Fachwerkhaus Rettung in Halberstadt trotz Abrissbeschluss
Eigentlich sollte ein Fachwerkhaus in Halberstadt Geschichte sein. Stattdessen will ein Investor das ruinöse Gebäude vor dem Abriss retten.
Halberstadt l Die Abrissbirne schwebt schon seit 15 Monaten über dem Grudenberg 9 in Halberstadt. Mit dem überraschenden Kaufangebot eines Investors für die städtische Immobilie ist das Vorhaben nun so gut wie vom Tisch. Dem historischen Fachwerkensemble am Grudenberg mit seinen sanierten Bauten bleibt ein schwerwiegender Eingriff aller Wahrscheinlichkeit nach erspart.
„Der Stadt liegt inzwischen der Antrag eines Interessenten zum Erwerb des Grundstückes mit Erhalt der Fassade einschließlich eines Nutzungskonzeptes vor. Der Antrag wird derzeit in der zuständigen Abteilung der Stadt bearbeitet. Bei Zustimmung wäre ein entsprechender Stadtratsbeschluss zu fassen“, informiert Rathaussprecherin Ute Huch. Stillschweigen herrscht jedoch bei der Frage, wer hinter dem Angebot steckt. „Der Datenschutz verbietet Infos“, so Ute Huch.
Gegenüber der Volksstimme outet sich der potenzielle Käufer, der für das etwa 200 Jahre alte Fachwerkhaus Grudenberg 9 trotz schwerer Schäden an der Bausubstanz eine Zukunft sieht. Er betreibt in Halberstadt ein Ingenieurbüro und betreut unter anderem in der Altstadt Halberstadts seit vielen Jahren Bauvorhaben zur Rettung von Fachwerkhäusern. Darunter ebenso scheinbar hoffnungslose Fälle wie der Grudenberg 9. Der Mann weiß also, was er tut.
„Naja, so sicher bin ich mir da selbst noch nicht, wenn ich sehe, wie katastrophal es hinter der Fassade des Hauses aussieht“, scherzt der Bauingenieur, der bis zur Vertragsunterzeichnung anonym bleiben möchte. „Ich bitte um Verständnis. Die Tinte unter dem Vertrag muss erst trocken sein“, sagt er im Volksstimme-Gespräch.
Erste Vorstellungen für die Zeit danach hat der Fachmann bereits. Er geht davon aus, dass auf alle Fälle das Anfang der 1990er Jahre erneuerte Dach und auch die Fassade erhalten bleiben können. „Alles dahinter ist nicht mehr zu retten und muss unbedingt erneuert werden“, attestiert er. Nach der erfolgreichen Sanierung will der Investor mit seinem Ingenieurbüro in den Grudenberg 9 einziehen. Außerdem sei eine Wohnnutzung vorgesehen.
Für die Stadtverwaltung Halberstadt kam das Kaufangebot überraschend. Das seit Jahrzehnten verwaiste Gebäude befindet sich in einem sehr schlechten Zustand, attestiert das Gutachten eines Sachverständigen, das letztendlich die Grundlage für die schwere Abriss-Entscheidung durch die Kommune war. Die Schäden seien vielfältig. Hinter der scheinbar schmucken Fassade am Grudenberg verbirgt sich ein schwerkranker Patient, der aus Sicht des Gutachters eigentlich nicht mehr zu retten war.
Im Gutachten heißt es: „Hölzer mit starkem Drehwuchs, sehr starkem Harzausfluss, Hausbockschädigungen, mit offenen Holzverbindungen und Echtem Hausschwamm lassen einen Wiederaufbau nach Rückbau nicht zu. Durch die biologischen Schäden ist die statisch-konstruktive Funktionsfähigkeit des Gebäudes nicht gegeben. Es besteht Gefahr des Wegbrechens der Hofaußenwand, die Wand kann für sich einfallen.“
Nach diesem verheerenden Gutachten beschloss der Stadtrat bereits im November 2019 den Abriss des maroden Fachwerkhauses, weil mit einem Einsturz des Gebäudes zu rechnen war und damit Gefahr in Verzug sei. Obwohl Abriss-Entscheidungen in der Kreisstadt mit Blick auf die Geschichte bis 1989 sehr problematisch sind. Viele Halberstädter erinnern sich mit Schrecken daran, dass große Teile der Altstadt in vier Jahrzehnten DDR mit Kalkül dem Verfall und Abriss überlassen wurden. Ganze Straßenzüge mit alter Architektur verschwanden so bis zur friedlichen Revolution im Herbst 1989. Ein trauriges Kapitel, das sich nicht wiederholen sollte. Auch dafür gingen damals tausende Halberstädter auf die Straße.
Seit 1990 wird in Halberstadts Altstadt erfolgreich an der Rettung der verbliebenen Bauschätze gearbeitet. Im Fall des Grudenbergs 9 war der Verfall jedoch zu weit fortgeschritten, die Investhöhe für die Stadt zu groß und die anschließende Vermarktungs- und Nutzungschance zu klein. Der ursprüngliche Plan war: die Abrisslücke mit einem Neubau zu füllen. Das Gesamtkonzept sah für Abriss und Neubebauung der Fläche Kosten in Höhe von 1,65 Millionen Euro vor. Davon verabschiedete sich die Kommune dann schnell wieder. Übrig blieben die Abrisskosten in Höhe von 47 362 Euro. Die kann die Stadt nun ebenfalls sparen, wenn es zur Vertragsunterzeichnung mit dem Investor kommen sollte.
Urkunden, die das genaue Alter des Fachwerkhauses belegen, gibt es nicht. „Die Bauakte Grudenberg 9 beginnt im Jahr 1841 mit dem Antrag für einen Umbau, was schlussfolgern lässt, dass das Gebäude noch älter ist, vermutlich Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts“, berichtet Ute Huch. Ein Eintrag über das Baujahr sei nicht vorhanden. Das Gebäude steht seit Mitte der 1980er Jahre leer. Das Wohnhaus sei nicht als Einzeldenkmal verzeichnet, gehöre jedoch zum Denkmalensemble mit den angrenzenden und nahestehenden Häusern. Gleich nach der Wende erfolgte im Rahmen erster Sicherungsschritte durch die NILEG (Niedersächsische Landesentwicklungsgesellschaft) eine Aussteifung des Gebäudes. Darüber hinaus wurde das Dach neu gedeckt. Wäre dies nicht geschehen, würde das Gebäude schon längst nicht mehr stehen.