Zehnseitige Streitschrift hält Einwohnern und Stadtplanern den Spiegel vor Stadtschreiber rechnet mit Magdeburg ab
Magdeburgs Stadtschreiber 2024 - Jonas-Philipp Dallmann - verabschiedet sich aus der Elbestadt mit einer kritisch-konstruktiven Streitschrift. Es geht ums Selbstbewusstsein der Stadt und ihrer Einwohner.
Magdeburg. - Der scheidende Magdeburger Stadtschreiber Jonas-Philipp Dallmann hat sich zum Abschied aus Magdeburg kritisch mit der Stadt und ihrem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein auseinandergesetzt. In einem zehnseitigen Essay hat er seine Beobachtungen einfließen lassen, die er als offizieller Stadtschreiber von April bis Oktober gesammelt hatte.
Ihn beschäftigte dabei vor allem die Wechselwirkung zwischen Architektur und Selbstverständnis der Stadt Magdeburg und ihrer Einwohner. Er thematisiert die Öffnung Magdeburgs zur Elbe genauso wie die Bedeutung des Klimawandels oder den Umgang mit Pferdetor, Wissenschaftshafen oder der Geschichte als Stadt der Schwerindustrie.
Kritik an Hyparschale
Dallmann ist neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch studierter Architekt. Bruno Taut (1880 bis 1938), einst bedeutender Stadtplaner in Magdeburg, gehört für ihn dabei zu Verknüpfungspunkten nach Magdeburg.
Dallmann beschäftigt sich daher literarisch-analytisch oft mit Architektur und Stadtentwicklung. In einem Gastbeitrag für die Volksstimme zur Eröffnung der Hyparschale hatte er bereits kritisch angemerkt: „Magdeburg hat eine gut nutzbare, elegante Mehrzweckhalle gewonnen – um den Preis, ein Denkmal der Baukultur der DDR empfindlich verändert zu haben.“
Zur Elbe nicht geöffnet
In seinem mehrseitigen Essay über Magdeburg zum Ende seiner Stadtschreiber-Zeit thematisierte er in diesem Stil die Stadt und ihr Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, die nicht so ausgeprägt seien, wie sie es sein könnten. Ursache sei seiner Ansicht nach ein sogenanntes Magdeburger Trauma, das in den großen Zerstörungen der Stadt im Dreißigjährigen Krieg sowie im Zweiten Weltkrieg begründet sei. Magdeburg rechtfertige und entschuldige sich bis heute, Klage sich an und habe mit einem Minderwertigkeitskomplex zu kämpfen, schreibt Dallmann. Die Stadt sei „unsicher“, kenne ihre eigenen Werte nicht und mache es sich viel zu schwer.
Magdeburg habe sich nach wie vor viel zu wenig der Elbe hin geöffnet. Stolz throne der Dom über dem Fluss, aber vom Domplatz aus sei die Elbe nicht einmal zu sehen. Es führten keine breiten Treppen, sondern nur Schleichwege zum Fluss hinunter.
Promenade fehlt
Gewiss sei einiges passiert, so Dallmann, denn zumindest ein gepflegter Fußweg führe am Wasser entlang bis nach Buckau. Aber es fehle die große Promenade die Elbe entlang, baumbestandenen, eingefasst von städtischen Fassaden und besetzt mit Cafés. Dies zu schaffen, sei alles andere als ein Hexenwerk, so Dahlmann. Doch das würde von Stadtplanern etwas verlangen, was diese nur höchst ungern zu Papier brächten, nämlich geschlossene Blöcke, klare Kanten, sauber eingefasste Straßen, meint er weiter.
Kritik übt er auch am Breiten Weg. Magdeburg müsse ihn zurückgewinnen, um zu sich selbst zurückzufinden. Als gelungen bezeichnete er das Nord/LB-Domviertel mit Hundertwasserhaus. Wer Menschen anziehen wolle, müsse Anblicke schaffen, und zwar vollkommene, so Dallmann.
Trotz aller Kritik gewinnt Dallmann seiner Zeit in Magdeburg auch Positives ab. Er habe Magdeburg empfunden, als wolle die Stadt aufstehen und sich wandeln, Magdeburg sei sehr zutraulich, man müsse der Stadt nur zuhören, um sie zu verstehen.
Die Streitschrift von Jonas-Philipp Dallmann finden Sie hier im Wortlaut.
Über den Stadtschreiber
Jonas-Philipp Dallmann wuchs in einer Taut-Siedlung in Berlin auf, studierte Architektur und war freier Mitarbeiter von Architekturbüros und einem Forschungsinstitut. Er kann zahlreiche Veröffentlichungen nachweisen. Seit seinem Studium bewegt er sich als Autor an der Schnittstelle zwischen Architektur und Literatur.
Magdeburg schreibt seit 2012 jährlich ein Stadtschreiber-Stipendium für deutschsprachige Autoren aus. Die Höhe des Stipendiums beträgt monatlich 1.200 Euro. Eine mietkostenfreie Wohnung stellt die Stadtverwaltung zur Verfügung.