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Kolumne Der Elbe geht das Wasser aus

Magdeburgs Lebensquelle scheint alljährlich mehr zur Neige zu gehen. Projekte sollen die Elbe am Leben erhalten. Aber zu welchem Preis?

Von Nico Esche 26.05.2020, 23:01

Magdeburg | Er ist einer der beliebtesten Fotomodelle in Magdeburg. Er zeigt sich nur selten, dann nämlich, wenn eine Trockenperiode ausgestanden werden muss und nur wenig Regen fällt. Außerdem wird ihm vieles nachgesagt, wenig davon bestätigt, manches gehört gar in das Reich der Legenden. Manch einer will ihn weghaben, andere kämpfen für seinen Verbleib. Vor allem jedoch, ist er es, der in den vergangenen Jahrhunderten den Menschen in und um Magdeburg viele Sorgen bereitete, wenn er aus buchstäblich heiterem Himmel auftaucht: der Domfelsen.

Entweder man hat Glück und sieht ihn, oder er verschwindet unter Wassermassen des ewig fließenden Elbestroms, den Domfelsen, der sich zwischen dem namensgebenden Dom und der Werderinsel bei Niedrigpegel aus dem Elbewasser schält. Heutzutage erfreuen sich Kinder über den Domfelsen, die auf dem abschüssigen Gelände im Elbestrom Steine aufeinander stapeln; andere lichten das Naturphänomen ab und laden die Bilder auf Instagram hoch.

In den vergangenen 1200 Jahren, also seit der Gründung einer Siedlung namens Magadoburg an dieser Stelle, versetzte jedoch der Anblick des Felsen die Bewohner der Region in Sorge. Heißt der Domfelsen nicht umsonst auch “Hungerfelsen”. Der niedrige Stand der Elbe verhieß nichts Gutes, konnte man doch mit Gewissheit davon ausgehen, dass gleichzeitig kaum Niederschlag zu verzeichnen war.

Dabei ist es dem Domfelsen (wahrscheinlich) zu verdanken, dass sich Magdeburg dort erstreckt, wo es heute liegt. Geht man weit in die Vergangenheit, stünde die Stadt wohl an einer malerischen Küste, beziehungsweise tief unter Wasser und später sogar auf den Gipfeln eines dem Himalaja ähnlichen Gebirges. So schreiben es Carl-Heinz Friedel und Olaf Harmann 2005 in der Jubiläumsbroschüre zum Geburtstag der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt.

In der jüngeren Vergangenheit, also etwa um das Jahr 805, könnte es eben genau diese Stelle an der Elbe gewesen sein, die zum Bau einer Siedlung motivierte. Gut möglich, dass es damals schon eine Furt gab, also eine Flachstelle im Flussbett, die das Passieren der Elbe erleichterte. Ideal, um mit den Slawen Handel zu treiben, die rechtsseitig des Flusses lebten.

Weg aus der fernen Vergangenheit, rein in die Gegenwart. Sieht man sich heute den Domfelsen an, der schroff und mancherorts mit grünen Sprenkeln von Gräsern bedeckt ist, laden vor allem die 2007 errichteten Felsstufen zur Erkundung ein. Eine an einer Felsmauer angebrachte Anzeige weckt alte Erinnerungen an die schweren Hochwasser, die in den vergangenen Jahrzehnten die Magdeburger Innenstadt teils heftig verwüsteten.

2017 dann Niedrigwasser-Rekord, der Pegel, der an der nahegelegenen Strombrücke gemessen wurde, lag bei 46 Zentimetern. Das Jahr darauf waren es 45 Zentimeter. Zum Vergleich: Im Tagesmittel des Jahres werden an dieser Stelle rund zwei Meter gemessen. Die Meldungen damals: “Noch 1 Zentimeter zum Niedrig-Rekord” oder “Elbe fällt auf niedrigsten Wasserstand seit über 80 Jahren”. Manch einer meinte gar blanken Fußes durch die Stromschnellen spazieren zu müssen - was auch bei Niedrigpegel lebensgefährlich und ohnehin verboten ist. 

Diese Umstände machen sich auch in der Wirtschaft bemerkbar. Die Ausflugsschiffe der Weißen Flotte musste den Betrieb zeitweilig einstellen, die Binnenschifffahrt fährt entweder mit halber Auslastung oder ist gezwungen gar nicht zu verkehren - für ein sauberes Passieren werden mindestens 110 Zentimeter Wassertiefe benötigt. Der Schaden deutschlandweit: rund elf Prozent Umsatzrückgang gemessen an der Güterbeförderung. Ganz zu schweigen von den Grünanlagen und Äckern in und um Magdeburg, die in den Sommermonaten verdorren und künstlich bewässert werden müssen.

Doch woran liegt es, dass die Elbe in den vergangenen Jahren so wenig Wasser mit sich trug. Vergleicht man die Niederschlagszahlen, zeigt sich ein zwiespältiges Bild. Zwischen Januar 2010 und Dezember 2019 ergab sich ein Niederschlags-Mittelwert von 442,2 mm. Zwischen 1990 und 2009 waren es 481,9 mm, was deutlich mehr Niederschlag widerspiegelt. Geht man jedoch noch weiter zurück, zeigt sich, dass von 1970 bis 1989 sogar nur ein Mittelwert von 440,5 mm registriert wurde - also weniger noch als in den vergangenen zehn Jahren.

