Corona Magdeburger Kulturszene startet nach dem Lockdown mit Adrenalin im Blut
Der Magdeburger Kultursommer hat begonnen. Mit den Songtagen fand zudem bereits ein kleines Festival in Magdeburg statt. Unter Musikern und Kulturschaffenden war vor allem eines zu spüren: ein Aufatmen.
Magdeburg - Endlich! Das dürfte wohl der am meisten gedachte Gedanke am Freitagabend gewesen sein. Künstler, Kulturschaffende, Publikum, sie alle freuten sich, dass mit dem Kultursommer wieder Leben auf den Bühnen dieser Stadt einkehrt. Und vielfach durften sie am Wochenende feststellen: „Wir können’s noch“, wie Christian Szibor als Chef der Festung Mark sagte, der gemeinsam mit seinem Team „eine schöne stressige Woche“ hinter sich hatte, die in der Eröffnung des Kultursommers mündete.
Innerhalb kürzester Zeit war das Programm entwickelt worden und bietet in den nächsten Wochen und Monaten mehr als 100 Veranstaltungen an 18 Orten. Weitere können noch hinzukommen.
Bereits bei der Auftaktveranstaltung in der Festung Mark wurde das Motto „Auf die Plätze“ genutzt. Dort gab es für viele Künstler und Kulturschaffende das erste große analoge Wiedersehen seit Monaten. In Kontakt waren sie die ganze Zeit über gewesen, aber hauptsächlich mit Videokonferenzen.
Von gezogenen Reißleinen und euphorischen Gefühlen
Carsten Gerth als Leiter des Gesellschaftshaus blickt auf die vergangenen Monate zurück: „Wir haben permanent Künstler vertröstet und Veranstaltungen verschoben.“ Schließlich sei die Reißleine bis Ende der Saison gezogen worden und es werde nun am Programm für die Saison 2021/22 gearbeitet. Voraussichtlich Anfang Juli startet der Kartenverkauf. Erstaunt ist Gerth über das treue Publikum: Viele hätten trotz Unsicherheiten Abos gekauft – und diese behalten, auch wenn die Veranstaltungen nicht stattfinden konnten. „Ich beobachte schon seit Tagen, wenn ich durch die Stadt gehe, dass die Leute wieder draußen sitzen und lächeln“, freut er sich über den Neustart nach dem harten Corona-Lockdown. Ein bisschen sei ihm sogar, als wäre das kulturelle Leben nie weg gewesen.
Sandy Gärtner aus der Theatergärtnerei hat am Eröffnungstag des Kultursommers zum ersten Mal wieder Theater vor Kindern einer Kita gespielt. „Das waren euphorische Gefühle“, sagt sie. Sie sei sehr dankbar dafür. Beim Neustadt-Projekt „Utopolis“ liefen ebenfalls die Vorbereitungen für die Aktionen und Veranstaltungen. Unter anderem werde ein Kletterpark für Schulen aufgebaut, berichtet Gärtner weiter.
Von den persönlichen Kontakten und Begegnungen schwärmt Ulrike Löhr von der Zwickmühle. Endlich kehre das Leben wieder ein, die ersten Veranstaltungen seien mit Geimpften bereits ausverkauft gewesen.
Große Aufregung hinter den Bühnen
Lust auf den Sommer hat Enrico Scheffler vom Theater Grüne Zitadelle. Die Stimmung dort sei endlich wieder motiviert. Die Silvesterparty werde als Sommersilvesterparty im Stadtpark nachgeholt, das Weihnachtsmärchen sei für den Sommer adaptiert worden, so dass nicht nur die Zwickmühle, sondern auch das Theater Grüne Zitadelle auf die Spielzeitpause verzichtet.
Das Leben sei heilig, mit dieser Botschaft stellt die Magdeburger Künstlerin Munic am Rande der Eröffnung des Kultursommers nun ganz offiziell ihre Skulptur auf der Wiese im Hohepfortepark aus.
