Kriegsende 1945 Wie der Haldensleber Karl-Heinz-Vogeley das Frühjahr 1945 in der Stadt erlebte
Karl-Heinz Vogeley, Jahrgang 1929, ist ein waschechter Haldensleber. Als 16-Jähriger hat er das Ende des 2. Weltkriegs in seiner Heimatstadt erlebt.
Haldensleben - Der 2. Weltkrieg ist in Haldensleben am 13. April 1945 zu Ende gegangen - mehr als drei Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Zu diesem Zeitpunkt war Karl-Heinz Vogeley 16 Jahre jung, hatte soeben die mittlere Reife erworben. „An diesem Tag gab es Feindalarm in Haldensleben“, blickt der heute 92-Jährige zurück. „Und dann standen auf einmal drei amerikanische Panzer auf dem Marktplatz.“
Haldensleben war zu diesem Zeitpunkt Lazarettstadt. Etwa 8000 Verwundete waren in der Stadt untergebracht, die überwiegend im Krankenhaus in Haldensleben III - dem heutigen Ameos Klinikum für Psychiatrie - und in der damaligen Mittelschule an der Maschenpromenade versorgt wurden, „Daher wurde Haldensleben kampflos übergeben, kein einziger Schuss ist damals gefallen“, weiß Vogeley. Zuvor allerdings hatte die Wehrmacht noch die Brücken über den Mittellandkanal gesprengt, um den Vormarsch der Amerikaner aufzuhalten.
Den ersten Kontakt mit den Besatzern hatte Karl-Heinz Vogeley eine Woche später. „Am 20. April standen plötzlich amerikanische Soldaten vor der Tür und befahlen uns, das Haus sofort zu verlassen. Meine Mutter war völlig fassungslos und wusste gar nicht, was sie machen sollte. Sie war völlig überfordert.“ Nur mit dem Nötigsten an Garderobe und mit den Betten verließ die Familie ihr Haus an der Bornschen Straße. Beim Schneidermeister Kaiser in der Langen Straße fand sie Unterschlupf.
„Wir hatten zuhause Hühner, die habe ich weiterhin jeden Tag gefüttert. Als ich am 24. April hinkam, war es völlig still. Alle Türen standen offen, das Haus war leer, die Amerikaner waren weg.“ Der 16-Jährige schaute sich neugierig im Haus um - und entdeckte einige Flaschen Whiskey. „Da habe ich das erste Mal Schnaps getrunken. Ich war dann so besopen, dass ich eingeschlafen bin.“ Noch reichlich angetütert konnte er seinen Eltern erst am Abend erzählen, dass ihr Haus wieder leer sei. Allerdings lief er auf dem Weg durch die Stadt am Stendaler Tor einem Wachposten in die Arme, der den Jungen aber angesichts seines Zustandes passieren ließ. „Ab 18 Uhr herrschte ja Ausgangssperre, da hatte ich richtig Glück“, erzählt der Haldensleber.
Kontakt mit den Amerikanern
Die US-Soldaten waren zumeist in hermetisch abgeriegelten Bereichen in Haldensleben einquartiert. „Doch auch bei uns im Nachbarhaus waren Amis untergebracht.“ Täglich hatte Karl-Heinz Vogeley mit ihnen zu tun. „Das waren ganz normale junge Männer. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, dass das bis vor kurzem noch unsere Feinde waren“, erzählt er.
Unzertrennlich ist der Jugendliche mit seinem Freund Helmut. Die beiden Jungs spielen gern Tischtennis - und fordern die Soldaten heraus. „Wir hatten aber nur eine kleine Platte, da waren wir unschlagbar. Die Amis haben wir so richtig abgekocht“, freut sich Vogeley noch heute mit einem dicken Schmunzeln im Gesicht darüber. Immerhin ging es bei den Spielen um Zigaretten - zur damaligen Zeit eine richtig harte Währung. „Und wir haben gut gewonnen.“
Der 8. Mai, der Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus, wurde auch im Hause Vogeley gefeiert. „Bei den Amerikanern im Nachbarhaus gab es einen Sergeant, der kam zu uns und brachte Butter, Mehl und Zucker. Meine Mutter musste Waffeln backen, und am Abend kamen die Amis mit Zigaretten, Schokolade und Whiskey rüber zum Feiern. Ich weiß noch, wie mein Vater ihnen aber an der Haustür die Waffen abgenommen und sie in die Badewanne gelegt hat“, erzählt der Karl-Heinz Vogeley. „Helmut und ich haben immer gedolmetscht, so gut wir es konnten. Alles was gewesen ist, war plötzlich vorbei. Wir haben uns gut mit den Amerikanern verstanden. Die waren auch sehr locker.“
Nicht ganz so locker drauf waren die Nachfolger der Amerikaner. „Am 10. Mai sind die Amis abgezogen. Dann kam der Engländer. Das war gleich eine ganz andere Zucht und Ordnung, nicht so lässig wie bei den Amis.“ Ein Zimmer musste die Familie frei machen - und hatte plötzlich britische Unteroffiziere als „Untermieter“. Doch auch mit denen hat sich der 16-Jährige gut verstanden.
Plötzlich kamen die Engländer
Bis Ende Juni. „Plötzlich hieß es, die Engländer ziehen ab und sollen nach Helmstedt verlegt werden“, erinnert sich Karl-Heinz Vogeley. „Die Unteroffiziere haben Helmut und mich noch gefragt, ob wir nicht lieber mitkommen wollten.“ Doch die Jungen blieben. „Wir hatten ja nichts gemacht. Wovor sollten wir Angst haben?“
Am 30. Juni wurde dann plötzlich eine Ausgangssperre verhängt. „Am Mittag zogen die Engländer ab, und dann kamen die Russen“. Vogeley hat noch das Bild vor sich, als die Rotarmisten den Bierkellerberg herunter in die Stadt einzogen. „Das war so gegen 20 Uhr. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Panje-Wagen gesehen. Ein langer Treck zog in die Stadt ein.“
Für die neuen Besatzer wurde in Haldensleben geflaggt. „Die Kommunisten waren da schon wieder in der Stadt aktiv und haben alle aufgefordert, die Russen mit roten Fahnen zu begrüßen. Das taten wir dann auch - in dem wir rote Fahnen hissten, aus denen wir vorher die Hakenkreuze herausgeschnitten haben“, erzählt der Haldensleber.
Mit den Sowjets nur wenig Kontakt
Mit dem Sowjetsoldaten hatte er nur wenig zu tun. „Die haben uns in Ruhe gelassen“, sagt er. Im Juli hatte Vogeley seinen ersten Job. „Es hieß plötzlich, dass jeder, der im arbeitsfähigen Alter sei, aber keine Arbeit habe, auch keine Lebensmittelkarten mehr bekommen würde. Mein Vater hat sich dann um Arbeit für mich gekümmert: Bei Fahrrad-Myrrhe musste ich die kaputten Schläuche flicken.“
Wie es dann in den nächsten Jahren in Haldensleben weiterging, dass kennt Karl-Heinz Vogeley nur noch vom Hörensagen. Am 13. Juli 1945 wird der 16-Jährige verhaftet und später von einem sowjetischen Militärtribunal wegen „Verübung von Terrorakten sowie Beschädigung von Eisenbahn- und anderen Transporteinrichtungen in organisierter Form“ zu 15 Jahren Haft verurteilt. Acht Jahre verbringt Vogeley im Straflager, im sogenannten Gulag. Erst im Dezember 1953 sieht er seine Heimatstadt wieder.