1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. 84 Prozent aller hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter waren Männer

Hamburger Autorin recherchiert über mehrere Jahre Schicksale von Stasi-Kindern / Forderung nach einer "Stasi-68er-Bewegung" 84 Prozent aller hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter waren Männer

Von Benedikt Vallendar 04.11.2013, 01:18

Magdeburg l Bis zum Dezember des Jahres 1989 war das Areal rund um die Georg-Kaiser-Straße in Magdeburg für die meisten Bürger Terra incognita. Hohe Mauern, Wachposten und Panzersperren umgaben das Gebiet, hinter dem sich die Bezirksverwaltung der Stasi, des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verschanzt hatte.

Heute ist dort unter anderem die Stasi-Unterlagenbehörde (BStU), Außenstelle Magdeburg untergebracht. Rund um die frühere Magdeburger Stasi-Zentrale lebten bis zum Ende der DDR überwiegend hauptamtliche Mitarbeiter des MfS mit ihren Angehörigen.

Abgeschottet vom normalen DDR-Alltag, mit eigenen Ritualen und zahlreiche Privilegien. Doch oft haben sich in Stasi-Familien Dramen abgespielt; spätestens, wenn sich die Kinder mit Beginn ihrer Pubertät nicht mehr an die Gepflogenheiten halten wollten, unter denen sie und ihre Eltern als Geheimdienstmitarbeiter leben mussten. In ihrem Buch "Stasi-Kinder" hat die Hamburger Journalistin Ruth Hoffmann mehrere, zum Teil tragische Fälle rekonstruiert und kürzlich in der Magdeburger Stadtbibliothek daraus vorgelesen.

Prügel und tagelanger Stubenarrest, wenn der Sohn oder die Tochter nicht parierten, waren in vielen Stasifamilien fast schon die Regel, sagt Hoffmann. Knapp sechs Jahre hat die 40-jährige Autorin, Absolventin der renommierten Henry-Nannen-Schule für Journalisten in Hamburg, an ihrem Buch gearbeitet. Die aufwendigen Recherchen waren zugleich eine Zeitreise in die sozialen Gefilde der untergegangenen DDR. "Noch immer leiden Kinder aus Stasi-Familien unter dem früheren Beruf ihres Vaters", sagt Hoffmann. Viele fühlten sich als "Stasi-Kind" stigmatisiert und isoliert, befinden sich bis heute in therapeutischer Behandlung.

"Das MfS betrachtete sich als Elite des Sozialismus", sagt Hoffmann, als eine Art sozialistischer Dienstadel, der als "Schild und Schwert" die alleinige Macht der SED zu verteidigen hatte. Die Skrupellosigkeit ihrer Väter, 84 Prozent aller hauptamtlichen Stasi-Angehörigen waren Männer, ertrugen viele Töchter und Söhne nicht. Sie wandten sich von ihren Eltern ab, erduldeten Schikanen, bis hin zu Gefängnisaufenthalten und haben nach der Wende oft vergeblich versucht, mit Vater und Mutter über die Vergangenheit ins Gespräch zu kommen. "In Magdeburg und vielen anderen Städten der früheren DDR liegt das Thema Stasi noch immer wie Mehltau über den Menschen", sagt Hoffmann. Es bleibt zu hoffen, dass es eines Tages eine "Stasi-68er-Bewegung" gibt, die das Tun ihrer Väter und deren beharrliches Schweigen auf breiter Basis hinterfragt.