Verwalter wurde stutzig, weil keine Miete einging / Stadt übernimmt häufiger Beisetzungskosten Einsamer Tod: Verstorbener lag rund zwei Monate in Wohnung in der Leipziger Straße
Ein 51-jähriger Magdeburger lag rund zwei Monate tot in seiner Wohnung eines Mehrfamilienhauses an der Leipziger Straße, bis man ihn fand. Weil die Miete nicht mehr einging, war der Verwalter stutzig geworden. Die Polizei registrierte wenig später schon an der Wohnungstür deutlichen Verwesungsgeruch.
Leipziger Straße l Ein unscheinbarer Altbau im Hinterhof an der Leipziger Straße. Das weiß-graubraun getünchte Treppenhaus wirkt kahl. Nichts Schmückendes, es stehen nicht einmal ein paar Schuhe vor den Wohnungstüren. Auch Postkästen gibt es hier nicht. Sie sind im Flur des Haupthauses mit untergebracht. Es herrscht an diesem Sonnabendvormittag eine Stille, als wäre das Haus menschenleeer. So verraten eigentlich nur die Namensschilder an den Klingeln der Hauseingangstür, dass das halbwegs sanierte Mehrfamilienhaus bewohnt ist.
In der zweiten Etage, an der Wohnungstür gleich links neben dem Treppenaufgang, klebt ein amtliches Polizeisiegel. Datiert auf den 13. Januar 2012. Hinter dieser Tür lebte ein 51-jähriger Magdeburger und er starb hier. Vor etwa zwei Monaten unbemerkt von seinem Umfeld. Die Polizei fand den Toten auf der Couch in sitzender Position. "Höchstwahrscheinlich ein natürlicher Tod", erklärt Polizeisprecher Bernhard Wessner auf Nachfrage. Dennoch werde es eine Obduktion geben. Das, so Wessner, sei immer so bei Toten "mit längerer Liegezeit".
Als der Hausverwalter am Freitag vor einer Woche die Polizei rief, war schnell klar, dass etwas nicht stimmt. Die Beamten hätten schon an der Wohnungstür deutlichen Verwesungsgeruch wahrgenommen, so wird später protokolliert. Ist den Nachbarn nichts aufgefallen? "Offenbar nicht", sagt Polizeisprecher Wessner. Es habe wohl keine Hilferufe oder dergleichen gegeben. Selbst wenn aufgefallen wäre, dass der Postkasten überquillt, wäre das kein wirkliches Alarmsignal. "Wenn wir alle Wohnungen aufsuchen würden, wo die Briefkästen überlaufen, würden wir gar nicht mehr fertig werden. Das kann man sicher auch keinem Nachbarn anlasten", findet Wessner.
Dennoch. Ein Bewohner des Erdgeschosses, der bei unserem Besuch die Tür öffnet, reagiert erstaunt auf die Umstände des Todes seines Haus-Mitbewohners. Dass ein Nachbar über ihm in der Wohnung gestorben sei, habe er gehört. Aber: "Zwei Monate. So lange hat er schon in der Wohnung gelegen? Das wusste ich gar nicht", sagt der junge, aufgeschlossen wirkende Mann. Den Verstorbenen habe er nur vom Sehen gekannt. "Und auch nur ganz selten", sagt er fast entschuldigend. Erzählt habe er eigentlich gar nicht. "Mir ist nur aufgefallen, dass er immer kränklich wirkte", ergänzt der junge Nachbar. Der Betreiber einer kleinen Gastronomie in der Nähe berichtet, er habe den Verstorbenen auch nur vom Sehen gekannt. "Besuch hat man eigentlich nie wahrgenommen. Er kam auch nie zum Essen." Der 51-jährige Frührentner aus der Leipziger Straße lebte offenbar sehr zurückgezogen. Von Freunden und Verwandten ist nichts bekannt. Kein Einzelschicksal.
Doch wie viele Menschen sterben einsam in ihrer Wohnung? Den Aufsehen erregendsten Fall gab es 2008, als in einer Seniorenwohnanlage die mumifizierte Leiche eines 67-Jährigen gefunden worden war. Nach zwei Jahren. Da war der überlaufende Postkasten doch noch jemandem aufgefallen.
Spezielle Statistiken gibt es aber keine. Die Polizei rechnet im Jahr mit ca. 250 Ermittlungsfällen, in denen die Todesursache nicht klar ist. 10 bis 15 Prozent davon seien Tote mit sogenannter längerer Liegezeit, die meisten in ihrer Wohnung. Heißt: 25 bis 30 Menschen sterben etwa jährlich in ihrem Zuhause, ohne alsbald entdeckt zu werden. Die Zahl sei in den letzten Jahren relativ konstant, sagt Polizeisprecher Wessner. Aber: Es gibt immer mehr Verstorbene, die keinen Kontakt mehr zu Angehörigen hatten. Und wenn solche nicht auffindbar sind, springt die Stadt für die Beerdigungskosten ein. Im Jahr 2000 waren es noch 64 Fälle, 2011 schon 161, erklärt Dr. Eike Hennig, Gesundheitsamtsleiter. Wenn Polizei oder Bestatter keine Verwandten finden, wird das Amt informiert. "Wir recherchieren selbst noch mal, u.a. über das Melderegister." Wenn auch das ohne Erfolg bleibt, übernimmt die Stadt die Kosten. 1300 Euro pro Beisetzung sind das. In ca. 60 Prozent der Fälle kann sich die Stadt das Geld später doch wieder zurückholen, sagt der Amtschef.
In Magdeburg bekommen Verstorbene ohne Angehörige von der Stadt ein Urnengrab auf dem Westfriedhof. Mit Grabplatte, auf der Name, Geburtsjahr und Sterbejahr vermerkt sind. "Das macht nicht jede Kommune so", betont Hennig. Aber: "Manchmal kommen später doch noch Bekannte oder Angehörige an das Grab."