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Kommunalpolitik Die Kapitulation

Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper bricht im Zorn mit seinem Amt - die Genese.

Von Katja Tessnow 08.12.2020, 23:11

Magdeburg l Nach der Kommmunalwahl 2019 sagte Lutz Trümper, er wolle sehen, wie sich die Arbeit im neu gewählten Stadtrat entwickelt und auch davon seine Zukunft im Amt abhängig machen. Jetzt hat er offenbar genug gesehen.

Von 2001 bis 2019 kann Lutz Trümper, wie schon sein Amtsvorgänger Willi Polte, auf eine Mehrheit aus SPD und CDU im Stadtrat setzen. Auch diese De-facto-Koalition funktioniert nicht jederzeit tadellos, aber in der Regel. Mit Beschlüssen zum Tunnelbau tun sich schon 2006 und 2009 Teile der SPD schwer. Ein Riesenkrach um gebrochene Absprachen bei Beigeordnetenwahlen zwischen den beiden Lagern gipfelt 2009 im Trümper-Ausruf Richtung CDU: „Mit Betrügern mache ich keine Geschäfte!“ Man findet sich immer wieder, schon aus machtpolitischen Gründen.

Ab 2015 tut sich ein Riss zwischen Trümper und den eigenen Reihen auf. Nachdem das Stadtoberhaupt wegen Differenzen im Umgang mit der Flüchtlingskrise sein Parteibuch hingeworfen hat, gehen Teile der Fraktion spürbar auf Abstand, wenngleich sich das noch kaum in Abstimmungen niederschlägt. Der Riss verklebt mit Trümpers SPD-Wiedereintritt 2017 leidlich. Heute bezeichnet er ihn als Fehler.

Das Ergebnis der Kommunalwahl 2019 spiegelt in Magdeburg den bundesweiten Trend zur Zergliederung einerseits und einer Rechts-links-Polarisierung auf der anderen Seite wieder. Nicht nur die Machtverhältnisse im Stadtrat sind seither gewaltig durcheinandergewirbelt. Es gibt heute fünf annähernd gleich große Lager von CDU, Grünen, SPD, Linken und AfD, gefolgt vom neuen FDP-Tierschutz-Bündnis und der Kleinfraktion Gartenpartei/Tierschutzallianz. CDU und SPD bringen es auf keine Mehrheit mehr. Noch dazu gehen vor allem die Lager der Grünen und der Linken stark verändert und verjüngt aus der Wahl hervor; auch die SPD-Fraktion ist nicht mehr die alte – und ein auf ökologische und soziale Erneuerung der Stadtpolitik setzendes Lager ist gestärkt. Das will zum Beispiel mit dem kostenlosen Schülerticket für Bus und Bahn eigene Marken – zur Not auch gegen den eigenen Mann an der Stadtspitze – setzen.

Aus Trümpers Sicht wichtige Investitionsprojekte werden zur Gratwanderung im investorenkritischer (Trümper sagt „investorenfeindlich“) gewordenen Rat. Den Wohnungsbau am Stadtmarsch kann die Verwaltung noch durchsetzen, den Möbelmarkt neben der Gieselerhalle und das Altenwohnzentrum am Winterhafen schon nicht mehr; Letzteres weil die AfD den Wohnen-im-Park-Gegnern aus Grüne/future!, Linken, Gartenparteilern und Tierschützern sekundiert.

Trümper sieht danach „Brandmauern“ gegen das rechtspopulistische Lager von denen eingerissen, die sie am stärksten beschwören. Die Grünen verwahren sich gegen den Vorwurf: Man mache keine gemeinsame Sache mit der AfD, könne aber nicht verhindern, dass das Lager eigene Anträge unterstütze, wie es auch bei anderen Fraktionen der Fall sei. Im Einzelfall – wie beim Antrag zur Seebrücke (Aufnahme von aus dem Mittelmeer geretteten Flüchtlingen) – scheut auch Trümper in der Vergangenheit nicht eine Stimmabgabe an der Seite der außer ihm einzig ablehnenden AfD. Fest an Trümpers Seite bleibt in kritischen Fällen – bei der Investorenpflege ohnedies – allein die CDU.

