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Hegelgymnasiasten befragen über 50 Betroffene / Ergebnisse werden morgen vorgestellt Der lange Weg nach Magdeburg: Zeitzeugen erzählen Schülern ihre Flucht-Erlebnisse

Von Peter Ließmann 10.03.2012, 05:19

Wie haben Menschen nach 1945 Flucht und Vertreibung aus dem Osten erlebt? Dieser Frage ist ein Schülerprojekt des Hegelgymnasiums nachgegangen. Das Ergebnis ist ein spezieller Ausstellungsraum im Kulturhistorischen Museum, der morgen vorgestellt wird.

Magdeburg l "Wenn ich mein Leben in Gedanken noch einmal durchlebe, kann ich sagen, dass ich in keinem Moment so viel Angst spürte, wie in diesem." Dieser eindringliche Satz stammt von Margarete D., geboren 1938 in Bromberg, im Januar 1945 mit ihrer Familie vor der Roten Armee nach Magdeburg geflüchtet. In einem Flüchtlingszug musste sie miterleben, wie Soldaten über Kinderwagen stiegen. Als die Mütter sie anschrien, sagten sie nur: "Na und, die Kinder sind doch sowieso alle tot."

Nachzulesen ist diese Erinnerung in einem Zeitzeugenbericht im Kulturhistorischen Museum. Die Schüler der 10. Klassen des Hegelgymnasiums haben sich eines sehr schwierigen Themas angenommen: Flucht und Vertreibung nach 1945.

Es ist ein erstaunlicher und zugleich bewegender Ausstellungsraum, den die Schüler zusammen mit ihrer Geschichtslehrerin Ute Mühler und Museumskuratorin Karin Grünwald geschaffen haben. Durch über 50 Zeitzeugen-Interviews haben sich die Schüler an das Thema angenähert. Aus den Schilderungen von Flucht und Vertreibung haben sie Daten zusammengestellt, Fluchtwege und -odysseen anschaulich nachgezeichnet, haben Informationstafeln erstellt und Gegenstände gesammelt, die das Thema veranschaulichen können. Ein typischer Flüchtlingskoffer ist zu sehen, eine dreidimensionale Karte, auf der Fluchtwege einzelner Personen quer durch Osteuropa nachgezeichnet sind und 100 Backsteine. So viele musste nach 1945 jeder Einwohner aus Trümmern sauber "klopfen".

Am bewegendsten sind aber die Zeitzeugenberichte selbst. Zum Teil wurden die Gespräche aufgezeichnet und man kann sie sich in der Ausstellung anhören, zum Teil haben sie die Schüler aufgeschrieben und sie können nachgelesen werden. Wie die Geschichte von Horst L., 1934 in Preußisch-Elau bei Königsberg geboren. Er erzählt, wie er bei 20 Grad minus über die Ostsee mit seiner Familie geflüchtet ist, wie die Trecks auf dem Eis von Kampfflugzeugen beschossen wurden und wie er und seine Familie nur deshalb in Magdeburg angekommen sind, weil sie keinen Platz mehr auf dem Katastrophen-Schiff "Wilhelm Gustloff" mehr bekommen haben. Oder der Bericht von Erna E., die aus einem Dorf bei Goldap in Ostpreußen geflüchtet ist, sich als 24-Jährige mehrere Wochen in einem Rübenverschlag vor marodierenden Soldaten versteckt hat und sich später über Polen zu ihren Verwandten nach Burg durchgeschlagen hat.

"Die Schüler haben wirklich eine gute und wissenschaftliche Arbeit geleistet", sagt Kuratorin Karin Grünwald. Und der Raum sei eine echte Bereicherung für die Ausstellung "Magdeburg lebt - Kriegsende und Neubeginn 1945 -1949". Das Thema Flüchtlinge sei in der aktuellen Ausstellung bewusst erst einmal nur mit einer Vitrine behandelt worden. "Wir hatten schon im Vorfeld der Ausstellung geplant, dazu ein Schülerprojekt zu veranstalten", erläutert Karin Grünwald dazu. Und Ute Mühler sei es gelungen, alle 10. Klassen des Hegelgymnaisums dafür zu gewinnen.

Am morgigen Sonntag soll der Ausstellungsraum mit dem Projekt der Schüler offiziell vorgestellt werden. Dabei werden die Schüler die Präsentation übernehmen und die Historikerin Dr. Steffi Kaltenborn von der Otto-von-Guericke-Universität wird in das Thema einführen. Dazu sind auch die von den Schülern interviewten Zeitzeugen eingeladen. Einige haben ihr Kommen zugesagt.

Zur Eröffnung wollen die Schüler für die Besucher ein kleines Buffet vorbereiten - mit Lebensmitteln, wie es sie in den Mangeljahren nach 1945 gegeben hat.