Grabungsarbeiten auf dem Hermes-Gelände begeistern weiterhin Fachleute und Laien Wie ein Holzteller und Lederreste Archäologen zum Träumen bringen
Das Interesse der Bevölkerung an den Ausgrabungen der "Sumpfburg" auf dem Hermes Gelände ist ungebrochen groß. 150 Interessierte werden heute in drei Gruppen über das Areal geführt - das ist aufgrund der Gegebenheiten vor Ort die Maximalzahl, obwohl die Anfragen deutlich darüber lagen. Gestern luden die Archäologen zum Pressegespräch, um aktuelle Funde vorzustellen.
Haldensleben. Die Mitarbeiter der Grabung, die auf dem Gelände vom Hermes Fulfilment Reste der Burg Niendorf frei- legen, "können aus den Vollen schöpfen", wie Projektleiterin Dr. Susanne Friederich weiß. Fast stündlich gibt es neue Funde, die den Archäologen Glanz in die Augen zaubern und sie zum Träumen anregen.
"Wir sind gerade dabei, das Leben auf der Burg zu rekonstruieren"
Gestern tat das zum Beispiel ein alter Lederstreifen, der schon heute in der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege in Halle genauer untersucht wird. "Wir erhoffen uns Erkenntnisse darüber, wie er gegerbt wurde und wie er gefärbt war", erklärt die Fachfrau.
Für Begeisterung sorgte auch der Fund eines alten Holztellers. Laien würden den ohne Hinweis kaum sehen, geschweige denn seine geschichtliche Bedeutung erkennen. "Wir sind gerade dabei, auf der Innen- fläche das Leben auf der Burg zu rekonstruieren", berichtet Grabungsleiter Manuel Mietz. Er weiß, dass zu den Zeiten der Besiedlung der Burg, also 1076/77, neben Keramik gern Holz als Material für Alltagsgegenstände verwendet wurde. Schalen und Teller seien zumeist gedrechselt und sehr kleinteilig gewesen. Noch gestern Mittag wollte man den Teller bergen. "Und zwar mit jeder Menge Dreck drumherum", wie Dr. Friederich den Anwesenden erläuterte. Das sei notwendig, um den jahrhundertlang im Boden gut konservierten Fund nicht durch den Kontakt mit Sauerstoff dem Verfall preiszugeben. Außerdem hoffe man, möglicherweise Spuren von Speisen auf dem Teller zu entdecken und so Rückschlüsse ziehen zu können, was die Bewohner der Burg Niendorf seinerzeit gespeist haben.
"Jeder Eimer Dreck gibt uns mehr Informationen als zehn Gefäße"
Dass man momentan viele Beweise des adeligen Lebens innerhalb der Burgmauern findet, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Grabungen in Haldensleben etwas ganz Besonderes sind. "Die Erhaltung der Organik ist hier wirklich einmalig, ein Fund mit solchem Aussagewert sehr selten", erklärte die Projektleiterin den bundesweiten Medienvertretern. Wenn Historiker mit der Auswertung ihrer Quellen am Ende seien, könne man durch solche Funde innerhalb der Forschung neue Impulse geben. Deshalb arbeiten die Archäologen vor Ort unter anderem mit Bodenkundlern aus dem Rheinland zusammen. "Jeder Eimer Dreck gibt uns mehr Informationen als zehn Gefäße", weiß die Mitarbeiterin des Landesamtes. So könne man zum Beispiel durch Untersuchungen von Parasiten oder den Fund von Pollen und Ackersamen in alten Brunnenanlagen Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Landschaft früher ausgesehen hat.
Recht neu sei auch die Information darüber, wie lange die Burg gestanden hat. Die Steinmauer, die sich auf der gesamten Seite vor dem Wall befindet, wurde nach Erkenntnissen der Archäologen erst im Nach- hinein zur Stabilisierung gesetzt . Man geht davon aus, dass die gesamte Burg gut 90 Jahre stand, bevor sie 1167 zerstört wurde.
Wie das passierte, darüber gibt es derzeit mehrere Theorien. Eine fußt darauf, dass man an der steinernen Außenmauer Knochen eines Pferdes gefunden hat. "Es könnte also sein, dass man eventuell mit Pferkraft versuchte, die Mauern der Burg zum Einsturz zu bringen", mutmaßt Dr. Susanne Friederich. Es könnte aber genau so gut so gewesen sein, dass es eine Erstürmung der Burg mit Ross und Reiter gegeben hat. Um gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen, hofft man deshalb auf den Fund eines Pferdeschädels beziehungsweise von menschlichen Skeletten.
Jeden Tag würde sich das Bild der Burg sowie die Erkenntnisse vom Leben ihrer Bewohner verdichten. Und so kann es sein, dass auch die Teilnehmer der heutigen Führungen wieder neue Funde präsentiert bekommen, die schon am Tag darauf nicht mehr in der Erde sind, weil sie in Halle genauer untersucht werden.
Bis Ende Oktober sind die Archäologen und ihre 20 Mitarbeiter noch vor Ort beschäftigt. Damit der spektakuläre Burgfund auch nach der Bergung am Standort Haldensleben nicht in Vergessenheit gerät, gibt es die Vision, sie am Standort Hundisburg nachzubauen. Die ersten Gedanken dazu hatte Dezernent Henning Konrad Otto schon beim Besuch von Wirtschafts- und Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) vorgestellt (Volksstimme berichtete). Gestern informierte Stadt-Pressesprecher Lutz Zimmermann die Anwesenden erneut über die Idee, die in einer "Steuerungsgruppe Burg Niendorf" entstanden sind. Dort hätte man sich bei der Frage, was man mit so einem Fund mache, von Beispielen aus Österreich und Frankreich inspirieren lassen. Dort hat man alte Burganlagen originalgetreu nachgebaut.
"Der Bauprozess wird so gleichzeitig auch zum Lernprozess"
"Der Bauprozess wird so gleichzeitig auch zum Lernprozess, wenn man sowohl die Methoden als auch das Tempo aus dem Mittelalter ansetzt", schaute Zimmermann in die Zukunft. Solch ein Nachbau sei nicht nur der Erhalt kulturellen Wissens, sondern schaffe in der Region auch eine weitere Attraktion.
Die Vorstellung, mit solch einem Projekt Archäologie quasi einmal umgekehrt zu betreiben, hatte auch bei den Zuständigen vom Land Anklang gefunden, weshalb man eine Machbarkeitsstudie finanzierte. Die sei momentan in Arbeit, und ein Zwischenstand würde im September auf einer Stadtratssitzung präsentiert.
"Wir freuen uns, wie schnell der Funke von uns weitergesprungen ist", tat Dr. Susanne Friederich ihre Begeisterung über die Pläne kund.