Halberstadt Türmer für die Martinikirche
In 29 Metern Höhe befindet sich die wohl schönste Aussichtsplattform Halberstadts direkt zwischen den Türmen der über 670 Jahre alten Martinikirche. Bianca Groß und Jens Pforte betreuen dort als Türmer Halberstädter und Touristen.

Halberstadt - Bianca Groß ist die erste Türmerin Halberstadts. Erst vor wenigen Tagen trat sie ihr Ehrenamt an.
Ihr Job ist es, Touristen auf die wohl attraktivste Aussichtsplattform der Kreisstadt zu führen, um ihnen aus der abwechslungsreichen Geschichte Halberstadts zu berichten beziehungsweise die vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt und in der Region zu zeigen. Von den Martinitürmen bietet sich nicht nur eine super Aussicht auf die Stadt, den Brocken und den Huy, sondern auf insgesamt 43 touristische Ziele in der Umgebung - wenn die Sichtverhältnisse es erlauben, so Bianca Groß.
Bei ihrer Vorstellung am gestrigen Donnerstag räumt Bianca Groß gleich erstmal mit der Behauptung auf, dass sie die erste Türmerin Halberstadts sei. „Das stimmt so nicht ganz. Im Zweiten Weltkrieg sollen zwei Frauen auf den Türmen gewesen sein, um von dort den Luftraum über Halberstadt zu beobachten und Alarm zu schlagen. So viel ich weiß, sollen beide während des Luftangriffs am 8. April 1945 auf den Türmen ums Leben gekommen sein“, berichtet die Halberstädterin.
Menschen die Schönheit der Stadt zeigen
Bianca Groß betreibt in Halberstadt seit vielen Jahren die kleinste Buchhandlung der Stadt am Johannesbrunnen. Dann wurde sie auf die Ausschreibung der Stadtverwaltung aufmerksam, die im Mai Türmer suchte.
Ohne lange zu überlegen bewarb sie sich. Vor zwei Wochen trat sie ihr Ehrenamt an. „Ich hatte da große Lust drauf. Der Arbeitsplatz zwischen den Türmen ist einfach toll und ich liebe es, Menschen die Schönheit meiner Stadt zu zeigen. Mit ihrem Job als Buchhändlerin kollidiert die Arbeit als Türmerin nicht, betont sie. Schließlich ist sie in der Buchhandlung ihre eigene Chefin und muss niemanden fragen, ob sie frei bekommt, wenn sie einen Einsatz auf den Türmen hat. Die ersten beiden Führungen hat die Halberstädterin bereits gemeistert. Schüler der Spiegel- und der Anne-Frank Grundschule gewährte sie einen besonderen Blick auf ihre Stadt. „Das war ein tolles Erlebnis. Die Schüler waren wissensdurstig“, berichtet Bianca Groß.
Hallenser führt in Halberstadt Touristen
Jens Pforte ist der zweite Türmer Halberstadts. Der 54-Jährige ist allerdings kein neues Gesicht im historischen Türmer-Kostüm. Seit fünf Jahren führt er bereits Touristen. „Ich interessiere mich für Geschichte und Menschen. Beides findet man hier als Türmer reichlich“, sagt er. Jens Pforte ist von Beruf Referent für Instandhaltung bei der Deutschen Bahn AG und gebürtiger Hallenser mit Zweitwohnung in Halberstadt.
„Anfangs dachte ich, kannste mit deinem Hallenser Dialekt in Halberstadt überhaupt Touristen führen. Ich stellte schnell fest, es funktioniert und es macht unheimlich viel Spaß.“ Die Touristen kämen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland. „Der Weitgereiste, den er zwischen den Türmen begrüßen konnte, kam bislang aus Kanada“, so der Türmer. Ein kurioses Erlebnis hatte er mit einem Mann, der unter Platzangst litt und Probleme mit der engen Wendeltreppe hatte, die auf die Aussichtsplattform führt. „Er war ganz stolz, als er es im dritten Anlauf auf die Türme schaffte.“
Jens Pforte fühlt sich mittlerweile schon als Halberstädter. Wozu nicht unerheblich sein Ehrenamt als Türmer beitrug. Er hat vor, dass aus dem Zweitwohnsitz ein Zuhause wird.
Fitness ist gefragt beim Aufstieg zur Plattform
„Fit sein ist wohl eine wichtige Bedingung, um in Halberstadt den Job eines Türmers zu bekommen. Außerdem sollte man Interesse an der Stadt mitbringen und Anekdoten über Halberstadt erzählen können“, betont Oberbürgermeister Daniel Szarata (CDU) während der Vorstellung. Die Aussichtsplattform befindet sich immerhin in 29 Metern Höhe zwischen den Türmen des Wahrzeichens Halberstadts, den beiden unterschiedlich hohen Türmen der Martinikirche.
128 Stufen einer eng an die Innenseite des Nordturms geschmiegten Treppe führen in luftige Höhe. Ein Weg, der die Mühe des Aufstiegs lohnt, unterstreichen die Türmer Bianca Groß und Jens Pforte.
„Die Tradition eines Türmers oder Hausmanns gab es seit dem Mittelalter bis 1908. Oft waren es mehrere Personen, die als städtische Angestellte mit Stube und Bett auf den Martinitürmen für die Sicherheit der Stadt sorgten“, berichtet Dr. Antje Gornig, Direktorin des Städtischen Museums Halberstadt. Sie hatten unter anderem oben über der Stadt tags und nachts regelmäßige Rundgänge in beiden Türmen zu verrichten und bei Feuer, Hochwasser, Gewitterfronten oder kriegerischen Angriffen die Bevölkerung per Türmer-Rohr und Glockenläuten rechtzeitig zu warnen. Die Kirchtürme der Stadtkirche St. Martini gehörten wie die Stadttore zum Warten- und Wehrsystem der Stadt und waren beziehungsweise sind in städtischem Besitz.
Ab August ist geplant, die Martini-Türme an jedem dritten Sonnabend im Monat von 11 bis 17 Uhr zu öffnen, damit Halberstädter und Gäste den Logen-Platz mit Aussicht über Halberstadt und hinaus genießen können.
„Die Aussichtsplattform zwischen den Martinitürmen und das Angebot, von Türmern geführt zu werden, ist schon etwas Besonderes in der Region und ein absolutes Aushängeschild für Halberstadt“, betont Antje Gornig.