1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Wenn der letzte Laden im Dorf schließt - Rheinländer zeigt eine Alternative auf

Themenkonferenz zur ländlichen Versorgung zeigt Weg aus Dilemma der Ladenschließungen Wenn der letzte Laden im Dorf schließt - Rheinländer zeigt eine Alternative auf

Von Mario Heinicke 29.09.2012, 03:18

Was passiert, wenn der letzte Laden im Dorf schließt? Eine erste Themenkonferenz in Osterwieck innerhalb des Projektes "ZukunftsWerkStadt" zeigte eine Lösung auf, wie Bürger ihr Glück selbst in die Hand nehmen können.

Osterwieck l Christian Klems spricht viel über das Dorf, vor allem hinten mit "v" geschrieben. DORV steht als Abkürzung für "Dienstleistungen und Ortsnahe Rundum-Versorgung". Die Osterwiecker luden Klems, den Ortsbürgermeister aus dem Jülicher Ortsteil Barmen bei Köln, ein, um über das DORV-Konzept zu berichten. Es ist ein Weg aus dem Dilemma, dass in den Dörfern kaum noch Einkaufsmöglichkeiten bestehen.

Mehreren Ortsteilen der Stadt Osterwieck ergeht es gerade ähnlich wie dem 1400-Seelen-Ort Barmen vor einigen Jahren. In Deersheim schloss Mitte August die Kaufhalle, im November gehen auch in Zillys Kaufhalle die Lichter aus. Und in Lüttgenrode droht das gleiche, wenn nicht bald etwas passiert. "Ich bin jetzt im Rentenalter", sagte Dieter Kiene, Ladeninhaber seit 20 Jahren. Er sucht dringend einen Nachfolger, damit die Lüttgenröder ihr Geschäft im Dorf behalten können.

Was also haben die Barmener getan, um die Entwicklung der Ladenschließungen zu stoppen, ja umzukehren? Sie gründeten einen Verein und bauten ab 2004 ihr "DORV-Zentrum" auf. "Die Idee hat Schule gemacht in Deutschland", sagte Klems. Mittlerweile gibt es zehn funktionierende DORV-Zentren von Nord- bis Süddeutschland, in Orten von 300 bis 3000 Einwohnern. In Ortsteilen von Osterwieck könnte das auch erfolgen, das wäre für Sachsen-Anhalt die Vorreiterrolle.

In Barmen bietet das DORV-Zentrum weit mehr als nur Lebensmittel. Es ist beispielsweise Formularzentrum für Verwaltungen, hier kann man sogar Autos anmelden, ein Bankautomat wurde aufgestellt, ein Arzt siedelte sich mit einer Zweigpraxis an. "Alles unter einem Dach", wie Klems erklärte. Solch ein Haus sei mehr als eine Einkaufsmöglichkeit. Es sei Treffpunkt für die Bevölkerung, hier finde Kommunikation statt.

Finanziert wurde das DORV-Zentrum in Barmen mit Hilfe finanzieller Anteile der Bevölkerung. "Die Anteilseigner bekommen keine Rendite ausgezahlt. Die Rendite ist, dass der Laden da ist", sagte Klems. Generell gibt es mehrere Finanzierungsmodelle. "Ursprünglich waren wir gestartet, um die Versorgung in Barmen abzusichern. Jetzt beraten wir Orte, die vor ähnlichen Problemen stehen." Noch 20 weitere Standortanalysen laufen derzeit.

Da die Stadt Osterwieck derzeit durch das Projekt "ZukunftsWerkStadt" gefördert wird, besteht nun die Aussicht, dass die Barmener auch für Osterwiecker Ortsteile eine Analyse vornehmen können. Wobei im Ergebnis durchaus auch stehen kann, dass das Risiko zu groß wäre.

"Die Bürger entscheiden über Erfolg und Misserfolg des Dorfladens", stellte Christian Klems heraus. Deshalb müssten die Bürger frühzeitig mit entscheiden, ob sie solch einen Laden haben möchten. Nur dann würden sie auch zumindest die wichtigsten Lebensmittel im Ort kaufen, statt im Supermarkt der nächstgrößeren Stadt. "Das Verrückte ist, man holt sich die Brötchen fünf Kilometer entfernt, weil die dort einen Cent billiger sind", so Klems.

"Die Leute wissen das ja, und trotzdem funktioniert es nicht", sprach der Pabstorfer Werner Harre die Realität an, dass die Einwohner lieber zu den Supermärkten fahren. "Der Wille muss da sein. Sie brauchen einen langen Atem und müssen die Leute überzeugen. Das kostet die meiste Kraft", sagte Klems. Die finanzielle Beteiligung der Bürger am Laden würde zusätzlich motivieren. In Barmen sei jedenfalls eine Zufriedenheit der Einwohner zu verspüren und die Bevölkerungszahl sogar gestiegen.

Mit Hilfe der Kreisverwaltung und der "ZukunftsWerkStatt" will die Stadt Osterwieck nun Vorreiter in Sachsen-Anhalt werden. "Wir müssen Versammlungen einberufen und versuchen, mit den Bürgern erste Schritte zu entwickeln", schlug Kreiswirtschaftsförderer Bernd Skudelny vor. "Leute", sagte Osterwiecks Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (Buko) zu den Ortsbürgermeistern, "trommelt eure Einwohner zusammen und schaut, ob sie es wollen."