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Ausgehen in Magdeburg Kneipensterben: Nächste Bar am Hasselbachplatz steht vor dem Aus

Das Kneipensterben in der Magdeburger City geht weiter. Erst Corona, nun Großbaustelle und Konkurrenz durch Spätshops. Welche Bar vor der Insolvenz steht.

Von Karolin Aertel Aktualisiert: 20.07.2024, 16:25
Rushi Singwala ist einer der wenigen Mitarbeiter, die Gastronom Marcel Koke noch beschäftigten kann.
Rushi Singwala ist einer der wenigen Mitarbeiter, die Gastronom Marcel Koke noch beschäftigten kann. Foto: Uli Lücke

Magdeburg. - Die Hassel-Gastro wird zu Grabe getragen. Darauf machen kleine Kreuze und Kerzen in Magdeburgs City aufmerksam. Sie stehen vor Läden, in denen einst Kult-Kneipen die Nachtschwärmer anlockten. In Kürze könnte ein weiteres Kreuz hinzukommen.

Marcel Koke, Inhaber der Cocktailbar „Kartell“, früher „Espresso Kartell“, steht vor der Insolvenz.

Fehlendes Gleichgewicht

70 Prozent weniger Umsatz hatte er in den Monaten Mai und Juni zu verzeichnen; in den Monaten zuvor, seit Beginn der Baustelle, waren es 50 Prozent weniger. Die aktuelle Baustelle drücke die Einnahmen gegen null. Sie sei aber nur das i-Tüpfelchen, sozusagen der Todesstoß beim Kneipensterben am Hassel, sagt er. Begonnen habe der steile Abwärtstrend, als sich immer mehr Spätshops ansiedelten. „Mit den dort angebotenen Preisen können wir Gastronomen nicht mithalten“, erklärt er. Als zu den Spät- auch zahlreiche Barber-Shops und Shisha-Bars kamen, sei der Hassel aus der Hand gegeben worden. „Das Gleichgewicht ist nicht mehr vorhanden.“

Klientel hat sich geändert

Die Klientel änderte sich drastisch; immer weniger Studenten und Nachtschwärmer, die einst die Kneipenmeile pulsieren ließen, kamen. Und dann kam Corona. Die pandemiebedingte Schließung habe der Gastronom bis heute nicht kompensieren können. Und nun auch noch die Großbaustelle, die das Leben am Hassel fast komplett zum Erliegen bringt.

„In den vergangenen Tagen war ich kurz davor aufzugeben und Insolvenz anzumelden“, verrät er. Längst habe er die Öffnungszeiten gänzlich in die Abendstunden verlegt. „Tagsüber kommt sowieso keiner mehr.“ Der Wegfall der MVB-Haltestellen und die Sperrung für den Verkehr am Hasselbachplatz mache sich enorm bemerkbar. „Alle machen einen großen Bogen um die Baustelle.“

Stadt in der Verantwortung

Wie lange Marcel Koke noch durchhalten wird, weiß er nicht. Mögliche Einsparungsmaßnahmen seien beinah ausgeschöpft. Mitarbeiter habe er bereits entlassen oder aber ihre Arbeitsstunden deutlich runterschrauben müssen. Er selbst hingegen kann sich keine Pause gönnen; sich kaum den Lohn auszahlen. Selbstausbeutung in der Gastro – ein bekanntes Phänomen.

Die Schuld für das seit Jahren andauernde Kneipensterben am Hassel sieht er bei der Stadt und den Stadtplanern. Er habe kein Verständnis dafür, dass zugelassen wird, dass sich so viele Spätis, Shisha-Bars und Barber-Shops ansiedeln können.

Wenn es um ihre Finanzen geht, findet die Stadt auch immer Mittel und Wege etwas zu reglementieren oder durchzusetzen.

Marcel Koke, Inhaber des „Kartell“

Das Argument, dass die meisten Ladengeschäfte in Privathand sind und damit außerhalb der Entscheidungsgewalt der Stadt liegen, lässt Koke nicht gelten. „Wenn es um ihre Finanzen geht, findet die Stadt auch immer Mittel und Wege etwas zu reglementieren oder durchzusetzen“, sagt er.

Ob es das Kartell in ein paar Wochen noch gibt, vermag er nicht zu sagen. Im Moment stehen alle Zeiger auf Insolvenz. Und das nach über 20 Jahren, die es die Bar schon gibt. Marcel Koke, selbst seit 19 Jahren in der Gastro tätig, übernahm das einstige Espresso Kartell in der Otto-von-Guericke-Straße im Jahr 2011.

Leere Plätze im Außenbereich: Seit Beginn der Großbaustelle am Hasselbachplatz kommen kaum noch Kunden.
Leere Plätze im Außenbereich: Seit Beginn der Großbaustelle am Hasselbachplatz kommen kaum noch Kunden.
Foto: Uli Lücke

Nur wenige Bars übrig

Seither hat er viele Kult-Kneipen schließen sehen – beispielsweise das Dom Sikara 2015, die Urbar 2017, das Jakelwood und das Liebig 2018, das Coco und das KuCaf 2019, das Café Central und das Riff 2021, das Escape 2023. Und die Liste ist noch länger. Auch Clubs und Bars wie das Hemingway, Heaven, Deep oder spätere Tiefgang, die einst zum pulsierenden Nachtleben am Hassel beitrugen, sind Geschichte. Bleibt zu hoffen, dass sich nun nicht auch noch das Kartell dazugesellt.

Von den mehr oder weniger „Alteingesessenen“ gibt es nicht mehr viele. Das Flowerpower im Breiten Weg/Ecke Keplerstraße gehört dazu, ebenso „Stern“ und „Hyde“ in der Sternstraße, das Lion-City-Pub, die Likido-Bar und das M2 an der Otto-von-Guericke-Straße.