1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Klötze
  6. >
  7. "Mir war alles egal. Ich wurde zum Penner"

Im Gespräch mit trockenen Alkoholikern / Heute: Der Aufstieg und Absturz des "Peter Peters" "Mir war alles egal. Ich wurde zum Penner"

Von Markus Schulze 24.07.2012, 05:22

Abgesehen von der aktuellen Debatte um das so genannte Komasaufen bei Jugendlichen und eine geforderte Verschärfung der Jugendschutzgesetze wird über das Thema Alkohol gerne geschwiegen. Die Volksstimme sprach mit einem trockenen Alkoholiker.

Klötze l Nach aktuellen Schätzungen gibt es in Deutschland etwa 2,5 Millionen alkoholabhängige Menschen. Die Dunkelziffer mag weit höher liegen. Trotzdem ist Alkoholismus in der Bundesrepublik gemeinhin ein Tabu-Thema. Dies, so meint die Selbsthilfegruppe "Rettungsring" in Klötze, ist jedoch der falsche Ansatz: "Man muss darüber sprechen." Die Mitglieder tun das. Sie alle haben den Absprung geschafft, gelten als trocken und sprechen wöchentlich über ihre Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Die Volksstimme unterhielt sich mit zweien dieser Männer. Heute spricht Peter Peters (Name von der Redaktion geändert) über seinen Werdegang und den Absturz in den Alkoholismus.

Peter Peters ist 64 Jahre alt und blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Über viele Jahre hinweg war er dem Alkohol verfallen. "Mein Vater", so sagt er, "war ebenfalls alkoholkrank, aber das war nicht der Grund."

Sein erstes Bier trank Peter Peters im Alter von 14 Jahren. "Wie man das halt so macht in einer Jugend-Clique. Aber das war alles in Maßen." Überhaupt deutete bei Peter Peters anfangs rein gar nichts auf eine spätere Abhängigkeit hin. Alkohol genehmigte er sich "nur zu besonderen Anlässen". Stattdessen konzentrierte er sich auf das Lernen, wollte Karriere machen, ging in Beetzendorf und Halle zur Schule und machte dort auch sein Abitur. Sein Wunsch war ein Auslands-Studium. Es glückte tatsächlich. Ab 1966 studierte Peter Peters im heutigen St. Petersburg Regelungstechnik. Dieses Genre, erklärt Peter Peters, befasst sich grob umschrieben mit der Steuerung von Automaten. Heutzutage würde man diese Spezialisten vielleicht in die Gruppe der Informatiker oder EDV-Fachmänner einordnen. Auf jeden Fall war Alkohol für Peter Peters zu dieser Zeit nicht von Belang. Er hatte kein Interesse daran, wenig Zeit und noch weniger Geld.

1972 kehrte Peter Peters in die damalige DDR zurück und arbeitete in Jena in der Elektro-Entwicklung. 1974 heiratete er. Im selben Jahr kam er zur NVA. 1976 zog er mit seiner Frau nach Magdeburg. Dort fand er eine Anstellung in einem Datenverarbeitungszentrum. Zunächst als einfacher Angestellter, nach einiger Zeit als Gruppenleiter. 1979 wurde er Vater einer Tochter.

Sein Talent und Können sprachen sich schnell herum und fanden bei den Vorgesetzen wohlwollenden Anklang. 1986 hatte es Peter Peters geschafft. Er war beruflich endgültig in der oberen Etage angelangt.

Der berufliche Aufstieg war der Anfang vom Ende

Eigentlich sollte das ein Grund zur Freude sein. Doch für Peter Peters waren der Druck, der Stress und die Anforderungen schlichtweg zu groß. Er suchte Zerstreuung und fand diese im Alkohol. "Erst waren es nur ein paar Bier nach Feierabend, dann wurde es immer mehr. Wein, Schnaps, ich habe es gebraucht. Zur Beruhigung. Es war ein schleichender Prozess."

Ein Prozess, der Folgen haben sollte. Konzentration, Eifer, Disziplin und Präzision ließen nach. Den Chefs blieb das nicht verborgen. Sie "degradierten" Peter Peters wieder zum einfachen Mitarbeiter.

Ein Leben auf der Straße - acht Monate lang

Spätestens zu diesem Zeitpunkt geriet das Leben von Peter Peters vollends aus der Bahn. In den Wirren der Wende verlor er seinen Job. "Dann wurde es besonders schlimm", berichtet Peter Peters. Er schlich in der Stadt herum, ohne Antrieb, setzte sich mitten am Tag auf eine Parkbank und "dröhnte" sich zu.

