Jürgen Wiegand absolviert seit Wochen einen Hürdenlauf der besonderen Art Jeden Morgen klettert ein Zusteller mit Zeitungen unterm Arm durch die Baugrube
Sturm und Regen, Schnee und Eis, dichte Nebelschwaden, kalter Nieselregen - all das sind sie schon gewöhnt, die weit über 100 Zusteller der Volksstimme. Doch sie haben auch mit anderen Widrigkeiten zu kämpfen.
Von Sabine Scholz
Halberstadt l Es ist dunkel. Jürgen Wiegand steigt aus seinem Auto, einige Ausgaben der aktuellen Volksstimme unter dem Arm. Er muss vorsichtig sein, wenn er in den Graben springt, die Straßenlaternen weiter hinten werfen nur ein spärliches Licht. Dennoch, der Halberstädter lacht - es ist halt eine besondere Herausforderung, hier im Brombeerweg die Tageszeitung zuzustellen.
Dabei sind es weniger fehlendes Licht an Hauseingängen, versperrte Grundstückszufahrten oder aggressive Hunde, die den Familienvater, den alle nur "Bombe" nennen, hier herausfordern.
Seit Monaten bestimmen Bagger, Baugruben und Bauarbeiter das Bild in der von Ost nach West abfallenden Straße. Im Osten, an der Einmündung auf die Friedhofstraße, sind die Bauleute schon fast fertig, irgendwann wird auch der tiefergelegene Abschnitt der Straße wieder eine solche sein.
Bis dahin aber klettert Jürgen Wiegand weiter vorsichtig durch die aufgerissene Straße, versucht, an die Grundstückszugänge zu kommen. Zurzeit legt er die Volksstimme meist nur "oben ab", denn die Briefkästen oder Zeitungsröhren zu erreichen, ist fast unmöglich. Nur einer der Abonnenten hat weiter unten an der Straße einen Briefkasten hingestellt, der gut zu erreichen ist. "Das wäre ja auch mal eine Idee - eine kleine Briefkastenparade an einer zugänglichen Stelle, wenn es solche großen Bauvorhaben gibt. Aber das ist wahrscheinlich nicht umzusetzen", sagt Wiegand nachdenklich. Derweil hat er die Hälfte seines Brombeerweg-Hindernislaufes fast hinter sich gebracht.
Zum Glück ist es trocken, die Gefahr, in dem schlammigen Lehmboden auszurutschen, eher gering. Aber es regnet eben auch mal. "Wenn es regnet, habe ich schon ab und zu mal die Reste von den Kunststoffrohren, die hier herumliegen, genommen und die Zeitung da rein gepackt, bevor ich sie auf das Grundstück lege. Aber nicht immer klappt es, hier zu improvisieren", erzählt der Mann, der mit Leib und Seele seit Jahren die Tageszeitung und Biberpost austrägt.
Dass sich Abonnenten beschweren, wenn die Zeitung nass geworden ist, kann er verstehen. Bei solchen Hindernissen wie der Baustelle ist es jedoch nicht einfach, immer allen Ansprüchen gerecht zu werden. Aber es gibt auch Leser, die die Mühen erkennen und sich auf ihre Weise bedanken. "Neulich lag ein Päckchen Kaffee in der Röhre", erzählt Wiegand lachend. "Das ist ja nun wirklich nicht nötig, aber gefreut hat es mich schon", gibt er zu.
Aber zum Schwatzen hat er nicht viel Zeit, er muss weiter. Die Leser in den anderen Straßenzügen in seinem Revier wollen auch mit aktuellen lokalen und regionalen Nachrichten und Berichten aus aller Welt versorgt werden. Also klettert er nach seinem sportlichen Hindernislauf an aufragenden Kanalzugängen und unterschiedlich hohen Bodenniveaus wieder aus der lehmigen Baugrube und setzt seine Tour fort.