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Datenschutz Aufregung um 10.000 AfD-Briefe an Erstwähler in Magdeburg vor Sachsen-Anhalt-Wahl

In Magdeburg haben 10.000 Werbebriefe der AfD für Aufsehen gesorgt. Die Partei hatte kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Erstwähler in Magdeburg mit konkreter Adresse und vollständigem Namen angeschrieben. Fragen zum Datenschutz stellen sich nun.

Von Rainer Schweingel Aktualisiert: 02.06.2021, 05:28
Die AfD in Magdeburg hat personalisiert Erstwähler in Magdeburg angeschrieben. Das war legal, wirft aber bei vielen Adressaten Fragen auf.
Die AfD in Magdeburg hat personalisiert Erstwähler in Magdeburg angeschrieben. Das war legal, wirft aber bei vielen Adressaten Fragen auf. Foto: dpa

Magdeburg - Der Blick in den Briefkasten einer Magdeburger Familie im Osten der Landeshauptstadt sorgte für eine echte Überraschung. „Plötzlich lag dort ein personalisiertes Anschreiben der AfD an meine Tochter, die zum ersten Mal wählen darf“, berichtet die Mutter empört am Lesertelefon der Volksstimme. Die Tochter ist zwar volljährig und darf zum ersten Mal den Landtag wählen. „Aber mit der Rechtsaußen-Partei haben wir nichts am Hut und wollen es auch nicht. Woher stammen die Daten?“, fragt sich nun dort die ganze Familie.

Einen ähnlichen Fall berichtet auch ein Familienvater aus dem Hopfengarten. Der war genauso wie seine ebenfalls volljährige Tochter erschrocken, als in ihrem Briefkasten ein Anschreiben mit den drei Vornamen ihrer Tochter lag. Zwei der drei Vornamen sind eigentlich nur der engsten Familie bekannt. „Denn wir nutzen im Alltag nur einen Vornamen. Woher weiß die AfD solche Details?“, fragt sich nun auch dort die ganze Familie. Die Sache ist an sich schnell aufgeklärt. Die Antwort heißt: aus dem Einwohnermeldeamt. Und: Alles ist legal.

Weitere Parteien haben angefragt

Parteien und Massenorganisationen können insbesondere im Vorfeld von Wahlen persönliche Daten vom Einwohnermeldeamt „kaufen“. Geregelt ist das im Bundesmeldegesetz und kommt nicht jeden Tag, aber auch nicht so selten vor, wie man vielleicht denkt.

Allein im Vorfeld der Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt hatten sich bei der Stadt Magdeburg fünf Parteien über die Möglichkeiten des Adresskaufs informieren lassen, erklärt Stadtsprecher Michael Reif. Genutzt habe diese Möglichkeit am Ende aber nur die AfD. Deren Kreisvorsitzender Ronny Kumpf bestätigt: „Unser Spitzenkandidat hat diese Form der Wahlwerbung genutzt. Anlass ist für uns eine Analyse, nach der wir auch in den jungen Wählerschichten Zuspruch haben.“

Dementsprechend sei man an das Einwohnermeldeamt herangetreten und habe sich die Daten von 10451 Erstwählern geben lassen. Diese Daten seien an einen Dienstleister übermittelt worden, der die personalisierten Briefe in der letzten Maiwoche 2021 verschickt habe. Exakt 1262,50 Euro habe man dafür an das Einwohnermeldeamt bezahlt, hieß es weiter. Die Stadt sprach von einer geringeren Summe in Höhe von 846,08 Euro.

Mehr als 10.000 Datensätze übermittelt

Unabhängig von der Differenz wird der Vorgang aus der Stadtverwaltung mit Hinweis auf die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften bestätigt. Die AfD sei dabei nicht die einzige Organisation, an die Daten in größerem Umfang herausgegeben wurden.

