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Brutale Geschichten und Orgelmusik Nachts im Magdeburger Dom: So läuft die Führung ab

Alle zwei Wochen finden Führungen durch Magdeburgs Wahrzeichen statt. Nach Sonnenuntergang können Teilnehmer unbekannten Geschichten und Orgelmusik lauschen. Ein Besuch.

Von Katharina Andresen 29.10.2024, 09:00
Der Dom wird als Wahrzeichen der Stadt von den Magdeburgern geliebt. Die nächtlichen Führungen geben neue Einblicke.
Der Dom wird als Wahrzeichen der Stadt von den Magdeburgern geliebt. Die nächtlichen Führungen geben neue Einblicke. Foto: dpa

Magdeburg - Lange nach Einbruch der Dunkelheit herrscht am Südeingang des Magdeburger Doms ungewöhnlich reges Treiben. Etwa 30 Personen stehen in kleinen Grüppchen davor und blicken in regelmäßigen Abständen erwartungsvoll in Richtung Eingangsportal. Um genau 22 Uhr öffnet sich die massive Eisentür und ein Mann mit weißem Haar kommt dahinter zum Vorschein. Er heißt Rolf Schrader und wird die Gruppe die nächsten anderthalb Stunden durch den dunklen Dom begleiten. Praktikantin Katharina Andresen nimmt für die Volksstimme an der Führung teil.

Im Dom selbst ist es – wenig überraschend – sehr dunkel. Im Taschenlampenschein ist jedoch erkennbar, dass die meisten Teilnehmer der Führung Familien und Senioren sind. Im Halbkreis stehen die Teilnehmer um Rolf Schrader herum, der alle begrüßt und sich über „junge Gesichter“ freut. Gemeint sind damit einige Kinder und Enkelkinder.

Wichtige Persönlichkeiten

Die Blicke vieler Teilnehmer gehen automatisch gen Decke. Zu sehen ist imposantes, massives Gewölbe. Inhaltlich fährt der Dom-Experte Schrader über die Entstehungsgeschichte des Magdeburger Doms fort: Um 1363 war der Dom nach einem Großbrand 1207 endlich geweiht – zwar ohne obere Turmhalle, aber sobald Stühle stehen konnten, reichte es immerhin erst mal für die Betriebsaufnahme. Der Haupteingang, vor dem die Gruppe Halt macht, ist als nutzbarer Eingang zwar permanent geschlossen, zeigt aber den reich verzierten Unterbau der Westfassade.

Rolf Schrader führt seine Gruppe auch zu den Glocken.
Rolf Schrader führt seine Gruppe auch zu den Glocken.
Foto: Katharina Andresen

Das kulturelle Aufgebot im Dom ist generell auffällig personenbezogen: Otto und Editha nebeneinander in einem Steinpavillon, die Statuen neigen sich zueinander. Der Domführer erzählt, dass Otto seiner Frau am Hochzeitsmorgen die Stadt Magdeburg geschenkt hat. Nach dem Taufbecken geht es zu einem ebenerdigen Grabmal.

Brutale Geschichten im Dom

Die Führungsgruppe richtet ihre Taschenlampen-Lichtkegel auf das weiße Steinviereck und lauscht der Hintergrundgeschichte. Währenddessen zu sehen: Ein einzelnes Silberfischchen, das im Scheinwerferlicht seine Bahnen zieht. Es verbergen sich auch grausame Geschichten im Dom: Der unter dem Insekt begrabene Erzbischof hat die Biersteuer eingeführt und wurde daraufhin von wütenden Magdeburgern erschlagen. Vor der Kapelle wird die Führung akustisch begleitet.