Trümper, der zweifellos große Verdienste um die Stadtentwicklung hat – beispielhaft seien Schul- und Kita-Investitionen und die bis zur Corona-Krise gelungene Sanierung des Stadthaushaltes genannt – fühlt sich nicht mehr zu Hause im Rat, in dem es viel mehr Ausgleich als Ansage braucht. Er kündigt am 7. Dezember 2020 den vorzeitigen Abtritt im Sommer 2021 an.

Wie tief sich Trümper nach fast 20 Amtsjahren von Teilen des heutigen Rates verletzt fühlt und was er von ihnen hält, darauf ist eine Sequenz der auf seine Erklärung folgenden Haushaltsdebatte am Montagabend im Stadtrat eine Botschaft. Nach den Ratsfraktionschefs tritt der Oberbürgermeister mit Desinfektionstuch ans Pult, wischt gründlich ab und sagt: „Hier haben Leute angefasst, da möchte ich meine Hände nicht draufhalten.“ Trümpers Ekel, so versteht es jeder im Rat, bezieht sich nicht auf Viren.

Auszüge aus Trümpers Wutrede am Montag im Stadtrat

Amt: Ich bin nicht vereidigt worden für irgendeine Partei, sondern ich bin vereidigt worden als Oberbürgermeister für die gesamte Bevölkerung dieser Stadt.

Vertrauen: „Ich habe im Stadtrat noch nie irgendjemanden belogen, noch nie irgendeine Intrige gemacht und irgendjemand hintenrum reingelegt. Und wenn mir dann hier im Stadtrat gesagt wird ,Wir vertrauen Ihnen nicht‘, von Frau Linke (2019 neu in den Rat gewählte Fraktionschefin von Grüne/future! – die Redaktion), dann ist das unverschämt.“

Mehrheiten: „Wenn hier im Stadtrat Beschlüsse gefasst werden, wie zur Ablehnung des B-Plans zum alten MDR-Gebäude (Investoren planten Altenwohnanlage am Stadtpark – die Redaktion) mit einer Mehrheit von Linken, Grünen und AfD, dann gibt es hier im Stadtrat keine Brandmauer mehr. (...) Und dann von mir zu verlangen, ich soll das alles koordinieren – Linke, AfD, Grüne und SPD – das muss mir mal einer erklären, wie das geht. Diese Situation ist für mich jedenfalls langsam unerträglich.“

Schülerticket: „Da steht ein Finanzierungsvorbehalt drin, den wir als Beamte fassen müssen, wenn der Haushalt nicht ausgeglichen ist. (...) Dann kommen die persönlichen Beleidigungen in der Zeitung: Der macht was er will, (...) bringt die Drucksache nicht ein. (...) Und dass dann (...) der eigene SPD-Fraktionsvorsitzende ’ne Pressemitteilung rausschickt, ohne mit mir jemals ein Wort gewechselt zu haben zum Thema, und mich beschimpft, dass ich das zum Fallen bringen will, setzt dem Ganzen die Krone auf.“

Fehler: „Man macht im Leben auch Fehler. 2017 und 2018 habe ich zwei gemacht. 2017 war der erste, wieder in die SPD einzutreten. 2018 war es (...), dass ich gesagt habe, dass ich darüber nachdenke, wieder anzutreten. In Wirklichkeit war das für mich nie ein Thema, das zu tun.“

Konsequenzen: „Jetzt bin ich 65, wie in der Zeitung zu lesen stand, und schon nicht mehr in der Lage, irgendjemanden hinter meinen Drucksachen zu vereinen und erleide hier reihenweise Niederlagen. (...) Das ertrag’ ich, denn in manchen Fällen bleibe ich standhaft und vertrete meine Meinung, auch wenn ich damit nicht die Mehrheitsmeinung im Stadtrat vertrete. Das gehört sich so, dass man zu seiner Meinung steht. Was heißt das für mich? Ich trete 2022 definitiv nicht mehr an. Ab 1. März könnte ich das erste Mal gehen, dann habe ich die Zeit erreicht, 65 Jahre und vier Monate (...), aber ich werde wahrscheinlich zwischen dem 1. 6. und dem 1. 8. mich in den Ruhestand versetzen lassen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und dass wir mit ein bisschen mehr Respekt miteinander umgehen.“