Freizeittipp Theater Magdeburg hat „Wolf“ nach Saša Stanišić auf dem Spielplan
Zum Saisonstart hat das Theater Magdeburg mit „Wolf“ ein Jugendstück in der Uraufführung auf die Bühne gebracht. Der Inszenierung liegt ein Jugendbuch von Saša Stanišić zugrunde.
Magdeburg - Das Theater Magdeburg hat in seinem Schauspielhaus am 9. Septmber 2023 mit „Wolf“ den gefeierten ersten Jugendroman von Saša Stanišić, der zur Premiere auch zu Gast war, als Uraufführung auf die Bühne gebracht. Kemi nimmt unfreiwillig an einem Sommercamp im Wald teil. Mit seiner ironisch-distanzierten Art wird er sich aber auch hier durchschlagen. Mit wachsender Sorge registriert er jedoch, wie die anderen aus seiner Klasse mit Jörg umgehen und sich die Lage immer weiter zuspitzt. Bis er sich nicht mehr raushalten kann. Clara Weyde hat mit „Wolf“ die Geschichte zweier Außenseiter inszeniert, von denen einer entscheidet, sich einzumischen.
Auch für Erwachsene
Das Stück richtet sich an Zuschauer ab zehn Jahren. Aber eben auch an Erwachsene. Denn die bekommen von Beginn an den Spiegel vorgehalten: Auf sich selbst bezogen, die Konflikte und Gefahren, in denen sich Jugendliche bewegen nicht erkennend, wenig flexibel und darauf bedacht, ihr Programm abzuarbeiten.
Die Magdeburger Inszenierung nimmt das Ignorieren der Bedürfnisse eines Jugendlichen schon von Beginn an auf, wenn dem 15-jährigen Protagonisten Kemi verkündet wird: Du musst ins Ferienlager, da du den Wald so liebst. Und weil alle anderen in den Ferien keine Zeit für dich haben – bis hin zur Oma, die in dieser Zeit einen Malkurs belegen muss.
Dank eines als Kulisse hergerichteten Wasserbassins taucht die Magdeburger Inszenierung im wahrsten Sinne des Wortes in die Geschichte der Romanvorlage ein. Dieses Bassin, das zunächst einen Pool symbolisiert, in dem dem Protagonisten ganz beiläufig erklärt wird, wie er seine Ferien zu verbringen hat, bleibt der Raum, in dem Anton Andreew, Lorenz Krieger, Philipp Kronenberg, Bettina Schneider und Sophia Vogel agieren: Durch die ständige Präsenz des Wassers, in dem die Schauspieler agieren, wird förmlich spürbar, wie unangenehmen der Protagonist ein Camp empfindet. Die Klammheit eines Platzes im Wald am Morgen, wenn der Tau sich überall niedergelegt hat, wird förmlich spürbar. Was die einen als Nähe zur Natur empfinden mögen, ist für den Ich-Erzähler Kemi, der von Philipp Kronenberg eindrücklich verkörpert wird, einfach nur lästig.
Wie die Menschen zu Wölfen werden
Der Wolf wird für Kemi zu einem Wesen, das ihn gefährlich, aber auch geheimnisvoll und gefährlich in den Träumen heimsucht, das für die ungeliebte Umgebung mitten im Wald steht, das aber auf der anderen Seite sich immer wieder in dem Handeln der Menschen um ihn herum wiederkennen lässt.
Denn mit dem allgemeinen Unbehagen, in den Wald geschickt worden zu sein, wäre die Geschichte erzählt – wäre da eben nicht der Umstand, dass der Protagonist ein Außenseiter ist, der – wie er selbst im Laufe der Erzählung feststellt – selbst ein Opfer für den Sport, die Hänseleien, die körperlichen Übergriffe der anderen würde, wenn es da nicht einen anderen Jörg gäbe. Dieser wird zum Hüttengenossen von Kemi, ist offenbar wissbegierig, möchte etwas erleben – ja er wandert sogar gern. Kemi meint: „In dieser Geschichte hier bin ich der Miesepeter, aber ein bisschen sympathisch, und Jörg ist das Opfer.“
Ein willkommenes Ziel ist Jörg, der von Lorenz Krieger gekonnt in den Selbstzweifeln, Brüchen und Wünschen der Figur auf die Bühne gebracht wird, für die Spielchen von Marco, der von Anton Andreew perfekt besetzt wird. Kemi analysiert: „Jörg ist wie alle eigen und wie alle anders, er wird aber von den anderen noch mal andersiger gemacht.“ Er vollzieht nach, wie Menschen, die durch ihr Anderssein immer wieder Ziel von tatsächlichen Mehrheiten, zumindest aber von lautstarken Meinungsführern sind, bis sie sich zurückziehen und verstummen.
Lesen Sie auch: Saša Stanišić mit Marbacher Schillerpreis ausgezeichnet
Das Dilemma, in dem Kemi steckt: Wann ist es Zeit, selbst einzugreifen? Wann sind womöglich Leib und Leben von Jörg in Gefahr, als – ignoriert von den anderen Jugendlichen, vor allem aber von den Erwachsenen – Marco einen unbeobachteten Moment nutzen könnte, um Jörg verunglücken zu lassen? Allein das Handeln von Kemi rettet womöglich Jörgs Leben, während die von Bettina Schneider und Sophia Vogel bis ins Groteske karikierten Erwachsenen mit Ausnahme des – ebenfalls als Außenseiter erkennbaren – Kochs bis zum Schluss der Situation nicht bewusst werden.
Dass das Theater Magdeburg „Wolf“ auf die Bühne bringt, ist in mehrerlei Hinsicht wichtig. Es wirbt für Menschen, die zwischen denen, die als stark gelten, die anderen dominieren. Es wirbt darum, diesen beizustehen.
Beispielhaft für das große Ganze
Es wirbt aber auch darum, althergebrachte Floskeln zu hinterfragen: Der Rat von den Betreuern des Ferienlagers an Jörg, in Zukunft doch von Marco einfach Abstand zu halten, und mit ihm werde man auch noch einmal reden, entpuppt sich als nutzlose Empfehlung von jenen Menschen, die selbst noch nicht Opfer gewesen sind und die mit ihrem Handeln – man mag wohlwollend meinen unbewusst – eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben, die nicht allein innerhalb der Gemeinschaft junger Menschen Gewalt und Ungerechtigkeit befeuern.
Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad in Jugoslawien, heute Bosnien-Herzegowina, geboren. Er gehört zu den wichtigsten Autoren der Gegenwart. Seine Romane und Erzählungen wurden vielfach ausgezeichnet. 2019 erhielt er für „Herkunft“ den Deutschen Buchpreis. In Magdeburg begeisterte er im November vor ausverkauftem Saal mit seiner Lesung aus seinem Roman „Herkunft“. Sein Buch „Wolf“ ist in diesem Jahr erschienen und ist – ebenso wie die Inszenierung am Theater Magdeburg – für Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren zu empfehlen.
Auch interessant: Saša Stanišić und sein Sohn erhalten Hamburger Tüddelband
Die nächsten Vorstellungen von „Wolf“ sind im Magdeburger Schauspielhaus in der Otto-von-Guericke-Straße 64 am 21. und 22. September um 19.30 Uhr, am 29. September um 18 Uhr und am 1. Oktober um 16 Uhr geplant.