Wissenschaft Sensation: Grottenolme haben Eier gelegt
Die Grottenolme in der Rübeländer Hermannshöhle haben Eier gelegt. Erstmals nach 85 Jahren.
Rübeland l Pünktlich zur Scheckübergabe durch die Lotto Toto GmbH Sachsen-Anhalt am Freitagmittag in Rübeland konnte die Neuigkeit verkündet werden.
Für die Forscher um Projektleiterin Dr. Anne Ipsen ist das sogar eine wissenschaftliche Sensation. Bisher vier Eier wurden nach Angaben der promovierten Biologin gefunden. Das ist zwar nicht viel, räumt die Expertin aus Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) ein. Aber: „Die Hoffnung ist groß, dass es gelingen könnte, nach 85 Jahren Haltung von Olmen in der Hermannshöhle, die Tiere zur Fortpflanzung zu bringen.“ Immerhin kommt statistisch gesehen ein Drittel der Eier zur Entwicklung. Damit sie ungestört gedeihen können, werden sie in gesonderten Becken gehalten.
Es ist nicht die erste Überraschung, die im nur 85 Zentimeter tiefen Olmensee schlummerte. Und zudem eine spannende Geschichte, wie die Mini-Drachen in den Harz gelangten. Anne Ipsen hat sie gemeinsam mit der Höhlenforscherin Beate Puffe und Dr. Friedhart Knolle, Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz, recherchiert. Im Mai soll das zwölfseitige Manuskript veröffentlicht werden.
Danach hatte das Olmen-Vorhaben hier 1931 begonnen. 1932 berichtete der Berliner Geologe Dr. Walter Biese im Einvernehmen mit der Rübeländer Höhlenverwaltung über die Ansiedlung von fünf Grottenolmen aus der Adelsberger Grotte, heute Postojnska Jama in Slowenien. Eigens dafür wurde am 1. April 1932 eine wissenschaftliche Beobachtungsstation eingerichtet. Bis 1934 konnte Biese seine Pläne weiterverfolgen. Weil er als Sozialist vom NS-Regime verfolgt wurde, emigrierte der Forscher über die Schweiz nach Chile.
Weiteres dokumentarisches Material liegt nach den Erkenntnissen der Autoren nicht vor. Buchstäblich still ruhte der See über Jahre. Bis 1956. Da brachte das Rübeländer Ehepaar Wolfgang und Ingeburg Reichel 13 neue Grottenolme von einer Reise aus der Postojnska Jama mit. Sie wurden am 22. Januar 1957 ausgesetzt.
Nur scheibchenweise wurden seinerzeit die tatsächlichen Umstände der Aktion bekannt. Reichel selbst publizierte dazu einen Bericht in der Liberal-Demokratischen Zeitung Wernigerode-Halberstadt vom 17. Januar 1957. Dieser zog Kreise und wurde überregional aufgegriffen.
Nach einer Veröffentlichung in der Berliner Zeitung griff das Belgrader Blatt Politika die westdeutsche Presse scharf an und sprach von Diebstahl. Es dauerte, bis geklärt werden konnte, dass die Hermannshöhle auf dem Gebiet der DDR lag. Die Affäre zog Kreise bis in die Außenministerien.
Später stellte sich heraus, dass der Besucher aus dem Harz die Amphibien nicht schlicht geklaut hatte, sondern laut einem Schreiben „listig in Besitz bekommen von einer nicht zuständigen Stelle“. Unter tätiger Mithilfe eines „jugoslawischen Reichel“.
Die Wogen glätteten sich nach dieser Darstellung. Die urzeitlichen Fabelwesen fristeten mehr oder weniger unbeachtet weiter ihr Dasein im Tropfstein des Elbingeröder Komplexes.
Das änderte sich erst um 1978. Da begannen Forscher aus dem Ort und Wernigerode mit Genehmigung des damaligen Höhlendirektors Heinz Wiese an anderer Stelle Zuchtbecken zu bauen. 1984 folgte eine Reinigungsaktion, da der See nach 50 Jahren praktisch verdreckt war. Dafür mussten die Olme zunächst gefangen werden. 13 Exemplare wurden dabei gezählt.
