Stadtrat Der Magdeburger Antragskönig
Das hat der Stadtrat Magdeburg noch nicht erlebt: Ein Mitglied befeuert einen Beschlussvorschlag der Verwaltung mit 51 Änderungsanträgen.
Magdeburg l Das Papier, das Gegenstand des Streits im Stadtrat Magdeburg ist, hat nur 13 Seiten, aber einen Titel wie ein Rattenschwanz: „Satzung über die Herstellung notwendiger Stellplätze für Kraftfahrzeuge sowie Abstellplätze für Fahrräder und über die Ablösung von notwendigen Stellplätzen für Kraftfahrzeuge“.
Die Stadt Magdeburg schreibt darin vor, wie viele Stellplätze in welcher Form Bauherren für Autos und – eine Neuerung – Fahrräder auf dem eigenen Grundstück zu errichten und zu unterhalten haben. Außerdem legt die Satzung die Höhe von Ablösegeldern fest, die Bauherren zahlen müssen, wenn sie die vorgeschriebenen Stellplätze nicht schaffen können. Weitere Neuerung: Der Bauherr soll auch zur Begrünung der Parkplätze mit Bäumen und zur Abgrenzung mit Hecken oder Sträuchern verpflichtet werden.
Seit der Wende regulieren Stellplatzsatzungen in ostdeutschen Städten, in westdeutschen noch länger, die Schaffung von Platz für den ruhenden Verkehr und legen die Verantwortung dafür in die Hände von Bauherren.
„In den 1990ern hatte das Sinn“, sagt Michael Hoffmann. Damals sei Regulierung nötig gewesen. Heute sei sie verzichtbar – mehr noch, schädlich. Kiel, Braunschweig, Karlsruhe, Salzgitter, Bonn und andere Kommunen kämen heute ohne Satzung aus, so Hoffmann. Ihrem Beispiel solle Magdeburg folgen.
„Die Stellplatzsatzung wird ersatzlos aufgehoben“, lautet denn auch Hoffmanns erster Antrag, dem viele weitere folgten. Mit seiner Forderung steht der Christdemokrat nicht alleine da. Seine Fraktion CDU/FDP/BfM hält ihm die Stange. Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammer schlagen in die gleiche Kerbe. Die Überzeugung der Satzungsgegner: Das „bürokratische Monster“ (Fraktionschef Wigbert Schwenke) sei ein Investorenschreck und verteuere das Bauen – mithin auch Mieten und Nebenkosten.
Hoffmann ist selbst Bauherr, aktuell eines Mehrfamilienhauses am Hansapark. „Mein Bauantrag ist durch“, wehrt er den Verdacht von Befangenheit ungefragt ab und ächzt: „Für unter 10 Euro Quadratmeter-Kaltmiete kann man heute kaum mehr wirtschaftlich bauen.“ Er habe übrigens mehr Stellplätze als vorgeschrieben geplant. „Investoren sind selbst daran interessiert, damit sich ihre Wohnungen vermieten.“ Es brauche keine Regulierung, schon gar keine Überregulierung.
So weit. Aber 51 Änderungsanträge? Eine Ratssitzung – angesetzt auf sieben Tagungsstunden – hat regelmäßig über deutlich mehr als 50 Beschlusspapiere und Anträge zu höchst verschiedenen Themen zu beschließen; schwer genug. Mehr als 50 einzeln zu behandelnde Änderungswünsche – obendrein von einer Person – zu einer einzigen Drucksache sprengen jeden bekannten Rahmen. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen im Rat aus.
Oliver Müller (Linke) sprach Hoffmann eine Missbilligung aus. „Wir wissen, dass Sie das in vollem Umfang bewusst tun, um die Arbeit des Stadtrates zu gefährden.“ Grünen-Fraktionschef Olaf Meister nannte Hoffmanns Vorgehen einen „Missbrauch des Verfahrens“, der einem Boykott gleichkomme. „Ich kann ja auch mal hundert Änderungsanträge stellen, wenn mir etwas nicht passt.“ Auch die SPD - allen voran der Oberbürgermeister – war wenig amüsiert. Lutz Trümper: „Wir reden ein halbes Jahr über die Satzung. Die alte ist abgelaufen. Aktuell haben wir gar keine, aber wir brauchen eine!“
Keine Chance. Zur Ratssitzung sah sich kein Rat in der Lage, die 50 Hoffmann-Anträge durchzudeklinieren. Frank Theile (Links für Magdeburg) zog die Reißleine und regte Vertagung in die Ausschüsse an. Dort soll dem Vernehmen nach schon eine gewisse Vorfreude herrschen – Ironie aus.
