Beratungsstelle In den Tiefen des Rotlichtmilieus
Die Beratungsstelle "magdalena" steht Prostituierten im Landkreis Börde zur Seite. Die Mitarbeiterinnen kämpfen gegen Stigmatisierung.
Haldensleben l Es ist weiterhin ein Tabu-Thema. Obwohl Prostitution eines der ältesten Gewerbe der Welt ist, wird es weiterhin totgeschwiegen. In der Gesellschaft werden Probleme und Risiken der Sexarbeiter kaum thematisiert. Umso wichtiger ist es, dass sich Menschen aus dem erotischen Dienstleistungsgewerbe an eine Stelle wenden können, wo sie unabhängige Beratung finden.
Diese Möglichkeit gibt es jetzt auch im Bördekreis. „Magdalena“ heißt das anonyme Beratungsangebot der Arbeiterwohlfahrt (Awo), welches es bisher nur in Magdeburg gab. Mit einem Zuwendungsbescheid des Landes hat die Awo das Angebot nun aber auch auf die Börde und fünf weitere Landkreise ausgeweitet.
Doch was genau umfasst dieses Beratungsangebot? Cathleen Paech, Pressesprecherin der Awo Sachsen-Anhalt, erklärt: „Die zwei Sozialarbeiterinnen beraten und informieren zu Anmeldeverfahren nach dem Prostituiertenschutzgesetz, zu Krankenversicherung, Sozialleistungen sowie Aufenthaltsbestimmungen. Die Sozialarbeiterinnen begleiten und unterstützen beim Ausstieg, bei beruflicher Neuorientierung, bei Behördengängen und bei persönlichen Krisen.“
Doch vor der Beratung steht die Recherche. So informieren sich die Awo-Mitarbeiter über die Milieus und die Anmeldestrukturen in den neu hinzugekommenen Landkreisen. „Die Recherche wird kontinuierlich fortgeführt. Angebote an sexuellen Dienstleistungen als auch Anmeldestrukturen werden fortlaufend aktualisiert. Die Rechercheergebnisse bilden die Grundlage für die aufsuchende Arbeit in den Landkreisen“, teilt Cathleen Paech mit.
Eines der Rechercheergebnisse: Die Milieus sind vielfältig. Neben Bordellen, Laufhäusern, Lovemobilen und Angeboten auf Parkplätzen ist vor allem die Wohnungsprostitution verbreitet. Darüber hinaus stammen die Sexarbeiter meist aus dem Süden und Osten Europas, also aus Ländern wie Ungarn, Polen oder Rumänien. Eine Zahl der Prostituierten im Landkreis können die Mitarbeiterinnen nicht nennen – zum einen wegen der anonymen Arbeitsweise, zum anderen wegen der hohen Dunkelziffer.
Die Frauen, die die Sozialarbeiterinnen beraten, sehen aus wie „ich und du“, sagt Jessica Schulze, eine der beiden Sozialarbeiterinnen. Man würde die Prostituierten auf der Straße nicht erkennen. Oftmals würden die Sexarbeiterinnen ein Doppelleben führen, die Familie soll nichts von dem Job wissen.
Begonnen hat das Projekt „magdalena“ im Jahr 2017 in der Landeshauptstadt Magdeburg. Dort würde die Arbeit der Sozialarbeiterinnen sehr gut angenommen. Doch mit insgesamt sechs neuen Landkreisen wird das neue Arbeitsgebiet der beiden Expertinnen riesig. „Wir fahren drei Tage in der Woche raus in die Landkreise. Da ist eine gute Struktur notwendig“, sagt Jessica Schulze.
Dabei helfen die Mitarbeiterinnen unter anderem bei Behördengängen. Sie erarbeiten landkreisbezogene Informationsmaterialien zu Ansprechpartner, Sprechzeiten der Ämter, Kontaktdaten und Kosten der Anmeldung. Diese werden mehrsprachig zur Verfügung gestellt.
Neben den Hilfen zu den bürokratischen Hürden bieten die Sozialarbeiterinnen die Prostituierten auch eine psychosoziale Betreuung an. „Dabei müssen wir erst einmal Vertrauen aufbauen. Das ist eine Herausforderung in diesem Milieu“, so Ekaterina Müller, der zweite Teil des „magdalena“-Duos. Oftmals handle es sich um starke Frauen, die in schwierigen Lebenssituationen sind. Doch ob Gewalterfahrung oder schwere Schicksale – die Sozialarbeiterinnen von „magdalena“ müssen eine professionelle Distanz wahren.
„Es geht uns auch darum, Ausgrenzung und Stigmatisierung zu stoppen“, sagt Jessica Schulze. Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass Frauen und Männer diesen Beruf freiwillig ausüben – doch genau das sei die Realität. „Zwangsprostitution und freiwillige Sexarbeit wird oft über einen Kamm geschert. Das stimmt nicht“, betont sie. Doch sie wollen die Frauen nicht „retten“. Das Problem: Es werde oft über die Prostituierten, aber nicht mit ihnen gesprochen – das wollen die Mitarbeiterinnen nun auch in der Börde ändern.