Naturschutzbund Vogel des Jahres 2024: So geht es den Arten in Magdeburg
Fünf Arten sind für den Titel „Vogel des Jahres 2024“ des Naturschutzbundes nominiert. Wie geht es diesen Arten in Magdeburg?
Magdeburg - Vogel des Jahres – das klingt wie ein Hauptgewinn. Derzeit ringen um den Titel, den der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) jährlich vergibt, Wespenbussard, Steinkauz, Kiebitz, Rauchschwalbe und Rebhuhn. Sie sind anmutig, keck, hübsch und majestätisch auf ihren Bewerbungsfotos. Aber um den Titel kämpfen sie nicht, weil sie schön sind, sondern weil ihr Bestand an einem seidenen Faden hängt. Auch in Magdeburg.
Alarmstufe Dunkelrot: Für Wespenbussard, Steinkauz und Kiebitz gibt es auf der Verbreitungskarte des Deutschen Dachverbands der Avifaunisten (DDA) nur leere Flächen dort, wo Magdeburg liegt. Das heißt, die Zahl der Brutpaare ist so gering, dass sie nicht mehr gesehen und kartiert werden können. Der Steinkauz hat noch einige Reviere um Quedlinburg und Ballenstedt.
Nur wenig besser geht es dem Wespenbussard. Rund um Magdeburg finden sich noch jeweils zwei bis drei Brutpaare in Haldensleben, Wolmirstedt, Schönebeck und Leitzkau. Dabei könnten alle drei Arten in Magdeburg und seiner Umgebung zu Hause sein – und waren es auch früher mal.
Wie dünn der Seidenfaden ist für die drei, zeigt ein Blick auf die Rote Liste der bedrohten Arten. Für Magdeburg und den Rest des Landes gilt beim Steinkauz die Kategorie eins auf der Roten Liste: vom Erlöschen bedroht – also Alarmstufe Rot, wenn nicht schon Dunkelrot. Der Wespenbussard fällt in die Kategorie zwei: stark gefährdet. Auch der Kiebitz gilt als stark gefährdet. Rund um Magdeburg gibt es vier bis sieben Brutpaare jeweils in Haldensleben, Biederitz und Schönebeck. In Wanzleben sind es zwei bis drei, in Wolmirstedt und Gommern acht bis 20 Brutpaare. Die Zahlen sind alle mindestens fünf Jahre alt – da der Abwärtstrend anhält, dürften es bereits weniger Paare sein.
Alarmstufe Rot: Nur ein Hauch dicker ist der Faden bei Rebhuhn und Rauchschwalbe. Beide sind in Magdeburg noch heimisch: acht bis 20 Rebhuhn-Reviere gibt es im Norden der Stadt, im Süden der Stadt sind es noch zwei bis drei Reviere. Im Norden sieht die Situation besser aus mit bis zu 50 Revieren in Haldensleben, im Süden bleibt es bei zwei bis vier Revieren, etwa in Wanzleben.
Geringfügig besser sieht es bei der Rauchschwalbe aus. In Magdeburg gibt es im Norden der Stadt 151 bis 400 Brutpaare, im Süden der Stadt 51 bis 150, aber auch hier sinkt die Zahl.
Artensterben: Magdeburg bildet im Zuge des Artensterbens keine Ausnahme, es spiegelt sich der allgemeine Trend wider, und das eben trotz der vielen Natur in der und um die Stadt. Eine Million Arten sind weltweit stark gefährdet. 9000 sind allein in Deutschland vom Aussterben bedroht. Weltweit verschwinden täglich 150 Arten von der Erde. Und sie kommen nie wieder. 600 Millionen Vögel weniger als noch vor vier Jahrzehnten leben in Europa, so der Nabu. Die Zahlen zeigen: Das Artensterben vollzieht sich in einem Tempo, das es seit dem Massensterben vor 66 Millionen Jahren, als die Dinosaurier für immer verschwanden, nicht gegeben hat. Und Schuld ist diesmal kein Asteroid. Schuld ist der Mensch.
