Schenkung für Landesarchiv Verschollene Urkunden aus dem Mittelalter kehren nach Magdeburg zurück
Zwei mittelalterliche Dokumente, die seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen galten, sind bei einem Zufallsfund wieder aufgetaucht und dem Landesarchiv in Magdeburg geschenkt worden.
Magdeburg - vs
Ein Zufallsfund hat dem Landesarchiv in Magdeburg eine Überraschung beschert: Mehr als 700 Jahre sind sie alt, überstanden Kriege ebenso wie Naturkatastrophen, doch galten seit den Wirren des Zweiten Weltkrieges als verschollen. Gänzlich unerwartet kehrten sie nun, rund 80 Jahre später, an ihren angestammten Platz zurück: Zwei mittelalterliche Urkunden aus Magdeburg und Halberstadt, die dank einer privaten Schenkung fortan wieder die Überlieferung des Landesarchivs ergänzen.
Wie es dazu kam, erklärte das Landesarchiv jetzt so: Als das Ehepaar Eva-Maria und Matthias Kühnrich den elterlichen Nachlass ordnete, entdeckten sie eine unscheinbare Kunststoffdose. Zwar sind beide in Magdeburg aufgewachsen und der Stadt bis heute verbunden, doch was sich ihnen darbot, hielten sie zum ersten Mal in Händen: Zwei historische Pergamente, in kleinem Format gefaltet, daneben zwei ellipsenförmige Wachssiegel mit filigranen Abbildungen lagerten in dem Behältnis.
Von der alten Schrift in dunkler Tinte konnten sie immerhin die Zahlen 1226 und 1375 entziffern. „Sie ließen uns vermuten, dass es sich um eine Datierung handeln könnte“, wie Matthias Kühnrich laut Landesarchiv erklärte. „Das Übrige konnten wir allerdings nicht lesen, weshalb wir Kontakt zu Experten suchten.“ Letztlich kam so der Kontakt zum Landesarchiv zustande. Nach einer Kontaktaufnahme lud Ralf Lusiardi, Leiter der Abteilung Magdeburg, das Ehepaar zu einem Gespräch in die Elbestadt ein. „Anhand von Fotos der Urkunden sowie mithilfe unserer Findhilfsmittel ließ sich schnell ermitteln, dass die beiden Archivalien einst zum Eigentum des damaligen Staatsarchivs Magdeburg gehörten“, erinnert sich der Archivar.
Auslagerungen von Dokumenten im Zweiten Weltkrieg
Was in der Zwischenzeit mit den Archivalien passiert war, ist nur in Teilen zu rekonstruieren. Angesichts der wachsenden Bombardierungsgefahr fand im Zweiten Weltkrieg eine Auslagerung der Urkunden- und weiterer Archivbestände statt – zunächst in den Tresorraum der einstigen Reichsbank am Breiten Weg, dann auch in verschiedene Bergwerke der Region. Zwar begannen nach Kriegsende aufwendige Rückführungen von Archivalien, doch benötigte es Jahrzehnte, ehe sich das Ausmaß der Verluste abschätzen ließ. Darunter waren auch die beiden Urkunden von 1226 und 1375, die bei Bestandsrevisionen der Jahre 1947 beziehungsweise 1957 als fehlend notiert wurden.
Umso erfreuter zeigte sich der Abteilungsleiter nun, als das Ehepaar Kühnrich mitsamt den beiden Urkunden zum Landesarchiv reiste. Während des Besuchs begutachtete er mit dem Bestandsreferenten Marcel Giffey nicht allein die jahrhundertealten Urkunden, sondern präsentierte zudem die Ergebnisse seiner Recherche.
Die jüngere der beiden Urkunden aus dem Jahr 1375 stellte der Halberstädter Bischof Albrecht für das Kloster St. Johannis zu Halberstadt aus. „Das Kloster wollte sich vom Papst Rechte bestätigen lassen, die es 64 Jahre zuvor in einer Urkunde übertragen bekommen hatte“, so Marcel Giffey. Um diese Anerkennung des Heiligen Stuhls zu vollziehen, benötigte die päpstliche Verwaltung eine beglaubigte Abschrift der Urkunde von 1311. Als Beglaubigungsmittel hängen von der Urkunde Wachssiegel des Bischofs sowie des Zeugen Bernhard von der Schulenburg ab, ein weiteres war schon im 19. Jahrhundert verloren.
Im Unterschied dazu fehlen die Siegel an der älteren Urkunde aus dem Jahr 1226 gänzlich, allein die pergamentenen Befestigungsstreifen weisen noch auf deren ursprüngliche Existenz hin. Inhaltlich handelt es sich um einen Vertrag zwischen dem Magdeburger Burggrafen und dem dortigen Domprobst: „Der Burggraf war ein Stellvertreter des Landesherrn für ein bestimmtes Gebiet, wohingegen der Domprobst dem Domkapitel vorstand – also einem Gremium, das die Domkirche leitete und den Bischof beriet.“ Warum diese Amtsträger einen Vertrag schlossen? „Im Kern ging es darum, Herrschaftsrechte über Gerichtsbezirke, so genannte Vogteien, zu regeln“, erklärt Marcel Giffey.
So kam dem Burgvogt zwar das Recht zu, diese Vogteien Dritten für einen bestimmten Zeitraum als Lehen zu überlassen, doch durfte der Domprobst die Personen auswählen. „Und sobald der Burgvogt dem Domprobst die Summe von 30 Mark Silber bezahlen würde, sollte er die Vogteien jährlich zum Dreikönigstag am 6. Januar wieder zurückerhalten können.“ Ausgeschlossen davon blieben allerdings zwei Vogteien, die der Burggraf dauerhaft an den Erzbischof abgetreten hatte.
Landesarchiv hofft auf weitere Hinweise zu verschollenen Dokumenten
Wie die beiden Urkunden Jahrhunderte später in den Nachlass gekommen sind, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei ermitteln: „Leider haben wir sie erst nach dem Tod meiner Eltern entdeckt“, erklärt Matthias Kühnrich. „Möglicherweise sind sie bei einem Transport heruntergefallen und meine Schwiegermutter, die damals bei der Magdeburger Bahnhofsmission arbeitete, hat sie ohne weitere Kenntnis des Inhalts aufgesammelt“, mutmaßt Eva-Maria Kühnrich.
Da dem Ehepaar daran gelegen ist, dass die Urkunden an ihren Aufbewahrungsort im Archiv zurückkehren und so auch künftigen Generationen zugänglich bleiben, haben sie sich zu einer Schenkung an das Landesarchiv entschlossen.
Bei der Übergabe dankte der Leiter des Landesarchivs, Detlev Heiden, für diese Überlassung: „Damit stehen die beiden Urkunden wieder der Allgemeinheit zur Verfügung. Zu ihrem dauerhaften Erhalt verpacken wir die beiden Urkunden in speziellen säurefreien Mappen und Kartons und lagern sie unter idealen klimatischen Bedingungen in unserem gesicherten Magazin ein“. Anhand der einmaligen Signaturen lassen sich die Archivalien unverwechselbar auffinden und im Lesesaal des Standorts Magdeburg einsehen.
Mit Blick in die Zukunft unterstützt das Beispiel des Ehepaares Kühnrich die Hoffnung, dass noch weitere vermisste Archivalien in das Landesarchiv zurückkehren, wie Detlev Heiden betont: „Für Hinweise sind wir jederzeit dankbar.“