Flüchtlinge Mehr Ärzte sind dringend nötig
Die Zentrale Anlaufstelle in Halberstadt platzt aus allen Nähten. Für die Untersuchung der Flüchtlinge fehlen Ärzte.
Halberstadt l Dauerklingeln. Vor dem Eingang der Arztpraxis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende (ZASt) in Halberstadt stehen mindestens 15 Personen. Sobald jemand von der anderen Seite durch die Tür entschwindet, versuchen sie in die Arztpraxis zu gelangen. Doch die Schwester, eine zierliche Frau, bleibt standhaft. "Mehr geht nicht", sagt sie und zieht die Tür zu.
In der Praxis warten junge Männer. Schwestern hetzen an ihnen vorbei. Zwischendurch rufen sie die nächsten Patienten auf - oder besser gesagt, sie versuchen es. Die syrischen und serbischen Namen gehen ihnen schwer über die Lippen und die Patienten fühlen sich erst nach mehrmaligen Wiederholungen angesprochen.
Mangels gemeinsamer sprachlicher Basis wird viel gestikuliert während der Erstuntersuchungen. Diese sind Pflicht für alle Flüchtlinge, um sicher zu gehen, dass sie nicht an übertragbaren Krankheiten leiden. Im Normalfall dauert die Untersuchung kaum fünf Minuten pro Patient, dennoch sind zuweilen mehrere Stunden Wartezeit üblich. Der Grund ist einfach, sagt Dr. Heike Christiansen, Amtsärztin des Landkreises Harz: "Wir sind an der Grenze des Machbaren. Bei der steigenden Anzahl von Flüchtlingen ist die Aufgabe kaum noch zu bewältigen."
2009 stellten insgesamt 817 Menschen in Sachsen-Anhalt einen Asylantrag, 2014 waren es 6618, teilt das Innenministerium mit. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres sind schon 6056 Personen in Halberstadt - der bislang einzigen Erstaufnahmestation im Land - angekommen. Das bedeutet rund 500 Behandlungsfälle pro Woche. "Tendenz steigend", berichtet Heike Christiansen. Im Innenministerium wird in diesem Jahr mit insgesamt 18 000 Flüchtlingen gerechnet.
Neben den Medizinern aus dem Kreis-Gesundheitsamt arbeiten fünf weitere Ärzte in der ZASt-Praxis. Letztere sind Ruheständler, die sich tageweise dieser Aufgabe widmen. Freiwillig. Der älteste von ihnen feiert bald seinen 74. Geburtstag. "Ich bin ihnen sehr dankbar für ihr Engagement - besonders in der jüngsten Zeit", betont Christiansen.
Ende Juli waren Arbeitsumfang und Überlastung so stark, dass die Amtsärztin in die Offensive gegangen ist. Via Pressemitteilung suchte sie öffentlich nach "Medizinischer Unterstützung in der ZASt". Neben Ärzten würden auch Röntgenassistenten, Arzthelferinnen und Schwestern dringend benötigt, so die Medizinerin.
Erste Bewerbungen seien eingegangen, auch von Interessenten aus anderen Bundesländern. "Natürlich wäre es schön, wenn die Bewerber Englisch oder Französisch sprechen, im Idealfall Arabisch, aber das ist kein Muss", so Christiansen. Sie hofft, dass ein Kollege eine 40-Stunden-Stelle besetzen kann und möchte. "Wir hören Herz und Lunge ab, tasten den Hals und den Bauch ab", erläutert Heike Christiansen. Bei allen über 15-Jährigen gehöre das Röntgen der Lunge zum Check, um eine etwaige Tuberkulose-Erkrankung auszuschließen. "Es gibt immer mal wieder Fälle, aber nicht vermehrt", versichert die Medizinerin. Auch Infektionskrankheiten gebe es nicht häufiger als in anderen Bevölkerungsgruppen.
"Schlafstörungen kommen oft vor, ebenso Kopf- und Magenschmerzen", berichtet sie. "Bei allem, was die Menschen hinter sich haben, ist das kein Wunder." Leider gebe es beim aktuellen Zeitdruck wenig Gelegenheit, sich eingehend mit den persönlichen Geschichten auseinander zu setzen. Ebenso fehle die Zeit, um Erkrankungen wie Diabetes und Asthma vor Ort zu behandeln.
"Dafür sind wir nicht zuständig", erklärt die Amtsärztin. Wenn ein Flüchtling krank ist, wird er von Ärzten im Stadtgebiet von Halberstadt oder im Krankenhaus behandelt. "Das klappt gut, bedeutet aber Mehraufwand." Deshalb hat sie einen klaren Wunsch: Ein Hausarzt, der in der ZASt dauerhaft eine Sprechstunde anbietet. "Zumindest halbtags, da wäre uns schon geholfen", so Christiansen.
Eine solche einzurichten, ist wiederum Sache des Landes. Und das Land reagiert nun auf das offenkundige Defizit. Vor wenigen Tagen wurden vom Landesverwaltungsamt zwei unbefristete Vollzeit-Stellen ausgeschrieben: Für einen Arzt und einen Psychologen.