrund, dass nach der Kontaktsperre wirtschaftliche Probleme noch nicht beseitigt sein werden. Man sollte mit einer Anlaufzeit für die Wirtschaft rechnen: Hotellerie, Gaststätten und Einzelhandel leben schließlich von der Kaufkraft vor Ort. Wenn die Leute drei Monate Kurzarbeitergeld erhalten haben, dann überlegen sie: Was verschiebe ich, was gebe ich noch aus?“ Deshalb werde die Krise Nachwirkungen haben.
Er spüre generell eine große Solidarität zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern. „Viele Unternehmer übernehmen Verantwortung für den Erhalt der Arbeitsplätze. Und die Arbeitnehmer nehmen Abstriche in Kauf für das Überleben der Unternehmen.“
Die Soforthilfe sei für Kleinstunternehmen sehr sinnvoll, „denn ihnen geht als erstes das Geld aus“, sagt der Steuerberater. „Mein klassisches Beispiel ist die Friseurin: Ihr fehlen die Einnahmen und das Trinkgeld, sie muss die Miete weiterbezahlen und hat ihre Lebenshaltungskosten zu tragen.“ Deswegen beantragen derzeit viele Kleinstunternehmer zusätzlich Grundsicherung.
Denn das Soforthilfe-Programm in Sachsen-Anhalt decke lediglich betriebliche Ausgaben ab – nicht die privaten Ausgaben der Lebenshaltung, die der Unternehmer benötigt, um beispielsweise seine Krankenversicherung zu bestreiten.
„Keinen Anspruch haben Gewerbetreibende, Freiberufler und Künstler, die nur im Nebenerwerb tätig sind“, erläutert er. Hart sei die Krise aufgrund des Reiseverbots für private Ferienwohnungsvermieter. „Sie bekommen keine Unterstützung und haben genauso ihren privaten Kapitaldienst an die Bank zu leisten wie die anderen auch“, sagt Sven Rüger.
Bei der Geschwindigkeit der Information am Ball zu bleiben, sei eine Herausforderung. „Es ist schwer, aber es zeigt, wie schnell Politik reagiert“, lobt er. „Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen neuen Kredit- und Bürgschaftsprogramme des Bundes und der Länder.“
Eine große Hilfe sei die Facebook-Gruppe „Steuerberater unter sich - Gemeinsam die Zukunft gestalten“, berichtet Antje Müller. „Da habe ich so viele Informationen rausgesaugt. Die Solidarität unter Kollegen ist länderübergreifend groß. Hier werden Erkenntnisse, Arbeitshilfen und Rundbriefe miteinander geteilt.“
Einer, der schon mehrfach ans Ministerium geschrieben hat, ist Gerhard Meffert. Der Steuerberater mit Sitz in Ballenstedt und Wernigerode hat als einer der Ersten die Kreditmöglichkeiten für Unternehmer gegenüber dem Wirtschaftsministerium kritisiert. Problematisch sei, dass nach „banküblichen Kriterien“ geprüft werde. „Das bedeutet, dass diese Kredite nicht für Unternehmen in Schwierigkeiten zur Verfügung stehen“, erläutert er. Doch gerade Unternehmen aus dem Hotel- und Gastgewerbe und junge Unternehmen verfügten über keine entsprechende Kapitaldecke, um als kreditwürdig zu gelten. Hier müsse das Land nachbessern. Einem soliden Unternehmen, das ihm zufolge 150.000 Euro beantragt hatte, um die Krise zu überbrücken, seien lediglich 15.000 Euro von der Bank bewilligt worden. „Gerade die Banken, die während der Bankenkrise mit Rettungsschirmen gestützt wurden, sollten ihren Teil leisten, um in dieser Krise die Not abzumildern“, so Meffert.
Lobend hebt er hervor, wie schnell die Ämter derzeit arbeiten. „Umsatzsteuerstundungen und Erstattungen werden ruck, zuck genehmigt in Quedlinburg“, sagt er. Und auch die Soforthilfen seien rasch bearbeitet und ausgezahlt worden. „Die Bearbeitungszeiten liegen zwischen fünf und zehn Tagen. Das funktioniert wirklich gut.“ Im Augenblick sei jede Form von Stundung und Aussetzung sinnvoll für Unternehmer. „Und wenn es die Krankenkassenbeiträge sind, die für März und April nicht sofort gezahlt werden müssen“, sagt der Volkswirt und Konditormeister. „Derzeit geht es ums nackte Überleben.“
Dass zahlreiche Unternehmer nun Sozialhilfe beantragen, hält er psychologisch für schwierig. „Ich habe Mandanten, die sich aus der Erwerbslosigkeit heraus selbstständig gemacht und sich etwas aufgebaut haben, und nun in die Sozialhilfe getrieben werden. Man bekommt ein Stigma. Das alles wird ganz enorme gesellschaftliche Folgen haben.“
Alle drei Berater bescheinigen ihren Mitarbeitern gerade außergewöhnliche Leistungen. „Meine 24 Mitarbeiter stehen voll hinter unseren Mandanten. Es will momentan keiner in den Urlaub gehen. Denn alle Unternehmen, die es nicht schaffen, die verlieren wir als Mandanten. Das ist allen bewusst“, sagt Sven Rüger.
„Meine größte Sorge war, krank zu werden und auszufallen – diese Angst ist mittlerweile sehr weit weg“, sagt Antje Müller. Sie ist überzeugt: „Auch unsere Branche wird Federn lassen. Es wird nicht jeder schaffen, die Krise finanziell zu überstehen.“ Bei vielen komme die Krise erst zwei, drei Monate zeitversetzt an. Ob sie Wünsche für die Zukunft hat? „Gesundheit für unsere Mitarbeiter und deren Familien und dass unsere Mandanten uns so erhalten bleiben, wie sie jetzt sind – die Großen wie die Kleinen.“