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Stadtentwicklung Neues Wohnviertel im Magdeburger Stadtpark - die Kontroverse im Stadtrat

Im dritten Anlauf setzen Investoren den Start des Bebauungsverfahrens für eine neue Siedlung am Rand des Rotehornparkes in Magdeburg durch.

Von Katja Tessnow 12.06.2021, 01:45
Rechts der Winterhafen, daneben der alte Bauhof des Magdeburger Tiefbauamtes. Auf den grün überwucherten Brachen im Hinterland wollen Investoren eine betreute Wohnanlage für Angehörige mit Demenzkranken, kombiniert mit Kita, Restaurant und weiteren Funktionsgebäuden, errichten.
Rechts der Winterhafen, daneben der alte Bauhof des Magdeburger Tiefbauamtes. Auf den grün überwucherten Brachen im Hinterland wollen Investoren eine betreute Wohnanlage für Angehörige mit Demenzkranken, kombiniert mit Kita, Restaurant und weiteren Funktionsgebäuden, errichten. Eroll Popova

Magdeburg - Oldenburger Investoren wollen am Rand des Magdeburger Stadtparkes ein Wohnquartier errichten. Eine knappe Mehrheit im Magdeburger Stadtrat unterstützte zur Sitzung am 10. Juni 2021 das Projekt. Der Rest hat große Bedenken.

Bauausschusschef Mirko Stage (future!) sieht für die Zukunft des aktuell verwahrlosten Areals am und um das alte Eisenbahnerklubhaus neben den Seilerwiesen drei Möglichkeiten. „Wir sagen Ja zur Bebauung, setzen aber eine Reihe von Auflagen durch. Wir sagen Nein und alles bleibt, wie es ist. Oder, wenn wir hier wirklich neues Parkgelände erschließen wollen, dann muss die Stadt das Grundstück kaufen und selbst investieren.“ Weil Letzteres mittelfristig nicht realistisch erscheint, weiterer Stillstand mehrheitlich unerwünscht ist und nicht zuletzt, weil die Investoren gewaltig Druck machen – auch mit Verweis aufs unweit am Stadtmarsch genehmigte Wohnungsbau-Großprojekt von MWG und Wobau – winkten CDU, SPD und FDP/Tierschutzpartei das betreute Wohnviertel mit Schwerpunkt Demenz, einer Kita, Restaurant und weiteren Funktionsbauten durch. Den Baustart markiert der Beschluss vom Donnerstag aber längst noch nicht. In einem Satzungsverfahren zum Bebauungsplan müssen zunächst eine Reihe schwieriger Fragen zum Hochwasser-, Umwelt- und Lärmschutz bis zur Zuwegung geklärt werden – Ausgang offen.

Bedenken im Hochwasserfall

Weil eine hochwassersichere Zuwegung auch für eine Evakuierung im Ernstfall nicht gegeben ist, scheiterte die Berliner Quart AG 2016/17 mit ihrem Bebauungsvorhaben. Ende 2017 kaufte die Oldenburger Gesellschaft Freytag & von der Linde das 15.000 Quadratmeter große Grundstück und biss im Baudezernat zunächst ebenfalls auf Granit. Vor einem Jahr empfahl die Verwaltung dem Rat plötzlich die Umsetzung. Aufschüttungen von Zufahrten – zu deren Anhebung – könnten „ausnahmsweise zugelassen“ und das Projekt so möglich werden. Eine knappe Ratsmehrheit sagte zunächst dennoch Nein.

Dass Investoren und Verwaltung nun einen dritten Anlauf mit den gleichen Plänen unternahmen, nennt Grünen-Fraktionschefin Madeleine Linke eine „Dreistigkeit“. Anbindung, Hochwasserschutz und Probleme mit dem Lärmschutz nahe großer Veranstaltungsstätten und dem Messeplatz lägen auf der Hand. „Wir sollten uns keine Probleme selbst schaffen“, so Linke.

Stadträte von SPD und CDU sowie Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) verweisen darauf, dass es gutes Recht der Investoren sei – Freytag & von der Linde wollen mehr als 30 Millionen Euro verbauen – ihre Vorhaben wiederholt im Rat zur Debatte zu stellen. Einzige Bedingung sei, dass zwischen zwei Terminen mindestens ein halbes Jahr Zeit liegt. Das wurde eingehalten.

Pro und Kontra

Für das Projekt sprechen sich reihenweise Räte von CDU und SPD aus. „Es geht um eine wesentliche Aufwertung. Jetzt stehen dort Ruinen, ist viel Boden versiegelt. Nun soll das Grundstück maßvoll bebaut, begrünt und für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden“, wirbt Falko Grube (SPD) um Zustimmung. Frank Schuster (CDU) argumentiert, dass auf der Stadtparkseite entlang der Alten Elbe schon viel Bebauung existiert: Sportstätten, Bootshäuser, Hotel. Der Investor wolle allein eine Million Euro in die Neubegründung der jetzigen Brache ums Eisenbahnerklubhaus investieren. Die CDU stimmt zu. Auch Burkhard Moll (Tierschutzpartei) verteidigt das Vorhaben: „Das ist kein Biotop. Das ist ein überwuchertes Ruinenfeld.“

Gänzlich anderer Meinung sind Grüne, Linke, AfD, Gartenpartei und eine Handvoll Demonstranten, die sich gegen jede weitere Parkbebauung vor dem Rathaus eingefunden hatten. „Niemand hat die jetzigen Eigentümer dazu gezwungen, das Grundstück zu kaufen. Und jetzt wollen sie unter dem Vorwand, eine Sozialimmobilie zu schaffen, nichts anderes, als Wohnungen mit hoher Rendite mitten ins Grüne zu bauen“, schimpft Oliver Müller (Linke). Urs Liebau (Grüne) erachtet den Flecken durchaus nicht nur als überwuchert, sondern sehr wohl als Biotop: „Es gibt hier 37 Vogelarten, sieben davon stehen auf der Roten Liste, und viel alten Baumbestand.“ René Hempel (Linke) sorgt sich vor dem großen Schwung parallel geplanter Baumaßnahmen am Parkrand, von Wohnungen über neue Veranstaltungsplätze bis zum Schulneubau. „Die Entwicklung überschlägt sich, schrittweise wäre das besser.“

„Fassungslos“ über die erneute Debatte zum mehrfach abgelehnten Projekt ist Roland Zander (Gartenpartei). Er ist entschiedener Gegner des Bauens im und am Park und befürchtet eine Art Dammbruch. Neben dem nun zur Bebauung vorgesehenen Flecken stünde online schon weiteres Bauland in der Nachbarschaft zum Verkauf. Der Baubeigeordnete Jörg Rehbaum (SPD) bestätigte das: „Ja, es wird von der Quart AG als Bauerwartungsland angeboten, aber es gibt bisher weder eine Bauvoranfrage noch einen Bebauungsplan.“ Dass sich dies schnell ändern könnte, befürchtet AfD-Fraktionschef Frank Pasemann. „Das Projekt ist gut, aber der Ort nicht. Am Stadtpark wird immer mehr rumgeknabbert.“ Für die AfD sei „die Demarkationslinie“ überschritten.

Mit 29 zu 21 Stimmen stellte sich am Ende eine Ratsmehrheit hinter die Investorenpläne. Das Satzungsverfahren zur Bebauung ist auf dem Weg. Mitglieder der Initiative „Rettet den Stadtpark“ schäumten im Anschluss vor Wut.