1981 widmeten sich auf Veranlassung der Höhlenforscher Christel und Reinhard Völker die Spezialisten Dr. Johannes Klapperstück (verstorben) und Dr. Wolf-Rüdiger Große von der Martin-Luther-Universität Halle (Saale) den Olmen. Neun von ihnen wurde gefangen und vermessen. Bei allen handelte es sich nach Auffassung der Wissenschaftler um Männchen. Bei einer weiteren Überprüfung konnten 1985 alle 13 Höhlenbewohner in Augenschein genommen werden. Das Ergebnis blieb gleich – kein Weibchen.
1998 war Große eigenen Angaben nach auf Einladung der Höhlenforscher nach Rübeland gereist. Es wurde ein Konzept zur Erhaltung der Tiere zu Schauzwecken entwickelt. 2008 folgte eine weitere Visite. Diesmal sollten zwei Weibchen aus der Nachzucht in der Höhle von Moulis (Frankreich) beschafft werden. Wolf-Rüdiger Große schreibt: „1981 waren die Olme 22 bis 26 Zentimeter lang, zwei davon in guter sexueller Verfassung, geeignet zu Vermehrungsversuchen.“ Das Alter wurde von ihm seinerzeit auf etwa 63 Jahre geschätzt, eine Lebensdauer von 80 bis 100 Jahren prognostiziert.
Als 2014 ein Todesfall im Tümpel zu beklagen war, wurde die Lage richtig heikel. Über einen Kontakt nach Frankreich konnte Olivier Guillaume gewonnen werden, nach Rübeland zu fahren. Der Wissenschaftsingenieur leitet das Labor für experimentelle Ökologie am Center National for Research Scientific in Moulis und züchtet selbst Olme.
Am 7. Januar 2015 fing er die Tiere im Beisein von Wolf Rüdiger Große und Anne Ipsen. Was dann folgte, war die Überraschung schlechthin. Fünf unter den angeblichen neun Männchen waren in Wirklichkeit Weibchen. Zwei von ihnen trugen Eier. Da dies nur alle zehn bis 15 Jahre geschieht, könnten die früheren Untersuchungen zu den bekannten falschen Resultat geführt haben.
Leider gab es 2015 ebenfalls Verluste. Zwei Olme starben kurz nach der Bestimmung an Geschwüren beziehungsweise Sepsis nach Bissverletzungen. Vermutlich waren sie Opfer von Revierkämpfen geworden. Grund genug, möglichst schnell etwas zur Rettung der Population zu unternehmen.
Im Oktober 2015 konnte das Vorhaben gestartet werden. Zunächst wurde der See mit Steinen so umgestaltet, dass die Lurche ausgedehnte Rückzugsbereiche bekamen. Seither kümmern sich mit Ute Fricke und Sabine Schmidt zwei Höhlenführerinnen um das Wohl der Tiere.
Um erfolgreich zum Ziel zu gelangen, wurden eine Projektskizze entworfen und ein Förderantrag von der Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz mit Unterstützung des Tourismusbetriebs Oberharz am Brocken mit seinem Leiter Thomas Schult bei der Lotto- Toto GmbH Sachsen-Anhalt eingereicht.
Die im Herbst bewilligten 12 000 Euro decken fast die Hälfte des Budgets ab. Die fehlende Summe wird durch die anderen beteiligten Partner aufgebracht.
Geht es nach ihnen, wird nicht nur eine seltene Art erhalten, sondern auch der Tourismus gestärkt. Deshalb heißt es im Titel: „Faszinierende Höhlenbewohner ans Licht bringen“. Zwei Tablets sollen am Olmensee installiert werden, auf denen eine Dia-Show und ein Film laufen. Auch außerhalb der Höhle sollen den Besuchern Informationen über deren seltene Bewohner vermittelt werden.
Anne Ipsen: „Es wäre wunderbar, wenn es nach über einem dreiviertel Jahrhundert gelänge, die Tiere zur Fortpflanzung zu bringen.“ Und: „Als Biologin bin ich fasziniert davon, welches große Potential der Anpassung sie besitzen, mit wie viel scheinbarer Gelassenheit sie sich in der Welt bewegen, in die sie nicht einmal schauen können, auch wenn uns das zunächst nicht auffällt.“
Sollten sich hier Olmeneier zu Olmen entwickeln, sagt die Expertin, „wäre das der beste Weg, die Population langfristig zu sichern“.