Handwerk Börde: Junger Zimmerer beginnt seine Walz - Was ihn erwartet und warum er die Heimat verlässt
Die Walz – viele Menschen verknüpfen damit nicht viel mehr als die klassische schwarze Handwerkskluft. Doch es gibt genaue Regeln und Traditionen, die den Brauch und vor allem die Handwerker bis heute begleiten. Ole Ritter aus Sülldorf lernt sie am eigenen Leib kennen. Und eines der ersten Rituale ist das Festnageln auf sein Versprechen.

Sülldorf - Es regnet, als Ole Ritter in Sülldorf die letzten Vorbereitungen für den Aufbruch zur Walz trifft. Er sitzt auf der Terrasse seiner Eltern und näht Knöpfe auf den schwarzen Cord. „Die sind heute erst angekommen, das muss ich noch erledigen“, sagt er. Für mindestens drei Jahre und einen Tag wird er seine Heimat verlassen. „Ich habe das Gefühl, hier Wurzeln geschlagen zu haben und möchte ein bisschen aus meiner Heimat rauskommen.“
Auf den ersten Schritten, metaphorisch wie wörtlich, wird er begleitet. F.V.D [Anm. Red.: Abkürzung für den Schacht „Freie Vogtländer Deutschlands, dem er angehört. Die Abkürzung markiert seine Zugehörigkeit] Max, ebenfalls Zimmerer, holt ihn in Sülldorf ab. „Ich bin Altreisender und begleite Ole so lange, bis ich sicher bin, dass er alleine auf der Straße zurecht kommt. Das können zehn Wochen sein oder sechs Monate. Eben so lange, wie es braucht“, erklärt der 26-Jährige, der in der Zeitung lieber nur seinen Vornamen lesen möchte.
Ortsschild von Sülldorf überklettern
Doch bevor es losgeht, gibt es noch ein paar Bräuche, die gelebt werden wollen. Etwa das Ortsschildes zu überklettern, um noch einen guten letzten Blick auf sein Zuhause zu haben. Weniger angenehm ist eine andere Tradition, die noch vorm Überklettern an der Reihe ist. Denn Ole wird auf das Versprechen festgenagelt, zünftig als Wandergeselle unterwegs zu sein – ganz wörtlich und danach für alle durch den Ohrring erkennbar. „Das kann irgendein Holz sein, ein Tisch, ein Klavier, was eben da ist“, sagt F.V.D Max mit einem Zwinkern. „Daher kommt übrigens die Redewendung: Jemanden auf etwas festnageln.“ Und noch eine Redewendung geht auf den Ohrring und das Walzversprechen zurück: Ein Schlitzohr sein. „Wenn ein Handwerker auf Wanderschaft sein Versprechen bricht und das bei seinem Schacht bekannt wird, wird ihm der Ohrring herausgerissen.“ Zumindest früher, die Tradition sei zum Glück lange nicht mehr praktiziert worden.
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Ein Schacht ist eine Organisation, bei der sich Handwerker melden können, wenn sie nach ihrer Lehre auf traditionelle Wanderschaft gehen wollen. „Ein Interessent nimmt Kontakt auf, fährt zu ein paar Treffen und lernt die anderen Mitglieder kennen“, erklärt Max. „Da wird geschaut, ob die Person den Eindruck macht, uns auf der Wanderschaft repräsentieren zu können. Denn wenn wir unterwegs sind, leisten wir immer auch Öffentlichkeitsarbeit – wenn jemand trampt und sich daneben benimmt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Fahrer oder die Fahrerin beim Nächsten nicht nochmal anhält.“ Es ginge stets darum, sich so zu verhalten, dass der nächste Wandergeselle, der da kommt, genauso gut oder besser aufgenommen wird.
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Für Ole war relativ schnell klar, zu welchem Schacht er möchte: Die Freien Vogtländer Deutschlands. „Ich habe mir auch andere angesehen, aber dort hatte ich nicht das Gefühl, die Freiheit zu haben, die ich mir von der Walz erhoffe.“