Viele Tiere, auch Vögel, verlieren Tag für Tag an Lebensraum und Futter. Grund sind Versiegelung durch Straßen, Hausbau, Industrieanlagen und die gängige Landwirtschaft, die unter anderem Pestizide einsetzt und keine Randstreifen an Wegen lässt. Die direkten Folgen: Insekten fehlen und damit Futter für die Vögel. Bis heute sind laut ARD-Tagesschau in den vergangenen 27 Jahren 75 Prozent aller Insekten in Deutschland schon verschwunden.
Beispiel Rauschwalbe: „Die Rauchschwalbe ist ein gutes Beispiel“, sagt Marcus Pribbernow, Mitglied im Nabu-Ortsverein Magdeburg. Für sie gibt es immer weniger Plätze, an denen sie brüten kann. Durch Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden werden Nester beseitigt. Den Hauseigentümern behagen die Hinterlassenschaften der Vögel nicht. Landwirtschaftliche Höfe und Betriebe unterliegen inzwischen strengen Hygieneanforderungen. Viehställe und Scheunen werden deshalb oft verschlossen gebaut. Schwalben können nicht mehr wie gewohnt ein- und ausfliegen.
Auch Feldwege, Einfahrten und Dorfplätze werden immer öfter betoniert oder gepflastert, so dass Schwalben immer seltener Pfützen und damit weniger Lehm für ihren Nestbau finden. Durch Monokulturen, den Rückgang der Weidewirtschaft und den Einsatz von Pestiziden gibt es immer weniger Insekten, die Nahrungsgrundlage für Vögel. „Die Schwalbe braucht Unterstützung“, sagt Marcus Pribbernow. „Für sie lohnt es, eine Lanze zu brechen. Man muss einfach dulden, dass es nicht immer ordentlich aussieht.“ Außerdem könnten einfache Kotbretter etwa vor Verschmutzung schützen, auch künstliche Nester an neuer Stelle im Garten sind eine Möglichkeit, die Tiere zu schützen.
Beispiel Rebhuhn: Auch für das Rebhuhn ließen sich in den Augen von Marcus Pribbernow leicht bessere Lebensverhältnisse herstellen. Ein erster Schritt wäre, die Felder nicht bis an den Rand von asphaltierten Rad- oder anderen Wegen zu bestellen. Speziell dafür, dass Wege wieder Randstreifen bekommen, gibt es ein Förderprogramm. Aber Marcus Pribbernow wünscht sich, dass die Landwirte auch von sich aus wieder Randstreifen stehenlassen lassen. „Es wäre schön, wenn das nicht nur durch Geld erreicht wird, sondern durch Einsicht geschieht. Weil Randstreifen einfach zur Landschaft gehören.“ Und noch ein Argument bringt Pribbernow an: „Die Menschen wollen, wenn sie in die Region kommen, nicht durch eine Agrarwüste spazieren.“ Wer Tourismus wolle und dessen wirtschaftliche Impulse, der müsse auf eine ansprechende Landschaft setzen.
Was kann Magdeburg tun? „Die Stadt bietet an sich eine Chance“, sagt Martin Rümmler, Vogelschutzexperte des Nabu-Bundesverbands. Weil dort weniger Pestizide versprüht werden, die Insekten gefährlich werden können. Und die Umgebung ist kleinteiliger als die riesigen Ackerflächen, die Pribbernow Agrarwüsten nennt.
Städtische Streuobstwiesen anlegen, nennt Rümmler als ersten Schritt, Blühstreifen stehenlassen einen zweiten. Helfen können auch insektenfreundliche Lampen. Anders als die gängigen locken sie Insekten nicht an. Die bleiben so in ihren Revieren und damit für die Vögel als Futter bestehen. Die kleinteilige Strukturierung der Landschaft ist ein weiterer Schritt. Dann käme wohl auch der Steinkauz wieder.