Magdeburger des Jahres 2024: Hans-Jürgen Villard Eine Stimme für pflegende Angehörige
Die Volksstimme sucht die Magdeburger des Jahres 2024. Zur Wahl steht auch Hans-Jürgen Villard von der Selbsthilfegruppe pflegender Angehöriger Sudenburg. Hier geht es zu Porträt und Abstimmung.
Magdeburg. - Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt Jahr für Jahr. Waren in Magdeburg vor zehn Jahren etwas mehr als 7.500 Menschen auf Pflegeleistungen angewiesen, so hat sich die Zahl inzwischen verdoppelt. Fast 15.000 Pflegebedürftige gab es laut Statistik Ende 2021. Zählt man pflegende Angehörige und Netzwerke dazu, so beschäftigen sich rund 35.000 Menschen in der Landeshauptstadt mit dem Thema Pflege. Doch Gehör finden sie kaum. Hans-Jürgen Villard ist laut für die Leisen. Seit Jahren setzt er sich dafür ein, dass die Sorgen von Pflegebedürftigen und Angehörigen ernst genommen werden.
Video: Magdeburger des Jahres 2024: Kandidat Hans-Jürgen Villard
(Kamera: Sabine Lindenau, Schnitt: Anna Lena Giesert)Drei Schlüsselmomente
„Es gab ein paar Schlüsselmomente in meiner beruflichen Entwicklung, die ausschlaggebend waren“, antwortet Hans-Jürgen Villard auf die Frage, warum er sich so stark macht für die Bedürfnisse Pflegebedürftiger und pflegender Angehöriger.
Zur Umfrage Magdeburger des Jahres: Stimmen Sie hier ab
Es sei eine Herzensangelegenheit für ihn, so der 68-Jährige, der sein Engagement auch im Ruhestand nicht ruhen lässt. Als er erstmals mit dem Thema Pflege in Berührung kam, war gerade die Zeit des politischen Umbruchs. Anfang 1990 sei ein Runder Tisch einberufen worden, weil es einen Pflegenotstand gegeben habe. Als kirchlichem Sozialarbeiter fiel ihm schnell die Leitung zu, als alte Kader politisch so unter Druck gerieten, dass sie ihre Stühle räumen mussten.
Den zweiten Schlüsselmoment erlebte er 2008, als es in Magdeburg einen Pflegeskandal gab. Ein Pflegeheim sei damals von der Heimaufsicht zwangsgeschlossen worden. Zu der Zeit leitete der Gerontologe in Vertretung das Sozialamt der Landeshauptstadt und sollte ein Projekt auflegen, das Magdeburg aus den Negativschlagzeilen katapultieren würde. Er richtete eine Beschwerdestelle ein, die auch viel Zulauf gehabt habe. „Das hatten wir aus München adaptiert“, blickt der Magdeburger zurück. Kurz zuvor hatte die Stadt schon ein Informationsbüro Pflege gegründet.
Der wichtigste Schlüsselmoment war dann aber, als Villard 2020 aus dem aktiven Berufsleben ausschied und urplötzlich selbst zum pflegenden Angehörigen wurde. Sein Schwiegervater, bis dahin noch topfit, sei plötzlich an Krebs erkrankt und von einem Moment auf den anderen auf Pflege angewiesen gewesen. „Da konnte ich von der anderen Seite des Schreibtisches spüren, wie es ist, wenn man in der Situation ist.“ Dabei sei es für ihn nicht so schwierig gewesen, die Formalien mit der Pflegekasse und einem Pflegedienst zu regeln. „Ich war aber auch gut vernetzt.“
Genau das sind die meisten Menschen, die plötzlich in diese Situation geraten, aber nicht. Und sie würden von den Pflegekassen oft im Stich gelassen werden. Meistens seien pflegende Angehörige auch schon älter und bräuchten Lotsen durch das System. In den Selbsthilfegruppen pflegender Angehöriger – in Magdeburg gibt es vier – finden sie Ansprechpartner. Villard leitet die Sudenburger Gruppe, ist aber auch immer für Menschen anderer Gruppen da, die seinen Rat benötigen.
Das Engagement des 68-Jährigen geht über die Organisation der Gruppentreffen hinaus. Er sieht sich und die Mitstreiter in Sudenburg vielmehr als Interessenvertreter, die mit dem Finger immer in den Wunden bohren. Und davon gibt es in der Pflege mehrere. Villard lädt immer wieder Bundes- und Landespolitiker ein, die sich damit befassen. Kurz vor den Kommunalwahlen in Magdeburg hatte er auch ein Forum initiiert, bei dem die Probleme pflegender Angehöriger deutlich angesprochen wurden.
Gehör in der Politik
So gelang es dann auch, die zwei wesentlichen Problemfelder auf die kommunalpolitische Agenda zu heben. Auch wenn es am Ende nach intensiven Debatten nicht für einen Pflegenotruf gereicht hat: Bei den fehlenden festen Kurzzeitpflegeplätzen, die Villard seit Jahren anprangert, konnte ein Achtungserfolg erzielt werden. Die Wohnen und Pflegen Magdeburg GmbH (WuP) hat ein Pflegehotel mit zehn festen Plätzen eingerichtet. Das sei sicher schon vorher geplant gewesen, bleibt der Gerontologe bescheiden. Obwohl er mit seiner steten Kritik an den Missständen sicher seinen Anteil daran hat, dass Bewegung in die Sache kam. Statt eines Pflegenotrufs wurde zumindest auf der Startseite des WuP-Internetauftritts eine Telefonnummer hinterlegt, unter der Angehörige Auskünfte erhalten.
„Von städtischer Seite wird oft gesagt, dass sie nicht zuständig sei. Aber das sehe ich nicht so. Wir sind alle Bürger der Stadt“, lässt Villard nicht nach, laut für Leisen zu sein, den Schwächsten eine Stimme zu geben. Bei allem Unmut über Pflegenotstand und horrend steigende Kosten für Pflegeheime ist der Gerontologe zuversichtlich gestimmt. „Das Land will ein Portal mit dem Echtzeitstand offener Pflegeplätze anbieten“, freut er sich. Einen Wunsch hat er noch: „dass man sich als Stadt dazu bekennt, dass es Pflegebedürftige gibt und man überlegt, wie die Bedingungen für die häusliche Pflege verbessert werden können“. Schließlich sind die Angehörigen das größte Pflegeunternehmen.