Kultur Münchhausen erobert Halberstadt

Halberstadt
Vielleicht liegt es am Namen: Epoche der deutschen Aufklärung (1720-1800)?
Das klingt streng und erhaben, ganz ohne Raum für Heiterkeit und Fantasie. Dass dem bei Weitem nicht so ist, hat – wieder einmal – die am 25. April, zu Ende gegangene Ausstellung „Wunderbare Geschichten des Freiherrn von Münchhausen. Text - Bild – Kuriositäten“ im Gleimhaus gezeigt. Die Sonderausstellung hat das Literaturmuseum der deutschen Aufklärung in Kooperation mit der Münchhausen-Bibliothek Zürich entwickelt.
Zwischen der Eröffnung und der Finissage, beide digital, liegen viele - ebenfalls digitale - Veranstaltungen, um dem Phänomen Münchhausen auf die Spur zu kommen und die überbordende Fantasie der beiden Schöpfer der literarischen Figur, Rudolf Erich Raspe (1736 – 1794) und Gottfried August Bürger (1747- 1794), in Text und Bild nachzuvollziehen.
Münchhausen gibt sich persönlich die Ehre
Als special guest (besonderen Gast) haben die 36 Teilnehmer bei der Abschlussveranstaltung Hieronymus Carl Friedrich Freiherrn von Münchhausen (1720 - 1797) in persona begrüßen dürfen. Götz Lautenbach, Schauspieler, Regisseur und Autor aus Göttingen, hat dem Baron Gesicht und Stimme in einer aparten Mischung aus Gegenwart und literarischer Vergangenheit gegeben.
Aufgrund der geltenden Pandemie-Regeln lädt Münchhausen per Video zu einer unterhaltsamen Zimmerreise ein, um den Horizont seiner Zuhörer zu erweitern und sie von der eher tristen Gegenwart abzulenken.
Literarisches Vorbild ist Xavier de Maistre (geboren 1763 in Chambéry, gestorben 1852 in St. Petersburg). Mit der „Reise um mein Zimmer“ (1794) schuf der Franzose, der wegen eines unerlaubten Duells 42 Tage sein Zimmer nicht verlassen durfte, ein bis heute beliebtes Genre.
Bequem vom Sofa aus reisen
Für Lautenbach alias Münchhausen dient die „Zimmerreise“ als roter Faden seiner Performance. Bequem auf dem Sofa ausgestreckt, macht er im charmanten Duktus des 18. Jahrhunderts seine Kopfreise nach Russland an den Hof des Zaren Wladimir Wladimirowitsch und zum türkischen Sultan Recep Tayyip. Von der weitaus anstrengenderen, weil unbequemen Leiter erkundet er den Mond.
Bei all diesen Reisebeschreibungen greift der Performer immer wieder auf die Originaltexte von Bürger zurück, beispielsweise auf den Hasen mit den acht Beinen oder auf das Leben auf dem Mond, „wo die Menschen ihren Kopf unter dem rechten Arm tragen, und wenn sie auf eine Reise oder an eine Arbeit gehen, bei der sie sich heftig bewegen müssen, so lassen sie ihn gemeiniglich zu Hause“.
Im zweiten Teil der Performance, moderiert von Gleimhausdirektorin Dr. Ute Pott, gibt sich Münchhausen und seinen Gästen die Ehre, ihn zu befragen, etwa zu seinem Verhältnis zur Lüge oder freundlicher ausgedrückt zu seinem Verhältnis zu Dichtung und zu Wahrheit. Seine salomonische Antwort: um zu unterhalten, sei jedes Mittel recht.
Und dass der Mond nicht sein einziges kosmisches Ziel bleiben wird, verstehe sich von selbst. Als seine nächste Reise sehe er eine Mission zum Mars. Vor diesem Hintergrund wolle er, Münchhausen, Elon (Musk) darin bestärken noch größer zu denken.
Die Vorbilder für einen Lügenbaron
In einem kurzen Exkurs spricht Lautenbach von den literarischen Vorbildern für Münchhausen, etwa den miles gloriosus von Plautus, den Capitano, auch Capitano Spavento, eine Figur oder Maske aus der italienischen Commedia dellarte, Don Quichote von Cervantes oder Horribilicribrifax von Gryphius.
Den dritten Teil der facettenreichen Finissage bestreitet der Schauspieler Götz Lautenbach, der seit seinen Performances über einen der größten deutschen Entdecker, Georg Forster (1754–1794), anlässlich der Gleim-Literaturpreis-Verleihung an Jürgen Goldstein sowie zum 300. Geburtstag von Gleim, dem Literaturmuseum eng verbunden ist. Das Bindeglied: die gemeinsame Begeisterung für das 18. Jahrhundert.
Den Weg dahin, so erzählt Lautenbach, habe ihm Johann Joachim Winckelmann (1717- 1768), der Begründer der klassischen Archäologie und der Kunstgeschichte, gewiesen. Beeindruckt habe ihn an diesem Jahrhundert „der unglaubliche Aufbruch, der wahnsinnig neugierig mache“, eben die „Sucht nach der eigenen Anschauung“.
Mit diesem Plädoyer für Wissen, Vernunft und Fantasie, die sich nicht ausschließen, vielmehr sich gegenseitig ergänzen, endet die Münchhausen-Ausstellung im Gleimhaus.