26-jähriger Hohengöhrener lebt und arbeitet für elf Monate im Land der Bären und Wölfe, dem zweitgrößten Land der Erde Christoph Wagener hat die Hohengöhrener Zimmerei und sein Zuhause gegen einen alten Camper in Kanada getauscht
Hohengöhren/Kanada l Seit Mitte Januar lebe ich in Kanada. Ich möchte Land und Leute kennenlernen und Arbeitserfahrungen sammeln. Zu Hause betreibe ich gemeinsam mit meinem Vater eine Zimmerei, im kanadischen Sorrento/British Columbia habe ich zunächst Arbeit in einer Tischlerei gefunden. Ende März werde ich weiterziehen nach Calgary/Alberta, um dort in einer weiteren Zimmerei zu arbeiten.
Vor dem Aufbruch
Bei meiner Freundin hatte die Gewissheit, dass ich am 13. Januar für elf Monate nach Kanada gehe, früher durchgeschlagen: Während sie schon die gemeinsame Silvester-Party nicht richtig genießen konnte und Mitternacht Tränen in den Augen hatte, beschäftigte ich mich noch nicht im Detail mit dem, was mir bevorstand. Während sie schon überlegte, was es bei der Abschiedsparty zu essen geben sollte und welche Utensilien ich unbedingt mit nach Kanada nehmen müsste, lebte ich meinen normalen Alltag in unserer Zimmerei. Dieser Auftrag musste noch fertig und jenes Geschäft unter Dach und Fach gebracht werden. Erst wenige Tage bevor es losging, setzte das flaue Gefühl im Magen ein. War Kanada die richtige Entscheidung gewesen? Wird mit meinem Visum alles gut gehen? Ist mein Englisch gut genug, um in einem fremden Betrieb Arbeit zu finden? Bekomme ich Heimweh? Als ich mich am Flughafen in Frankfurt am Main zum letzten Mal umsah, hoffte ich, dass das flaue Gefühl bald vergeht und die Vorfreude wieder überwiegt.
Auf dem Flug denke ich daran, was Oma Renate mir alles über Kanada erzählt hat. Sie war damals, vor 16 Jahren, für acht Wochen in Kanada gewesen, um Verwandte zu besuchen. Oscar, der Cousin meiner Oma, und Linda, seine Frau, würden auch mich später am Flughafen abholen. Für meine Oma waren die Ereignisse auch nach so vielen Jahren noch präsent. Sie wusste genau, wie das Wetter beim Ausflug nach Whistler gewesen war und wie überrascht sie auf den Schnee im Juli reagiert hatte. Nach 40 Jahren DDR war eine so große Reise ein viel größerer Schritt als in unserer heutigen mobilen, digitalen Welt.
Kanadische Gastfreundschaft
Oscar und Linda vermitteln mir den ersten Eindruck von kanadischer Freundlichkeit. Das erste Abendessen wartet schon auf mich, als wir das Haus in Chilliwack betreten. Die Art, wie das Haus geschnitten und eingerichtet ist, lässt bei mir sofort Erinnerungen an amerikanische Serien wach werden. In den nächsten Tagen helfen die beiden mir, ein kanadisches Konto einzurichten, die zum Arbeiten so wichtige Sozialversicherungsnummer zu bekommen und einen Camper zu kaufen, der für die nächsten elf Monate für mich nicht nur Fahrzeug, sondern auch gleichzeitig Kleiderschrank, Küche und Schlafzimmer sein wird.
Der Camper sorgt für Aufsehen: Baujahr 1977, röhrender Motor, 18 Liter Sprit auf 100 Kilometern. Gut, dass der Liter Normal-Benzin hier "nur" 1,25 kanadische Dollar (87 Euro-Cent) kostet. Nachdem ein Schneesturm den Verkehr für eine knappe Woche teilweise komplett zum Erliegen brachte, bin ich ab der dritten Woche endlich "on the road".
Zum ersten Mal ganz allein in Kanada - die Sehnsucht nach zu Hause kommt wieder hoch, immer dann, wenn ein Oldie im knackenden Radio läuft und ich bei 90 km/h auf dem Highway ins Nachdenken gerate. Allein im zweitgrößten Land der Erde. Ein Land, das nicht einmal so viele Einwohner wie Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg zusammen beherbergt, aber gleichzeitig 28-mal größer ist als Deutschland. Die Landschaft ist unglaublich. Ich erinnere mich gern an eine Fahrt auf einem verlassenen Highway - ich allein zwischen Bergen und Hängen; die Sonne immer ein gutes Stück voraus. Irgendwann hole ich die ersten Strahlen ein und muss lächeln.
Langsam gewöhne ich mich an das Leben im Camper. Weil die Dusche fehlt, lerne ich alle Schwimmhallen zwischen Vancouver und Calgary kennen. Ein verwegenes Gefühl. Den Schlafplatz, der tagsüber als Sitzecke dient, richte ich inzwischen mit wenigen Handgriffen ein.
Möbelbau für Anspruchsvolle
Seit drei Wochen arbeite ich in einer Tischlerei in Sorrento, British Columbia. Sie gehört Jens, einem Deutschen, der vor 16 Jahren seinen Eltern ins Land der Bären und Wölfe folgte. Die Tischlerei stellt sehr hochwertige Möbel und Küchen für anspruchsvolle und vermögende Kunden her. Anfangs war die Arbeit ungewohnt. Inzwischen geht sie mir leicht von der Hand, und die Fachbegriffe auf Englisch leicht über die Lippen. Ich genieße das kanadische Lebensgefühl. Man kommt schnell ins Gespräch und die Menschen hier begegnen einem mit einer Freundlichkeit, dass es manchmal schon peinlich ist.
Auch die Kommunikation nach Hause klappt dank Skype und Facebook gut, das war zu Omas Zeiten auch anders. In den Supermärkten entdecke ich vertraute Lebensmittel. Ein Glas Nutella kostet sieben Dollar. In Kanada wird nur wenig selbst hergestellt, die importierten Sachen treiben die Preise in die Höhe. Als ich letzte Woche einen deutschen Metzger entdeckte, konnte ich nicht wiederstehen: Für 120 Dollar habe ich mir Magen und Kühlschrank vollgehauen. Ein bisschen Heimat tut eben gut!
* Unser Autor Christoph Wagener hat die Hohengöhrener Zimmerei und sein Zuhause gegen einen alten Camper in Kanada getauscht. Der 26-jährige Hohengöhrener lebt und arbeitet für elf Monate im Land der Bären und Wölfe und schrieb für uns seine Eindrücke auf.