Voraussetzung zur Walz: Ledig, nicht älter als 30, kinderlos und schuldenfrei
Wobei auch dieser Schacht nicht ohne Regeln funktioniert. So dürfen nur Handwerker und Handwerkerinnen auf Walz gehen, die ledig sind, unter 30 Jahre alt, keine Kinder haben, nicht vorbestraft sind, Mitglied in einem Schacht sind und keine Schulden haben. „Es geht darum, dass man sich während der . Und wenn man zum Beispiel mit einem Tier unterwegs ist, dann trägt man voll die Verantwortung. Da kommt erst das Tier, dann du. .“ Deswegen dürfen die Handwerker nichts besitzen, was sie unter finanziellen oder sozialen Zugzwang setzen könnte. „Auch da geht es wieder um die Verantwortung“, sagt Max. Wobei sie durchaus fahren dürfen – solange sie dafür kein Geld ausgeben und der Wagen nicht ihnen gehört. Zudem sind internetfähige Geräte als Eigentum verboten. „Ein Handy von jemandem zu leihen ist zum Beispiel in Ordnung. Es geht darum, darauf angewiesen zu sein, auf fremde Menschen zuzugehen, um an Infos zu kommen.“, sagt Max.
Die Walz ist eine etwa 800 Jahre alte Tradition. „Früher war sie Pflicht, heute ist sie freiwillig“, sagt F.V.D Max. Wenn jemand gehen möchte, gibt es zehn Wege, also neun Organisationen und eine Bewegung, an die er sich wenden kann. Etwa der Schacht Freie Vogtländer Deutschlands, bei dem Max reist und dem sich Ole ebenfalls anschließen möchte. „Wildreisende, die also einfach so auf eigene Faust losziehen, sind verpönt“, sagt der gelernte Zimmerer Max.
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Wie beinahe alles an der Walz geht auch der Name des Schachtes „Freie Vogtländer Deutschlands“ auf die Vergangenheit zurück. Kurz gesagt: Die alten Schächte nutzten die Bezeichnung Vogtländer, um unzünftig reisende Gesellen zu verunglimpfen. Bei Schachtgründung schrieben sich die ersten freien Vogtländer Deutschlands die Beschimpfung auf die Fahne, um die alteingesessenen Schächte darauf aufmerksam zu machen, sich nicht zu ernst zu nehmen.
Landesgrenzen spielen bei Walz keine Rolle
Die Freien Vogtländer Deutschlands haben laut Max die Beleidigung genommen und in etwas positives verwandelt, einen Schacht mit weniger Hierarchien, in dem die, die ihre Walz gerade erst begonnen haben, gleich ihre Ehre (in diesem Fall eine Nadel mit Abzeichen) bekommen und in dem alle das gleiche Mitspracherecht haben. „Und weil natürlich nicht nur Vogtländer mitmachen dürfen, steht noch das Deutschland dahinter.“ Wobei die Staatsangehörigkeit beim Anschluss an den Schacht keine große Rolle spiele. Aktuell hätte er 600 bis 700 Mitglieder, davon seien etwa 45 auf Wanderschaft.

Die Walz ist nicht an Landesgrenzen gebunden. „Ich war etwa in Österreich, Frankreich, Andorra, Spanien, Portugal und Nepal. In der Schweiz habe ich Geld verdient, um ehrenamtlich bei der Fluthilfe im Ahrtal mitzuhelfen, Fachwerk wieder aufzubauen“, sagt Max. Auch Ole könnte sich vorstellen, andere Länder zu bereisen. „Japan hätte ich mir gut vorstellen können, dann kam die Pandemie, das hat alles etwas schwieriger gemacht. Mal sehe, ich würde auf jeden Fall gerne an die Küste und in die Berge“, sagt der 24-Jährige.