70-Jähriger berichtet aus seinem spannenden Leben voller Überraschungen und Nächstenliebe In fast jedem Rohrberger Haus ist Jens Motschmann ein gern gesehener Gast
Seine Kindheit verbrachte Jens Motschmann in Rohrberg. Seine erzwungene Flucht verschlug ihn als jungen Mann in den Westen. Der pensionierte Pfarrer erlebt heute in Rohrberg sehr emotionale Momente. Im Gespräch mit der Volksstimme erzählt er aus seinem bewegten Leben.
Rohrberg l "Ich bin der Jens, Jens Motschmann." Dieser Satz öffnet dem pensionierten Pfarrer in Rohrberg so manche Tür und nicht selten auch die Herzen der Einwohner. Denn Jens Motschmann verbrachte seine Kindheit in Rohrberg und ist vielen Menschen noch in guter Erinnerung. Überall sind seine Spuren zu finden.
"Es bedeutet mir menschlich sehr viel, wieder hier zu sein", verrät der 70-Jährige bei einem Treffen im Rohrberger Pfarrhaus. Der gebürtige Berliner denkt gern an seine Jahre in Rohrberg zurück. 1946 kam er mit seiner Familie in die kleine Gemeinde, lebte dort im Pfarrhaus. Sein Stiefvater, Reinhard Schmerschneider, war der Pastor der Gemeinde. "Die Türklinken sehen noch immer so aus wie damals", sagt er bei einem Rundgang und erinnert sich noch genau an die Raumaufteilung, die sich kaum verändert hat. Hier lebte er, wollte in Beetzendorf sein Abitur machen.
Aus dieser Zeit stammt auch ein Zeitungsbeitrag, den er im Auftrag der Lehrer über einen Arbeitseinsatz der Schüler im Drömling in der Klötzer Volksstimme veröffentlichte.
Doch die Idylle nahm ein jähes Ende, als einer seiner beiden älteren Brüder in den Westen floh. "Ich wurde deshalb in der 11. Klasse der Schule verwiesen", berichtet Jens Motschmann. Aber der damalige Direktor hatte keine weiße Weste: Er äußerte sich abfällig über Polen. Ein Telefongespräch von Motschmanns Vater mit dem Direktor regelte die Angelegenheit: Jens durfte wieder in die Schule kommen. Er selbst wollte nicht in den Westen. "Aber man kündigte an, dass ich nicht studieren darf. Ich sollte mich erst drei Jahre in der Produktion bewähren", erzählt der Pfarrer.
Als er seinen 18. Geburtstag gefeiert hatte, ging er dann doch schweren Herzens nach Westberlin. "Das war ein unglaubliches Gefühl, als ich dort aus dem Zug stieg. Gleichzeitig fragte ich mich, ob ich meine Eltern jemals wiedersehen werde", erinnert er sich.
Seine Stasi-Akte trägt den Titel "Märtyrer"
Er sah sie wieder. Allerdings nur, bis er 1976 in der Berliner Kongresshalle einen Vortrag über einen Pfarrer hielt, der sich in Zeitz selbst verbrannt hatte. Jens Motschmann: "Danach bekam ich keine Einreise mehr in die DDR." Seine Stasi-Akte trägt den Titel "Märtyrer".
Jens Motschmann studierte zuerst Politikwissenschaften und wechselte dann zur Theologie. Doch wie passt das zusammen? Er selbst sieht es als Berufung an, als eine Art geheimnisvollen Funken, der übersprang. An der Uni in Berlin sah er sich einst einen Buchband von Karl Marx und Friedrich Engels an. Darin enthalten war die Zeichnung einer Kirche in Bremen. "Damals ahnte ich nicht, dass ich einmal Pfarrer werden würde und das auch noch in dieser Kirche", lacht Jens Motschmann und erzählt von seinem Sinneswandel: "Ich meldete mich 1963 an der Uni zurück, wo ich Politikwissenschaften studierte. Während der Rückfahrt überkam mich eine große Unruhe. Ich sagte mir: Du hast einen Fehler gemacht." Jens Motschmann kehrte um und sagte am selben Schalter: "Jetzt möchte ich Theologie studieren." Er habe die Berufung gefühlt, jetzt diesen Weg gehen zu müssen.
Sein Stiefvater führte ihn in Itzehoe als Pfarrer ein. "Das war seine letzte Amtshandlung, er starb kurz darauf", berichtet Jens Motschmann. "Es war, als hätte er den Staffelstarb noch übergeben wollen."
Mit den Jahren wurde JensMotschmann zu einem gefragten Experten in Glaubensangelegenheiten. Er schrieb mehrere Bücher, Politiker wie der inzwischen verstorbene ehemalige Verteidigungsminister Hans Apel suchten seinen Rat. Als der Rohrberger Pfarrer Gottfried Vogel ihn fragte, ob er für einige Wochen aushelfen könnte, ließ er sich nicht lange bitten.
Jens Motschmann hat viel in Bewegung gebracht
Wenn er heute durch Rohrberg geht, wird er oft angesprochen. "Eine Frau sagte, ich sei bei ihrer Hochzeit gewesen und schenkte mir ein Foto", erzählt Jens Motschmann. Er ist noch immer in Rohrberg zu Hause, in fast jedem Haus erinnert man sich an ihn. Das nutzt er auch, um Menschen zum Kirchgang zu bewegen. "Gehst Du noch zur Kirche?", fragt er dann. "Ihr habt so einen tollen Pfarrer, Du gehst Sonntag zur Kirche." Pfarrer Gottfried Vogel findet: "Er hat hier viel in Bewegung gebracht, mal sehen, was daraus wird."
Inzwischen fühlt sich Jens Motschmann wieder sehr wohl in Rohrberg. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass durch den Besuch hier so heftige Emotionen entstehen. Es wuchs eine richtige Sehnsucht nach Rohrberg", zeigt er sich überrascht. Seine Frau, Elisabeth Motschmann, sei schon besorgt gewesen, als die Volksstimme ihn kürzlich zitierte: "Am liebsten möchte ich hier bleiben". "Aber sie versteht meine Gefühle und findet es toll", freut er sich.
Jens Motschmann fungiert auch als Landesvorsitzender der Seniorenunion Bremen, als "oberster Opa der CDU", wie er sagt. "Aber in meinen letzten Jahren möchte ich mich ganz hier in Rohrberg einbringen."