Und hinter den Bühnen? Da sind die Künstler, die ihre ersten Auftritte vor oder hinter sich haben in einer Mischung aus gespannter Freude und Aufregung gewesen, die sie lange nicht gespürt haben. „Wir sind heute voller Adrenalin“, sagt etwa „Noch ist Zeit“-Sängerin Antje Reich nach ihrem Auftritt mit dem Songprojekt „Unser Song – Unsere Stadt“. Musiker zu sein, sei eine Berufung und kein Beruf, auf der Bühne zu stehen, gehöre dazu. Wie sehr ihr die Bühne gefehlt habe, das habe sie erst gemerkt, als sie wieder darauf stand. Und spontan zitiert sie Goethe: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“ Aus der Pandemie habe sie aber auch viel mitgenommen, Projekte umgesetzt, die sie sonst nicht in Angriff genommen hätte, und Musiker kennengelernt, die sie vorher nicht auf dem Schirm gehabt habe. Die Musikerszene sei zusammengerückt. Und es gebe für sie keine schönere Art, mit Menschen in Kontakt zu kommen, als die Musik. Im nächsten Monat habe sie die ersten Gigs – und wenn es Corona zulässt, sei sie mit ihren Bandprojekten bis Ende des Jahres ausgebucht.
Wiedersehensfreude bei den Songtagen
Wiedersehensfreude gab es auch bei den Songtagen im Süden Magdeburgs. Eine „intelligente“ Magdeburger Version von „Ein Kessel Buntes“ habe sich Jan Kubon als Mitorganisator gewünscht, berichtet Moderator Stephan Michme am Freitagabend – und in Form der Magdeburg-Revue auch bekommen. Zur Freude des Publikums.
Die mit Abstand aufgestellten Bänke vor der Bühne waren gut gefüllt. Doch nach der langen, gezwungenen Bühnenabstinenz wurden selbst erfahrene Musiker wie Tabea Wollner von Lampenfieber geplagt. Aber zum ersten Mal Applaus-Geräusche zu hören, „tut so gut“, sagt Tabea Wollner.
Jan Kubon erinnert sich an die komische Situation, in der die Kulturszene sich nach dem Lockdown befunden habe. Er selbst habe das Laufen für sich entdeckt. Und Stephan Michme sah in ihm die beste Version von Jan Kubon, seit er ihn kenne.
Lob für Politik und Verwaltung
Viel Lob gab es am Wochenende immer wieder auch für politische Entscheidungsträger und verantwortliche in den Verwaltungen, die die Magdeburger Kulturszene gut unterstützt hätten. Pluspunkte sammelte einmal mehr Oberbürgermeister Lutz Trümper, der spontan 2000 Euro für die zweite Miete des großen Wetterschirmes zusagte, der vor der Festung Mark gespannt ist und die Besucher vor Regen und Sonne schützen soll. Wenn die zweite Mietrate bezahlt ist, gehöre der Schirm der Festung Mark, erklärte Szibor.
Und am Rand wurde es dann auch schon wieder politisch: Stadtrat Jürgen Canehl wies auf die fehlenden Fahrradstellplätze an der Festung Mark hin. Auch er freut sich, dass das kulturelle Leben wieder beginnt.
Kulturbeigeordnete Regina-Dolores Stieler-Hinz hat in der Krise engen Kontakt zu den Verantwortlichen gehalten. Sie habe die Veranstalter kennengelernt und freut sich nun darauf, auch das Leben in den zahlreichen Einrichtungen kennenzulernen. Es seien nachhaltige Strukturen aufgebaut worden. Besonders freut sie sich auf die Veranstaltung „From Disco to Disco“, das sei etwas, das sie sehr vermisse. „Und wenn wir hinkriegen, dass wir uns dann noch ein bisschen mehr drängeln dürfen, wäre ich sehr glücklich“, sagt sie. In die Zukunft geblickt, sollte die Magdeburger Kulturszene selbstbewusster werden. Bekannte von ihr seien „immer wieder positiv erstaunt“ über Magdeburg. Der Kultursommer bietet allerlei Ansatzpunkte selbstbewusst in die Welt zu gehen.