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Erstes Aktionärstreffen im Theater: Informationen, Gespräche und Musik Ohne Kultur wäre es ein trostloses Land

Von Gerald Eggert 02.02.2012, 04:24

Der Kampf um den Fortbestand der 200-jährigen Theatertradition im Nordharz vereint Menschen über die Region hinaus. Halberstädter Hoteliers und Gastronomen setzten mit der Auflage einer Kultur-Aktie ihrerseits ein Zeichen. Jetzt fand das erste Aktionärstreffen statt.

Halberstadt l Mit "Theater, noch ist nicht alles verloren, noch kommen die Menschen zu dir. Und ich setz alles, alles auf dich, auch wenn ich alles verlier ..." eröffnete Norbert Zilz die Zusammenkunft in der Kammerbühne. Dort hatten sich jedoch nur rund 20 Personen eingefunden. Johannes Rieger deutete die geringe Teilnahme später nicht als Desinteresse, sondern stellte fest, dass die Kultur-Aktien-Besitzer nicht namentlich erfasst sind und sich eine Einladung daher schwierig gestalte.

Gemeinsam mit Verwaltungsdirektorin Gisela Wowereit ging der Intendant auf die Struktur des Hauses ein, verdeutlichte sehr anschaulich, welcher Aufwand betrieben werden muss, um ein Stück auf die Bühne zu bringen und wie viele Mitarbeiter außer den für den Zuschauer sichtbaren Akteuren daran beteiligt sind. Damit wurde deutlich, weshalb die Personalkosten an einem Theater - am Nordharzer Städtebundtheater sind es 86 Prozent - der größte Posten sind.

Bei Tschechow Drama "Drei Schwestern" sind zum Beispiel 14 Rollen zu besetzen. Am Theater sind jedoch nur sieben Schauspielerinnen und Schauspieler beschäftigt, so dass in einer umgeschriebenen Stückfassung Gäste und Statisten mitspielen. Bis sich nach sechs Wochen intensiver Proben der Bühnenvorhang hebt, haben rund 60 Personen "hinter den Kulissen" mitgewirkt, erklärte Gisela Wowereit. Beim Musiktheater falle diese Zahl noch höher aus.

"Ich bin dagegen, dass irgendein Theater geschlossen wird. Theater sind unverzichtbar für uns als Kulturnation."

Kulturstaatsminister Bernd Neumann

"Wenn ich einmal reich wär ...", sang Klaus-Peter Rein, begleitet von MD Johannes Rieger am Flügel. Diesen Traum des Tewje im Musical "Anatevka" haben wahrscheinlich alle 178 Theatermitarbeiter, denn sie werden nach einem Haustarifvertrag bezahlt, was 20 Prozent Lohnverzicht in der ohnehin geltenden niedrigsten Gehaltsstufe bedeutet. Damit haben sie dazu beigetragen, ein leistungsfähiges Ensemble zu erhalten.

Auf die Bezuschussung durch das Land eingehend, machte der Intendant deutlich, dass sein Haus pro Besucher 56 Euro jährlich benötigt, während es in Dessau 94 Euro und in Magdeburg sogar über 140 Euro sind. Subventioniert werde eigentlich nicht das Theater, sondern der Bürger. Rieger wehrte sich gegen "Milchmädchenrechnungen", die von Politikern aufgemacht werden. Er gab zu bedenken, dass bei allen Diskussionen die bestehenden Haustarifverträge kaum eine Rolle gespielt haben und über Folgen der Kürzungspläne der lokalen und regionalen Politik nicht nachgedacht wurde.

Gewünscht wird, dass so mancher Entscheidungsträger nicht nur offizielle Veranstaltungen, sondern auch mal Theateraufführungen besucht. Auch um zu erleben, was hier geleistet wird. Wowereit verwies auf die Vielzahl von Produktionen für die sechs heimischen Spielstätten. Außerdem habe man schon in fast allen Gemeinden des Harzkreises vorgesprochen, um auf ,Unser Theater im Harz\' aufmerksam zu machen.

Dass Theater wie Kultur überhaupt ein wichtiger Standortfaktor, aber weit mehr noch ansiedlungs- und tourismusfördernd ist, versuchten Wowereit und Rieger mit einigen Zitaten deutlich zu machen. So verkündete Kulturstaatsminister Bernd Neumann: "Ich bin dagegen, dass irgendein Theater geschlossen wird. Theater sind unverzichtbar für uns als Kulturnation. Wir müssen akzeptieren: Kultur kostet Geld! Aber Kultur bringt auch Geld."

"Theater ist eine notwendige, unersetzliche Dimension unseres Lebens, unseres Zusammenlebens, unserer Kultur. Es ist unser ureigenstes Interesse, Theater möglich zu machen und abzusichern", bemerkte einmal Richard von Weizsäcker.

Theater solle Spaß machen, unterstrichen Verwaltungsdirektorin und Intendant und reichten das Mikro an Rein und Zilz weiter, die ihrerseits mit "Ach, das könnte schön sein ..." darauf reagierten.

In der anschließenden Diskussion waren sich die Teilnehmer einig, dass die Politiker alle Bemühungen der Bürger um den Erhalt der traditionellen Kulturstätte nicht ernst genug nehmen.

"Wir müssen unsere Politiker herausfordern, zum Theater zu stehen", sagte Harald Lachmund und nannte ein Beispiel aus Schweden, wo politische Lösungen gefunden wurden, ein Theater zu finanzieren und zu erhalten. "Ich möchte nicht nach Halle oder Magdeburg ins Theater fahren. Ich möchte meinen Wagner hier erleben." Und: "Warum sollten deutsche Politiker weniger schlau sein als ihre schwedischen Kollegen", forderte er zum Handeln auf.

"Was nützen uns die wundervollen Worte", bezog sich Marie-Luise Lorenz auf die zitierten Politiker, "wenn doch nichts passiert." Was könne man tun, damit denen da oben die Ohren gellen, fragte die langjährige Kammersängerin in den Raum. "Es geht nicht ohne Kultur. Ohne sie wären wir ein trostloses Land."

Sabine Klamroth, die "viele wunderbare Aufführungen in unserem Theater" erlebt hat, mahnte an, dass die Politik bereits vor vier bis fünf Jahren hätte reagieren müssen. Die Halberstädterin fragte zudem nach dem Stand des Aktienverkaufs.

Rund 7000 Euro haben die Aktionäre bisher in den "Zukunfts-topf" eingezahlt. Aufgrund noch ausstehender Rückläufe aus den vier Verkaufsstellen konnte Johannes Rieger die genaue Summe wie auch die Anzahl der Aktionäre nicht nennen.