Trotz der wechselnden Niederschlags-Situation in den vergangenen Jahrzehnten kommt es dieser Tage und in regelmäßigen Abständen zu Negativ-Rekorden des Elbepegels in Magdeburg. Nach Erklärungen wird noch heute gesucht. Fest steht, dass die Algenkonzentration in der “mitteldeutschen Elbe” extrem hoch ist, berichtete die Dresdner Neueste Nachrichten. So würde der stetige Niedrigwasserstand der Elbe zu mehr Sonneneinstrahlung führen und somit die Temperatur des Wassers erhöhen. Ideale Verhältnisse für Algenwachstum, jedoch laut den forschenden Wissenschaftlern nicht bedenklich.

Sicherlich muss man auch einen Blick flussaufwärts werfen, zur Quelle der Elbe im tschechischen-polnischen Riesengebirge und der elb-speisenden Moldau. Hier kam es 2018 zu Rekord-Dürren.

Eine klare Antwort auf die Frage jedoch bleibt aus.Was vermutet werden kann: Der niedrige Elbepegel könnte ein Symptom des Klimawandels sein. Bestätigt ist dies jedoch nicht. Aufhorchen lassen sollte uns diese Entwicklung trotz alledem.

Eine der größten Umweltsünder, die zum Klimawandel beitragen, sind Waren die von A nach B transportiert werden müssen, beziehungsweise deren Verkehrsmittel. In Deutschland liefen 2017 rund 72 Prozent aller Gütertransporte über die Straße. Auf der Schiene waren es zeitgleich nur rund 17 Prozent. Umgerechnet auf die vom Güterverkehr produzierten Treibhausgase, bliesen Lkw fünfmal so viel CO2 in die Luft, wie vergleichbare Transporte auf den Gleisen.

Die Menge transportierter Güter per Binnenschifffahrt nimmt sogar ab, liegt heute nur noch bei rund acht Prozent. Kleiner Randfakt: Ein Schiff ersetzt etwa 80 bis 100 Lkw. Man kann sich ungefähr ausmalen, wie es auf deutschen Kraftstraßen aussehe, würden mehr Güter über das Wasser transportiert. Ein Blick auf die A2 bei Magdeburg genügt.

Allerdings soll genau diese Art von Transport in den kommenden Jahren gesteigert werden. Vor allem, weil im Zuge der Verlangsamung des Klimawandels vermehrt auf CO2-Ausstöße verzichtet werden soll (Schifffahrts- und Zug-Emissionen sind vergleichbar). Entgegen den Forderungen von Umweltschützern, die Elbe nicht weiter zu entfremden, wie es anderen Flüssen in Deutschlands ergangen ist, will die Bundesregierung die Elbe als Bundeswasserstraße erhalten und für Last-Schiffe weiter ausbauen. Dafür soll das Flussbett ausgebaggert werden, die Elbe ganzjährig eine Fahrrinnentiefe von 1,4 Metern vorweisen. In den vergangenen 20 Jahren wurden für das sogenannte “Gesamtkonzept Elbe” so bereits rund 400 Millionen Euro locker gemacht.

Auch in Magdeburg bewegt sich diesbezüglich einiges - nämlich Gelder und Investitionen in Höhe von insgesamt 44,7 Millionen Euro, die zur Reaktivierung des Magdeburger Industriehafens beitragen sollen. Der Standort Magdeburg soll so wirtschaftlich verbessert, mehr Unternehmen angesiedelt werden. Eine Chance für die Stadt und die gesamte Region.

Die Elbe ist noch eine der wenigen Flüsse, die noch sehr naturbelassen ist. Hochwasser kann sich unter anderem über ökologisch wertvolle Auen ausbreiten und so Wasser speichern. Nach einem Ausbau der Elbe wäre dieser Vorteil zunichtegemacht. Das zeigt sich am Beispiel Rhein. Die Begradigung des Flusses trocknet Auen aus, Pflanzen und Tiere haben das Nachsehen, Fischbestände gehen zurück.

Wie empfindlich ein Ökosystem reagieren, beziehungsweise wie schnell es sich nach bestimmten Maßnahmen erholen kann, zeigt der Fall der Wiederansiedlung des Wolfes im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark. Nachdem der Wolf in dieser Region ausgerottet wurde, explodierten die Wapiti-Bestände, und damit der Verbiss von Pflanzen. Einhergehend mit rückläufigen Vogelbeständen, Biber bauten keine Dämme mehr, die Flussbänke erodierten. Die Temperatur der Flüsse stieg an, Fische starben aus. Einige Jahre später: Der Wolf wurde wieder angesiedelt, die Natur erholte sich. Der Wolf veränderte mit seinem Erscheinen und dem damit einhergehenden Reißen der Wapiti indirekt selbst den Flussverlauf geringfügig, hin zum natürlichen Ursprung. Und das innerhalb eines Jahrhunderts; ein Wimpernschlag im Zeitfenster der Erde.

Die Katze beißt sich in den Schwanz, könnte man sagen. Zum einen sorgt der Klimawandel (aller Wahrscheinlichkeit nach) für Niedrigwasser in der Elbe, hervorgerufen unter anderem durch die starke Nutzung des Lkw-Güterverkehrs und dem geringfügigen Gebrauch der Binnenfahrt. Zum anderen fließt zu wenig Wasser in der Elbe, als dass Schiffe diese passieren könnten. Ein Ausbau könnte das empfindliche Ökosystem der Elbe für immer vernichten. Am Ende bleibt, sich selber Gedanken über diese sehr ambivalente Situation zu machen, um herauszufinden, was nun richtig oder falsch ist. Die Maßnahmen der Regierung, Magdeburgs und des Landes bleiben so zwiespältig wie zu kurz gedacht.