Emotionaler Abschied Schluss für Chefin vom Rauhen Haus: "Die Arbeit mit den Kindern hat mir immer Spaß gemacht"
Es ist zu einer festen Adresse geworden für Kinder, die in problematischen Verhältnissen aufwachsen. Die Arbeit im Rauhen Haus in Halberstadt trägt auch die Handschrift von Petra Lorek. Doch damit ist jetzt Schluss.
Halberstadt - Eine Girlande aus bunten Lettern verrät dem Besucher, an welcher Tür er hier klingelt: „Rauhes Haus“.
Das Areal vor dem Haus im Poetengang hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Es wirkt gepflegt, neue Spielgeräte auf modernen Fallschutzmaterialien verraten, hier sind Kinder willkommen. Die bunte Wandbemalung ist ein erster Hinweis darauf, dass es kreativ zugeht an diesem Ort.
Petra Lorek öffnet die Tür. Es ist ungewohnt still in dem großen Fachwerkhaus. So früh am Tag sind noch keine Kinder hier. Schließlich sind noch keine Ferien, deshalb beginnt der Trubel erst gegen 13 Uhr.
Aber dann ist richtig was los, Kinder und Jugendliche kommen, wollen erzählen, sich austoben, etwas essen. In den Mitarbeitern des Orientierungshauses finden sie Zuhörer, Unterstützer, Ratgeber, die sie auch mal in die Schranken weisen, wenn nötig. Aber immer mit großer Zugewandtheit. Schließlich ist jedes Kind etwas Besonderes, hat eine Begabung. Auch wenn die oft aus unterschiedlichsten Gründen verschüttet, das Selbstvertrauen angeknackst ist.
Hört man Petra Lorek zu, wird schnell klar, warum sie sagt: „Es war eine ganz, ganz fantastische Zeit, ich bin wirklich jeden Tag mit Freude hergekommen.“ Sie liebt, was sie tut. Seit 15 Jahren.
Dabei war der Weg dahin für die 66-Jährige nicht geradlinig. Sie wollte schon als Jugendliche mit Kindern arbeiten, Horterzieher, Grundschullehrer, Säuglingsschwester, so etwas schwebte ihr vor. Sie fand aber keinen Rückhalt und ließ sich zu einer Ausbildung im Großhandel überreden, studierte Betriebswirtschaft. So richtig Freude machte der Bürojob ihr nicht, es war 20 Jahre lang eher nur der Brotverdienst.
Mit der Wende kam für die Halberstädterin die Chance auf einen beruflichen Wechsel. Sie entschied sich, in einem Bildungswerk zu arbeiten, hatte sie doch schon die Ausbildereignung. Bildete sich dann zur Sozialpädagogin weiter und betreute in dieser Funktion die Jugendlichen in dem Bildungswerk.
Doch irgendwann war der Akku leer, die Mutter einer Tochter beschloss, eine Phase der Arbeitslosigkeit bewusst als Auszeit zu nutzen. Lange stillsitzen kann Petra Lorek nicht, also fragte sie in der Freiwilligenagentur des Diakonischen Werkes nach, ob sie nicht ehrenamtlich tätig werden könne. Konnte sie, im Rauhen Haus. Damals hatte Marlis Barsnick diese Anlaufstelle gerade aufgebaut. Petra Lorek fand sofort einen Draht zu den Kindern und blieb. Sie hatte ihre Berufung gefunden. Zwei Jahre arbeitete sie ehrenamtlich mit, dann übernahm sie von Marlis Barsnick die Leitung des Hauses, das vom Kirchenkreis Halberstadt getragen wird.
Dass sie getauft war, war für die Leitungsfunktion eine wichtige Grundlage, auch wenn sie nicht als praktizierende Christin aufwuchs, wie Petra Lorek berichtet. Aber den Blick auf den Menschen zu richten, ihn anzunehmen, wie er ist, das fällt ihr leicht. „Die Arbeit mit den Kindern hat mir immer Spaß gemacht. Ich hatte auch immer ein gutes Team an meiner Seite“, sagt die scheidende Leiterin rückblickend. Auch wenn es nicht immer einfach war, es habe sich gelohnt, für das Haus und die Kinder zu kämpfen.
Denn dass das Außengelände saniert ist – vor allem die Entwässerung bereitete Probleme – dafür musste sie länger kämpfen als gedacht. „Dabei hatten wir das Geld, aber es war schwierig, alles auf den Weg zu bringen.“ Denn auch wenn das Haus vom Kirchenkreis betrieben wird, das Grundstück ist städtisch. Es mussten also viele Partner an einen Tisch, um im laufenden Betrieb die Arbeit zu wuppen.
Nun freue sie sich, so ein tolles Haus übergeben zu können. Im Laufe ihrer 13 Jahre als Leiterin hat sie ein Elterncafé etabliert, die gemeinsame Familienfreizeit im Sommer unterstützt Kinder und Eltern gleichermaßen.
Meist jedoch geht es nur um die Kinder. Ihnen einen geschützten Raum und Tagesstruktur zu geben, herauszufinden, welche Begabung sie besitzen und diese dann zu fördern, das ist ihr wichtig gewesen, sagt sie. Dass auch ein enormer Lärmpegel zum Arbeitsalltag gehört, damit habe sie umzugehen gelernt.
Nun geht Petra Lorek in den Ruhestand. Morgen wird sie im Dom mit einem Gottesdienst verabschiedet, anschließend gibt es einen kleinen Empfang im Rauhen Haus. „Die Kinder haben etwas vorbereitet, das weiß ich, aber nicht, was.“
Sie gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Denn die neue Lebensphase werde ihr erlauben, endlich mehr Zeit für ihre Familie zu haben, endlich mehr die Oma-Rolle ausfüllen zu können. Hat sie doch vier Enkel, zwei davon sind noch sehr klein. Außerdem kann sie dann mehr die Zweisamkeit mit ihrem Mann genießen. Wandern gehen, dem Nordic Walking frönen, radfahren. Nach Ruhestand klingt das nur bedingt. Sie wolle sich nicht festlegen, sagt Petra Lorek, „es kommt doch sowieso immer anders, als man denkt.“
Einen großen Wunsch aber hat sie – dass sich ein Nachfolger findet, der das Haus weiter in die Zukunft trägt. Bis zum Jahresende ist eine Übergangslösung gefunden, die Leitungsstelle wird neu ausgeschrieben.