Rainer Neugebauer stellte im Gleimhaus Leben und Werk von Arno Schmidt vor / Lust auf einen wenig bekannten Autor geweckt Ungewöhnlicher Schriftsteller im Fokus des Neuen Familienkundlichen Abends
Halberstadt l Mit Professor Dr. Rainer O. Neugebauer war ein begeisterter und mit umfangreichem Wissen ausgestatteter Freund dieses deutschen Schriftstellers ins Gleimhaus gekommen. Nur einige der vielen Gäste kannten Arno Schmidt, am Ende des Abends waren wohl die meisten überzeugt, dass es sich lohnt, seine Bücher zu lesen.
Man muss um die Ecke denken
Natürlich war es seine eigene Sicht, die Rainer Neugebauer bei seinem Vortrag über Arno Schmidt vermittelte. Und ganz so einfach, wie beim Lesen eines Romans, macht es uns dieser Schriftsteller eben auch nicht. Seine Werke wollen erarbeitet, erobert werden. Dass das vergnüglich sein kann, wurde durch ausgewählte Passagen aus einigen Werken von Schmidt deutlich. So wird in der Geschichte "Rollende Nacht" von 1966 aus der Sicht des Erzählers eine Eisenbahnfahrt beschrieben mit expressionistisch anmutenden Formulierungen wie, " der magere Mond, der sich eins fror". Hintergründig auch der "Bundeswehrsoldat ohne Kopf", womit gemeint ist, dass ein Zeitungsblatt an dieser Stelle geknickt war. Man muss bei Arno Schmidt schon sehr aufpassen und " um die Ecke denken", wenn man seine Metaphern und Wortspiele verstehen will.
So meinte Rainer Neugebauer, dass auch er bei dem umfangreichen Werk " Zettel\'s Traum" von 1970 mit einem Nachschlagewerk in der Hand las, um die vielen benutzten Fremdworte und Anspielungen zu verstehen. Wahrscheinlich ist " Zettel\'s Traum" das vom Äußeren größte und vom Anspruch an den Leser schwierigste Buch Schmidts. Immer wieder verblüfft der Wortwitz - er nannte sich selbst "Wortwetz"- also der "am Wort arbeitende Steinmetz".
Lange Zeit durchgehungert
1914 in Hamburg geboren, erschien Schmidts erstes Werk erst 1949. Doch seine Fantasie war bereits in der Kindheit rege, die sich im Schreiben von Gedichten äußerte. Das Abitur, ein kaufmännischer Beruf und Jahre als Soldat schlossen sich an. Er arbeitete nach dem Krieg als Dolmetscher, Übersetzer von literarischen Werken aus dem Englischen (Edgar Allen Poe, James Fenimore Cooper, William Faulkner) und schrieb für das Radio Stücke in Dialogform. Mit diesen versuchte er "vergessene" deutsche Dichter wie Wieland, Herder, Johannes von Müller oder Karl Phillip Moritz in Erinnerung zu rufen.
Arno Schmidt hat sich die längste Zeit seines Schriftsteller Lebens durchgehungert und wäre ohne die "Care-Pakete" seiner Schwester wohl elend zugrunde gegangen. Und ohne den ersten Preis 1950 - der Große Akademie-Preis für Literatur der Mainzer Akademie - hätte er wahrscheinlich das Schreiben aufgegeben. So entstanden Bücher, die sich vorwiegend mit dem Alltag des Bundesbürgers zwischen 1950 und 1970 befassen. Um sich ein eigenes Urteil über Arno Schmidt bilden zu können, empfahl Neugebauer das Buch " Das steinerne Herz", nach einer Reise 1954 in die DDR geschrieben.
Anfeindungen ausgesetzt
Schmidt erhielt vier Literaturpreise, als letzten den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main im Jahr 1973. Vier Jahre später bekommt er Besuch von Jan Philipp Reemtsma, der ihm aus seinem Erbe ein großzügiges Geldgeschenk machte (den Betrag, den Autoren für den Literatur-Nobelpreis erhalten). Damit konnte Schmidt erstmals sorgenfrei leben und schreiben.
Als er 1979 starb, hinterließ er ein umfangreiches Werk, das auf unterschiedliche Weise betrachtet wurde und wird. Er war, wegen seines Schreibstils, wegen seiner teils recht gewagten, als unzüchtig bezeichneten Schriften und wegen seiner nicht leicht zu verstehenden "verschlüsselten" Sprache, vielen Anfeindungen ausgesetzt. Dennoch zählt er zu den bedeutendsten Schriftstellern der Nachkriegszeit, der sogar mit einem Reclam Taschenbuch ("Aus dem Leben eines Fauns") veröffentlicht wurde.
Wer Freude an intelligenten Wortspielen und hintergründigem Witz hat, sollte es mal in der kommenden "dunklen Zeit" mit einem Buch von Arno Schmidt versuchen.