Hoffmann verweist darauf, dass er zum ersten Mal derart antragsgewaltig vom Leder ziehe, aber ihm dieses ein „Herzensanliegen“ sei. Wenn er am Ende schon nicht die Satzung kippen könne, wozu ein Antrag reichte, dann wolle er Punkt für Punkt um Linderung kämpfen. „Das muss die Demokratie aushalten.“
Eigentlich habe er geplant, zu allen 51 Anträgen eine namentliche Abstimmung zu fordern. Dann müsste der Ratsvorsitzende, Hoffmanns Parteifreund Andreas Schumann, 51 Mal alle der anwesenden 56 Stadträte aufrufen und persönlich um ihr Votum bitten. Das könnte Stunden dauern und eben drum hat Hoffmanns Fraktion sein Vorhaben auf neun namentliche Abstimmungen abgeschmolzen.
Das Baudezernat verteidigt den Vorsatz, die neue Satzung schnell in Kraft zu setzen. Dezernatschef Dieter Scheidemann sagt auf Nachfrage: „Natürlich trauen wir Investoren Eigenverantwortung zu, aber ich wünsche mir eine gesicherte Stadtentwicklung.“ Stellplatzprobleme seien vielerorts in Magdeburg akut, „zum Beispiel in Stadtfeld und dort auch für Fahrräder“.
Scheidemann: „Ich bin ein Freund von Deregulierung, aber bei Stellplätzen ist Regulierung hilfreich.“ Dem streitbaren Klartexter Hoffmann könnte einseitige Bauherrenfreundlichkeit vorgeworfen werden, aber keine Faulheit. Seine 51 Anträge habe er schon über die Weihnachtszeit verfasst. „Immer ab 6 Uhr, wenn die Familie noch schlief.“ Im Mai 2018 soll es im Rat zum Showdown kommen – Abstimmung. „Ich teile politisch die Forderungen meines Fraktionskollegen, aber als Ratsvorsitzender hoffe ich, dass sein Vorgehen keine Schule macht“, sagt Andreas Schumann.
Die Stellplatzsatzung in Magdeburg – Hintergrund und Neuerungen
Seit den 1990er Jahren regelt eine Stellplatzsatzung in Magdeburg, wie viele Parkplätze Bauherren zu schaffen haben.
2017 erarbeitete die Stadtverwaltung Magdeburg eine neue Fassung der Satzung, welche die alte (ausgelaufen am 16. März 2018) ersetzen soll. Der neue Satzungsentwurf ändert Zahl und Ablösekosten für Pkw-Stellplätze nur marginal.
Neu sind aber verbindliche Vorschriften auch zur Schaffung von Stellplätzen für Fahrräder und zur Begrünung/ Baumpflanzung. Ebenfalls neu: Parkplätze an Wohnhäusern müssen bei mehr als zehn Stellplätzen über einen Elektroanschluss verfügen, um Ladestationen für E-Autos installieren zu können. Der Satzungsentwurf wird seit 2017 diskutiert – ergebnislos. Aktuell gilt gar keine Stellplatzsatzung.
Stellplatzzahlen (Beispiele):
Erbauer von Wohnhäusern müssen laut neuem Satzungsentwurf ein bis zwei Pkw- (unverändert) und Fahrrad-Stellplätze (neu) pro Wohnung schaffen. Für Büros fallen ein Auto- und ein Radstellplatz pro 40 m2 Nutzfläche an; für Geschäfte gilt das Gleiche, aber mind. zwei Pkw-/Radstellplätze pro Laden. Weitere Vorschriften betreffen u. a. Sport-/Veranstaltungsstätten, Theater, Schwimmbäder, Kirchen (ein Stellplatz pro 10 bis 20 Sitz-/Gebetsplätze, ein Fahrradabstellplatz pro 15 Plätze).
Begrünung (neue Vorschriften):
„Je 6 Stellplätze ist ein mittelkroniger Laubbaum mit 16-18 cm Stammumfang zu pflanzen und zu unterhalten.“ Über 800 m2 große Parkplätze sind „zusätzlich zu durchgrünen“ und „schutzbedürftige Nutzungen“ (z. B. Spielplätze, Terrassen, Balkone) „sind durch geeignete Bepflanzung (Bäume, Hecken, Sträucher, Pergolen) abzuschirmen und mit Pflanzstreifen intensiv einzugrünen“.
Befreiung und Ablöse:
Bauherren, die nicht in der Lage sind, die erforderliche Zahl von Stellplätzen auf ihrem Grundstück anzulegen, können unter Umständen (z. B. bei guter Nahverkehrserschließung) die Befreiung per Ablöse beantragen. Sie kostet 10.000 Euro pro Stellplatz im Zentrum, 5000 Euro in der erweiterten Kernzone (Stadtfeld Ost, Alte und Neue Neustadt, Leipziger Straße) und 3000 Euro im Rest der Stadt Magdeburg.