Alle knipsen ihre Taschenlampen aus und lauschen gebannt einem russischen Chor, der gesungen das „Vater Unser“ vorträgt. In der völligen Dunkelheit ist die Stimmung zunehmend andächtig. Weiter geht es zu Kaiser Ottos Grab. Hier hat sich der kirchliche Gemeinderat jüngst bewusst dagegen entschieden, mit einem DNA-Abgleich zu prüfen, ob es wirklich Kaiser Ottos Gebeine sind. Nach Erzengel Gabriel, einer besonderen antiken Lanze, dem Bildnis des Mauritius’ und diversen anderen Figuren aus Stein endet die Führung zu Füßen des musikalischen Stars im Dom: der Orgel. Rolf Schrader fordert die Runde auf, zu raten, aus wie vielen Pfeifen sie besteht. Es sind 6.139.

Er weiß das unter anderem so genau, weil er die Nachtführungen seit 2006 macht. Das war seine 484. Gruppenführung. Den Größenrekord hält eine Führung mit 164 Besuchern im dunklen Dom, wie er erklärt. „Da wird es dann aber auch nie still“, sagt Schrader lachend. Er ist mittlerweile 84 Jahre alt, und bereitet sich allmählich auf den Ruhestand vor: „Mindestens bis zur 85, das wäre schon toll.“ Doch auch dann gehe es wohl weiter mit den nächtlichen Expeditionen, in der Gemeinde gäbe es schließlich mehr als genug qualifizierte Nachfolger.

Stimmen der Besucher im Magdeburger Dom

Die Führung dient an diesem Abend auch als Teamabend. Holger Müller ist einer der Teilnehmer. Seine Firma habe sich für die Führung entschieden und sei hellauf begeistert: „Es ist wirklich ein schönes Stück Kultur und eine tolle Erfahrung. Immerhin kennt jeder Magdeburger den Dom von Kind auf“, sagt der 47-Jährige.

Die 52-jährige Susanne Meyer hat die Führungsteilnahme als Familienausflug organisiert: „Die zahlreichen Hintergrundinformationen haben mich total berührt. Vor allem die über das Magdeburger Ehrenmal.“

Praktische Tipps

Wer demnächst an einer Führung teilnehmen möchte, sollte ein paar Dinge beachten. 1. Achtung: Die Plakatwände, die im Dom aufgestellt sind, werden in der Dunkelheit zu Stolperfallen – darauf beim Besuch besonders aufpassen. 2. Temperatur: Es ist im Dom nicht so kalt wie vermutet – zu warme Kleidung ist nicht notwendig. 3. Ausstattung: Zwar sind Taschenlampen erwünscht, zu helles Licht war jedoch nicht beliebt bei den Teilnehmern der Führung. 4. Musik: Wer sich erhofft, live Orgelmusik zu hören zu bekommen, wird enttäuscht. Zwar gibt es Orgelmusik, jedoch aus dem CD-Spieler.

Eckdaten zur Führung

  • Beginn der Nachtführungen ist um 22 Uhr.
  • Einlass ist am Seiteneingang des Doms ab 21.45 Uhr.
  • Die Führungen finden jeden zweiten Freitag statt. Demnächst am 3. und am 17. November.
  • Die Dauer liegt bei etwa 80 Minuten.
  • Der Eintritt kostet ohne Ermäßigung 10 Euro pro Person.
  • Karten gibt es an der Abendkasse. Gruppen ab 20 Personen können sich telefonisch im Dombüro unter 0391/541 04 36 anmelden.

Persönliches Fazit der Volksstimme-Praktikantin Katharina Andresen:

Auch nach acht Jahren Domgymnasium und gefühlten zehn Gottesdiensten je Halbjahr stelle ich nun fest: Man lernt nie aus. Auch nicht über die zahlreichen Facetten des Magdeburger Doms. Rolf Schrader gelingt es, in circa 80 Minuten einem im nächtlichen Dom wesentlich mehr beizubringen, als man es zuvor überhaupt für möglich gehalten hätte. Die Nachtführungen sind also – selbst wenn man das Durchschnittsalter mit der eigenen Anwesenheit halbiert – in jedem Fall einen Besuch wert. Man sollte nur nicht mitzählen, wie viele jetzt genau um einen herum begraben sind. Sonst wird es beklemmend.