Magdeburger des Jahres 2024: Annette Böhlmann Die Magdeburger Lebensmittelretter
Die Volksstimme sucht die Magdeburger des Jahres 2024. Zur Wahl steht auch Annette Böhlmann vom Verein „Tischlein deck Mich“. Hier geht es zu Porträt und Abstimmung.
Magdeburg - Etwa 800.000 Tonnen Lebensmittelabfälle fallen in Deutschland pro Jahr im Handel an, wie das Statistische Bundesamt für das Jahr 2022 ausgewiesen hat. Doch längst nicht alles, was beim Discounter in der Tonne landet, ist auch tatsächlich ungenießbar: das Mindesthaltbarkeitsdatum ist näher gerückt, neue Chargen sollen Platz im Regal finden und ähnliches.
Ein junger Magdeburger Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs vor der Tonne und somit der Verschwendung zu retten und sie an Menschen zu verteilen, die ebenso nachhaltig denken beziehungsweise nicht so viel Geld haben, dass sie sich immer das leisten können, was für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung nötig ist. Das ist der Verein „Tischlein deck Mich". Gegründet haben ihn im Sommer 2022 Annette Böhlmann und ihr Sohn Ronny sowie Sylvia Müller. Die beiden Frauen teilten sich die Vereinsführung, bis ein Jahr später Sylvia Müller verstarb.
Video: Magdeburger des Jahres 2024: Kandidatin Annette Böhlmann
(Kamera: Ivar Lüthe, Schnitt: Anna Lena Giesert)Sie nahmen Kontakt zu Märkten, Logistikzentren und Großhändlern in Magdeburg auf, fanden Unterstützer ihrer nachhaltigen wie auch sozialen Idee der Lebensmittelrettung. Ihren ersten Verteilraum eröffneten sie in Stadtfeld-Ost in der Friesenstraße. Das Modell fand auch gleich Anhänger beziehungsweise Abnehmer. Stück für Stück wuchs sowohl das Netzwerk der Märkte wie auch der Abholer, weitere Verteilpunkte wurden eröffnet. So etwa in Rothensee, wo der Verein bei der Caritas in zwei angemieteten Räumen Lebensmittel verteilen konnte.
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Standortsuche in Rothensee
Doch das hielt nicht lange. Denn der Verein verteilt ab dem späten Nachmittag die geretteten Lebensmittel, um so auch Berufstätige anzusprechen. Das brachte allerdings organisatorische Probleme mit den Öffnungszeiten der angemieteten Räume. „Wir bedauern das sehr, wir würden sehr gern auch wieder in Rothensee Verteilstellen eröffnen“, sagt Annette Böhlmann. Ein halbes Jahr lang haben sie nach Alternativen gesucht, doch bislang vergeblich.
Aktuell gibt es drei Verteilstellen des Vereins im Stadtgebiet: ein eigener Laden am Ambrosiusplatz, wo dienstags und donnerstags verteilt wird, ein Verteilpunkt beim DRK in Olvenstedt, der mittwochs öffnet sowie noch immer den Verteilpunkt in der Friesenstraße in Stadtfeld-Ost, der samstags seine Türen öffnet.
Mittlerweile helfen 35 Mitglieder beim Verein mit, fahren Märkte an, sortieren und verteilen die geretteten Waren, zu denen nicht nur Lebensmittel, sondern beispielsweise auch Hygiene- und Haushaltsartikel gehören, die die Märkte und Logistikzentren abgeben. Von Obst und Gemüse, über Backwaren bis hin zu Nudeln, Konserven sowie auch Tierfutter reicht das gerettete Sortiment. Selbst Süßwaren zählen dazu, die die Vereinsmitglieder als kleine Überraschung an ihre Abholer verteilen. "Kuschelkisten" nennen sie die Boxen liebevoll.
Verein finanziert sich ausschließlich aus Spenden
Dahinter steckt eine ganze Menge Arbeit. Beinahe täglich sind Annette Böhlmann und ihre Mitstreiter in der Woche unterwegs, um Lebensmittel zu retten, die Ausgaben zu organisieren. Und das alles ehrenamtlich. Annette Böhlmann beispielsweise arbeitet hauptberuflich mit ihrem Sohn in ihrer eigenen Versicherungsagentur. Der Verein finanziert sich zudem ausschließlich aus Spenden.
So geben beispielsweise die Abholer eine Spende in Höhe von 5 Euro. Zu den Kunden gehören Rentner, Alleinerziehende, Studenten, Geflüchtete und Berufstätige mit geringem Einkommen. Jeder, der Waren vor der Mülltonne retten will, kann kommen. Einen Bedürftigkeitsnachweis wie etwa bei der Tafel gibt es nicht.
Vor Ort werden an die Abholer Nummern vergeben und gelost, um die Verteilung der Waren gerecht zu gestalten und sicher zu stellen, dass für alle Abholer genug da ist. Denn angesichts von Inflation, aber auch einem zunehmenden Verständnis für Nachhaltigkeit, wächst die Zahl der Abholer. Aktuell sind es etwa 1.200 pro Monat.
Schon bevor die Verteilpunkte ihre Türen öffnen, kommen die ersten Abholer. Geduldig warten sie, bis sie an der Reihe sind. In der Zwischenzeit stellen die Vereinsmitglieder etwa Kaffee, Tee oder im Sommer auch kühle Getränke bereit, auch Kuchen oder Kekse, um so die Wartezeit zu „versüßen“. „Unter den Abholern haben sich mittlerweile richtige Freundschaften entwickelt“, erzählt Annette Böhlmann und freut sich. Aus den Abholern speist sich auch die Mitgliederzahl des Vereins. Denn einige wollten nicht nur abholen, sondern auch mithelfen und die Idee unterstützen.
Und selbst, wenn bei den Lebensmittelrettern mal etwas übrig bleiben sollte, wird nichts verschwendet. So gehen Reste beispielsweise an den Magdeburger Zoo und dienen so noch als Tierfutter. „Bei uns wird nichts weggeworfen. Es sei denn, es ist schimmelig“, sagt Annette Böhlmann nicht ohne Stolz.