Vor allem für ältere Tiere eine Chance / Heimleiter Andreas Reichardt: "Im Vordergrund steht die Vermittlung" Aus Liebe zum Hund: In der Freizeit locken Spaziergänge mit Vierbeinern aus dem Tierheim
Regelmäßig zieht es Magdeburger in die Rothenseer Straße zum Tierheim. Sie "leihen" sich einen Hund und gehen mit ihm spazieren. Für manch einen seit Jahren eine lieb gewordene Tradition, die auch den Tieren guttut.
Neue Neustadt l Mit einem roten Umschlag in der Tasche geht Birgit Meister zu Tierheim-Leiter Andreas Reichardt. "Wie versprochen hier meine Spende", sagt die 49-Jährige, die vor kurzem im Bruno-Beye-Ring eine Podologie-Praxis eröffnet hat. Die Eröffnungsgäste hatte sie gebeten, auf Blumen und Geschenke zu verzichten - zugunsten einer Spende für das Tierheim. 325 Euro sind auf diese Weise zusammengekommen. Die wechselten am Sonnabend den Besitzer.
"Wir lieben Tiere, insbesondere Hunde", begründet Birgit Meister ihre Aktion. Ihre Tierliebe geht bis zum Verzicht. Aufgrund ihrer Arbeitszeit würde sie einem Hund nicht zumuten wollen, den ganzen Tag allein zuhause zu warten, erklärt die Magdeburgerin. Lieber fährt sie am Wochenende zum Tierheim in die Rothenseer Straße und "leiht" sich einen Hund zum Spazierengehen. "Das tut uns gut, weil wir uns an der frischen Luft bewegen, und auch dem Tier."
Vor rund zwei Jahren hat Birgit Meister die Hundespaziergänge für sich entdeckt, auch ihren Freund mit dieser Leidenschaft angesteckt.
Und sie ist damit nicht allein, vor allem sonnabends kommen Interessenten zum Tierheim mit demselben Anliegen. "Wenn wir nicht pünktlich um 10 Uhr erscheinen, kann es sein, dass kein Hund mehr zum Ausführen da ist", erzählt Birgit Meister. An diesem Wochenende gab es trotz des schlechten Wetters ein richtiges Schlangestehen vor der Tür am Zwingerhaus. Mit "Lupo" bekam die Hundefreundin einen Schäferhundmischling mit "fuchsfarbenem" Fell. Geschätzte neun Jahre ist er und gilt aufgrund seines Alters als schwer vermittelbar. Dabei ist "Lupo" ausgeglichen und recht leicht zu handhaben, erzählt Tierheimleiter Andreas Reichardt. "Für Leute mit Haus und Garten ideal." Doch die meisten Interessenten suchen junge Tiere, das zeigten auch die Nachfragen am Sonnabend.
Für Hunde wie "Lupo" ist so ein Ausführbesuch ideal. Hunde brauchen den sozialen Kontakt und natürlich auch Auslauf. Allerdings ist nicht jeder Vierbeiner, der im Tierheim untergebracht ist, für den Ausführdienst geeignet. Hier gibt es auch Hunde, die nach einer Beißattacke untergebracht worden sind. "Die geben wir natürlich keinem Besucher", erklärt Andreas Reichardt, "dafür gibt es besondere rechtliche Vorschriften. Auch für die Vermittlung." Das gilt ebenso für sogenannte "Verdachtshunde", die allein deshalb im Tierheim landeten, weil sie zu den "verdächtigen" (Kampf-)Hunderassen gehören und von ihren Besitzern nicht mehr gehalten werden können. "Die meisten Vermieter dulden solche Hunde nicht in ihrem Haus", weiß Reichardt. Auch wenn diese Hunde nie gebissen haben, gelten für sie besondere Regeln. Sie dürfen nur mit erfahrenen Leuten und mit Maulkorb aus dem Zwinger.
Alternative, wenn Platz oder Zeit für eigenen Hund fehlen
Für alle anderen gibt es eine rege Nachfrage, erklärt Reichardt. 40 Hunde sind derzeit in der Rothenseer Straße untergebracht. Nicht wenige Besucher kommen regelmäßig, um Hunde auszuführen. Das liegt an der guten Lage, sagt der Heimleiter, "für Interessenten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen". Besonders groß ist die Nachfrage in den Ferien und bei schönem Wetter, berichtet er. "Solche Besuche sind schön und erfreulich, aber im Vordergrund steht für uns immer die Vermittlung." Bei Spaziergängen können sich Tier und künftige Halter kennenlernen und testen, wie sie miteinander auskommen. Wenn ein Vierbeiner ein neues Zuhause findet, "das ist der Idealfall", so Reichardt. Eine feste Patenschaft wie in anderen Tierheimen gibt es allerdings nicht. Zum einen sollen alle Hunde eine Chance zum Ausflug haben, zum anderen wolle man Verbindlichkeiten vermeiden, auf beiden Seiten.
Für Tierfreunde, die sich keinen Hund leisten können (in einer Spontanumfrage wurden vor allem fehlende Freizeit und Haltungsmöglichkeit genannt), ist der Ausführdienst jedoch eine schöne Alternative.
Jörg Neumann kam vor rund 12 Jahren auf den Hund: Er hatte eine attraktive Beschäftigung gesucht für seine Söhne Dominik und Nico, um sie von TV und Computer wegzulocken. Mittlerweile sind seine Jungs 15 und 18 Jahre alt und richtige Fans vom Hunde-Spazieren. "Heute suchen sie die Hunde aus und nehmen mich mit", freut sich der Vater. Am Sonnabend hatten sie die temperamentvolle "Kathi" an der Leine. Eine Mischlingshündin, die auch Studentin Julia Rosener und IT-Administrator Andreas Huth kennen. "Mit ihr waren wir beim vorigen Mal unterwegs." Ihr Begleiter am jetzigen Sonnabend war fast doppelt so groß: Schäferhund "Tom". Der ist älter und um einiges ruhiger. "Ganz lieb", schwärmen die beiden.
Nach gut einer Stunde sind Birgit Meister und ihre Begleitung mit "Lupo" wieder zurück. Ihr Weg hatte sie bis zur Parkanlage am Zoo geführt. "Damit Lupo auch weiche Wege und Wiese unter die Pfoten bekommt und nicht nur Asphalt", sagt die Tierfreundin. Sie bedauert allerdings, dass auf dem Weg dorthin Müllbehälter fehlen. Schließlich müssen die Hinterlassenschaften, die so ein Vierbeiner unterwegs von sich gibt, entsorgt werden. Die Tüten dafür gibt es kostenfrei im Tierheim. Auch das gehört zum Ausgehdienst dazu.