Natürlich blieb all das auch seiner Gattin nicht verborgen. Die ehelichen Probleme waren nicht mehr von der Hand zu weisen. "Meine Frau setzte mir die Pistole auf die Brust. Entweder ich mache eine Therapie oder sie verlässt mich." Peter Peters tat wie ihm geheißen und begab sich 1991 in eine Klinik. Fast ein Jahr lang rührte er keinen Tropfen an. Aber kurz vor dem Abschluss der Therapie "strich ich die Segel".

Von da an griff Peter Peters wieder regelmäßig zur Flasche - und seine Frau machte ihre Drohung war. "Ich habe sie nie geschlagen. Aber meine Sucht war für sie nicht mehr zu ertragen."

1993 trennte sich das Paar. Peter Peters bezog in Magdeburg eine Einraumwohnung und verwahrloste zusehends. Er vernachlässigte seine wenigen Freunde und ließ sein einziges Hobby, den Garten, schleifen. "Das hat mich alles nicht mehr interessiert."

Peter Peters fing an, schon nach dem Aufstehen Bier und Schnaps zu konsumieren. Literweise. Und obwohl er den körperlichen Verfall registrierte, machte er weiter. Und weiter. Immer weiter.

Die eigene Tochter erschrak bei seinem Anblick

Eines Tages anno 1995 verlor er aufgrund seines geistigen Verfalls den Wohnungsschlüssel. Doch anstatt einfach zur Hausverwaltung oder zu einem Nachbarn zu gehen ("ich habe mich nicht getraut") entschied er sich von Jetzt auf Gleich für das Leben eines Vagabunden. "Ich wurde zum Penner." Ohne Kleidung zum Wechseln, ohne Hygiene-Artikel und ohne einen Pfennig in der Tasche lebte er in den Tag hinein. "Alles, was ich brauchte, habe ich mir aus dem Müll geholt. Man glaubt ja gar nicht, was die Leute alles wegwerfen. Geklaut oder geschnorrt habe ich nie."

Acht Monate ging das so. Ihm wuchs ein langer Bart. Er war schmutzig, stank regelrecht vor Dreck. "Doch das war mir egal", erzählt Peter Peters. "Mir war alles egal." Sogar an Selbstmord hat er damals gedacht. "Den Strick hatte ich immer dabei. Aber anscheinend hat mir doch der letzte Mut gefehlt."

Irgendwann, Peter Peters streifte mal wieder ziellos durch die Landeshauptstadt, rief von der anderen Straßenseite plötzlich jemand "Papa? Papa!" Es war seine Tochter, zu der er während seiner Phase auf der Straße ("es hat mich niemand vermisst, wo sollten sie auch suchen?") keinerlei Kontakt mehr hatte. "Sie ist furchtbar erschrocken, als sie mich so gesehen hat. Sie hat mich kaum wiedererkannt."

Und wahrscheinlich erschrak in diesem Moment auch Peter Peters selbst. Seine Scham war zwar groß, aber dennoch ließ er sich von seiner Tochter an die Hand nehmen. "In dieser einen Sekunde ist alles zum Positiven gekippt."

Seine Frau nahm ihn wieder bei sich auf. Zumindest zwei Tage lang. "Ich wurde wieder zu einem Menschen. Ich habe mich rasiert und gewaschen. Von da an war ich trocken."

Peter Peters kehrte in seine ursprüngliche Heimat in der Umgebung von Klötze zurück, fand bei seiner Mutter einen ebenso liebe- wie verständnisvollen Unterschlupf und suchte sich endlich professionelle Hilfe. Man schrieb mittlerweile das Jahr 1996.

"Heute", so erzählt Peter Peters, "geht es mir ausgezeichnet." Er bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente, nimmt Medikamente, fährt viel Fahrrad, spielt mit seinen beiden Enkeln, wohnt allein, ist aber nicht einsam, pflegt mit seiner Frau, die 1995 die Scheidung eingereicht hatte, eine enge Freundschaft und genießt das Leben. Und so oft wie möglich spricht er im "Rettungsring" mit Leidensgenossen.

Angst, noch einmal rückfällig zu werden, hat Peter Peters nicht.

Betroffene können ohne Anmeldung an den Treffen vom "Rettungsring" teilnehmen. Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden Freitag um 18 Uhr in der Alten Feuerwehr am Schulplatz.