Allein 2021 seien bei sogenannten Gruppenauskünften an fünf Forschungsinstitute insgesamt 10.950 Datensätze übermittelt worden. Die betroffenen Personen haben möglicherweise gar nichts davon mitbekommen, sofern sich die Wissenschaftler nicht bei den Personen meldeten, sondern die Daten nur auswerten. Daten sind nach der Verwendung zu löschen Aber auch Privatpersonen und Firmen können über das Einwohnermeldeamt unter bestimmten Voraussetzungen Auskünfte erfragen. 1881-mal erfolgte das als einfache und 237-mal als erweiterte Melderegisterauskunft allein in diesem Jahr.

Insgesamt sei die Herausgabe solcher Daten in der Regel zulässig, erklärt Albert Cohaus, amtierender Datenschutzbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt.

Auskünfte sind legal

Auch er hatte zur Briefpost der AfD in der vergangenen Woche Nachfragen von Magdeburgern auf dem Tisch. Cohaus: „Die Auskünfte sind legal. Parteien können zum Zweck der Wahlwerbung entsprechende Daten vom Einwohnermeldeamt erhalten. Sie dürfen die Daten aber nur konkret für diese Landtagswahl verwenden. Und sie dürfen die Daten nicht speichern oder später noch einmal verwenden.“

Magdeburgs AfD-Kreisvorsitzender Kumpf sichert das zu: „Wir haben die Daten lediglich an den Dienstleister fürs Versenden der Post weitergegeben. Mehr nicht. Wir speichern nichts und behalten auch nichts zurück. Wir hatten die Daten praktisch nicht mal selbst in der Hand.“

Sperrung gilt nur für die Zukunft

Ob das die erschreckten Familien aus dem Osten und Süden Magdeburgs am Ende tröstet? Fakt ist: Machtlos ist man nicht. Jeder kann sich vor solcher Art Wahlwerbung schützen.

Das geht über einen Antrag an das Einwohnermeldeamt. Dort kann man die Herausgabe der Daten sperren lassen. Das allerdings gehe nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft, so Datenschützer Albert Cohaus.

So manche Magdeburger Familie wird wohl daraus nun ihre ganz persönlichen Schlüsse ziehen.

So kann man der Datenweitergabe wiedersprechen

  • Wer kann unter welchen Bedingungen Adressdaten im Melderegister ziehen?

Grundsätzlich kann jeder eine einfache oder erweiterte Auskunft aus dem Melderegister beantragen. Daneben werden Gruppenauskünfte nach dem Bundesmeldegesetz erteilt, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt. Beispiele sind Anfragen von Forschungsinstituten, zum Beispiel zu einer Corona-Impfstudie. Zu den Melderegisterauskünften in besonderen Fällen zählen zum Beispiel Anfragen von Parteien vor Wahlen.

  • Welche Daten muss die Stadt herausgeben?

Dazu gehören mindestens: Familienname, Vorname, Doktorgrad und derzeitige Anschrift sowie, falls die Person verstorben ist, diese Tatsache. Soweit ein berechtigtes Interesse besteht, dürfen noch weitere Daten wie frühere Wohnsitze etc. übermittelt werden. Außerdem: Die Meldebehörde darf Parteien und Wählergruppen sechs Monate vor der Wahl Auskunft aus dem Melderegister über Daten von Gruppen von Wahlberechtigten erteilen, soweit für deren Zusammensetzung das Lebensalter bestimmend ist. Die Geburtsdaten der Wahlberechtigten dürfen dabei nicht mitgeteilt werden.

  • Wer kann der Herausgabe von Daten an Parteien etc. widersprechen?

Jeder hat das Recht, der Übermittlung seiner Daten zu widersprechen. Es ist das Widerspruchsrecht zur Auskunft an Adressbuchverlage, an Parteien u. a. sowie zu Alters- und Ehejubiläen und an Religionsgemeinschaften. Unter bestimmter Voraussetzung ist auch die Eintragung einer sogenannten Auskunftssperre möglich. Dafür muss Leib und Leben in Gefahr sein.

  • Wie kann man widersprechen?

Unter www.magdeburg.de zum Einwohnermeldeamt durchklicken und dort im Formulardepot suchen oder hier klicken. In den Bürgerbüros wird auch geholfen.