Wahl „Magdeburger des Jahres“ Telefonseelsorge: Ein Anker in seelischer Not
Matthias Dambacher und seine Kollegen kümmern sich am Telefon um die Sorgen der Magdeburger. Anonym gibt es Rat zu allen Lebenslagen. Jetzt steht er zur Wahl zum „Magdeburger des Jahres“ 2022.
Magdeburg - Jedes Mal, wenn Matthias Dambacher seinen Platz in der Magdeburger Telefonseelsorge einnimmt, warten vier Stunden intensiver Arbeit auf ihn. Er ist gut gerüstet für das, was da kommt. Der 42-Jährige ist lange genug dabei, um belastende Gespräche verarbeiten zu können.
Draußen steht meist sein Rad, mit dem er nach Hause fahren wird, um so den Kopf wieder freizubekommen. Denn das Telefon wird in den vier Stunden pausenlos klingeln. Der Bedarf an dem kostenlosen Angebot ist groß. Gerade jetzt in Krisenzeiten. 13.000 Anrufe wurden allein 2021 von den Magdeburger Telefonseelsorgern angenommen.
Verzweifelte Anrufer hoffen hier auf Hilfe. Oder besser gesagt: Sie hoffen zuallererst auf einen guten Zuhörer. Es gehe erschreckend oft um Einsamkeit, erzählt der Seelsorger. Es gehe um Frust im Job oder in der Partnerschaft, um den Kampf gegen Süchte und finanzielle Ängste. Einige Anrufer leiden unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Die Spanne reiche bis zu selbstverletzendem Verhalten und suizidalen Gedanken. „Es sind alle Themen dabei, die man sich vorstellen kann“, sagt er.
Telefonseelsorge Magdeburg: Seit 15 Jahren arbeitet Matthias Dambacher dort ehrenamtlich
Seit 15 Jahren arbeitet der Magdeburger ehrenamtlich in der Telefonseelsorge Magdeburg/nördliches Sachsen-Anhalt mit. Er hat es gelernt, gut zuzuhören und auf sein Gegenüber einzugehen. Die Zusicherung der Anonymität ist dabei wesentlicher Grundsatz. So trauen sich die Anrufer, über Dinge zu reden, die sie sonst niemandem anvertrauen würden. Ein weiterer Leitsatz der Telefonseelsorger lautet: „Mitgefühl ja, Mitleid nein“.
Dass er sich einmal um die seelischen Notlagen wildfremder Menschen kümmern, ihnen stundenlang zuhören würde, ohne etwas dafür zu erwarten, hätte der Wahl-Magdeburger wohl selbst nicht gedacht. Denn im Berufsleben beschäftigt ihn ganz anderes.
Matthias Dambacher arbeitet als Bankangestellter bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt. Da geht es um Geld und nackte Zahlen und so gar nicht um Gefühle. Aber das ist wichtig für die Telefonseelsorge. Man benötigt dafür Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft mit den unterschiedlichsten Lebenserfahrungen, die sich auf die Anrufer gut einstellen können.
Telefonseelsorge Magdeburg: Angebot an 24 Stunden, sieben Tage die Woche
Ein Zufall führte den 42-Jährigen zur Telefonseelsorge. „Ich stamme aus München und habe Wirtschaftsgeografie studiert. Etwas ziemlich Exotisches“, so beschreibt er es selbst. Dass danach das Stellenangebot aus Sachsen-Anhalt kam, war für ihn ein Glücksfall, wie er heute weiß.
Im Dezember 2006 zog er nach Magdeburg und hat sich ganz schnell verliebt: In den Job, in die Stadt an der Elbe und in den neuen Mann an seiner Seite. Vor zwei Jahren haben sich die beiden - Matthias und Mathias - im Magdeburger Dom kirchlich trauen lassen. „Wir waren das erste gleichgeschlechtliche Paar, das dort geheiratet hat. Das war einmalig“, schwärmt der ehrenamtliche Seelsorger. Für ihn schloss sich damit der Kreis. Im Herzen sei er längst Magdeburger geworden, sagt der 42-Jährige. Dazu gehört eben auch sein Engagement für die Telefonseelsorge.
2006, noch ganz frisch in Magdeburg, zappte er eines Abends durchs TV-Programm und landete bei einem lokalen Sender, auf dem Werbung für eine Mitarbeit bei der Telefonseelsorge lief. „Ich habe während meines Studiums selbst schwere Zeiten erlebt mit Zukunftsängsten. Ich war so froh, dass es damals Menschen gab, mit denen ich reden konnte“, erinnert sich Matthias Dambacher dankbar.
Das erste Gespräch mit dem früheren Leiter der Telefonseelsorge lief prima. Dennoch lag das ausgefüllte Antragsformular noch zwei Wochen auf dem Stubentisch, bis er es abschickte. „Diese Aufgabe bewältigst du nicht mal eben so nebenbei“, ahnte er. Doch er wollte helfen, wollte diese so wichtige Arbeit leisten gemeinsam mit allen anderen im Team der Telefonseelsorge.
Hier geht es direkt zur Abstimmung.
Etwa ein Jahr dauert die kostenlose, intensive Ausbildung, in der es um Gesprächsführung, Selbstreflexion und zu vermittelndes Fachwissen geht. Hier werde man eingehend mit eigenen Erlebnissen, Gefühlen und Erfahrungen konfrontiert, erläutert der Seelsorger, der inzwischen auch ausgebildeter E-Mail-Berater ist und an der Seite von Leiterin Anette Carstens zudem neue Helfer am Telefon schult. Diese werden händeringend gesucht, denn aus privaten Gründen steigen auch immer mal wieder Mitarbeiter aus.
75 ehrenamtliche Helfer sind es derzeit, die 24 Stunden, sieben Tage in der Woche, für die Anrufer da sind. „Diese Anzahl brauchen wir dringend, um das Telefon rund um die Uhr besetzen zu können. Im Januar startet wieder ein Kurs“, macht der 42-Jährige deutlich. Die Mitarbeiter verpflichten sich, mindestens zwölf Stunden jeden Monat im Ehrenamt Vier-Stunden-Schichten am Telefon zu leisten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bei Matthias Dambacher sind es im Schnitt 20 Stunden im Monat, die er von seiner Freizeit abgibt, um für andere da zu sein. „Wir haben Telefonseelsorger, die sind schon 20 oder 25 Jahre dabei und kommen sogar aus Stendal“, erzählt er voller Respekt für seine Mitstreiter.
Telefonseelsorge: Manchmal brauchen die Helfer selbst Hilfe
Bei der jährlichen Leseraktion für den Magdeburger des Jahres hat er immer gern mit abgestimmt, erzählt er. Dass er nun selbst Kandidat geworden ist, freut ihn ungemein. „Ich sehe mich hier stellvertretend für alle, die sich im Team der Magdeburger Telefonseelsorge mit großartigem Zusammenhalt untereinander engagieren“, betont er.
Manchmal brauchen die Helfer selbst Hilfe. „Einmal im Monat treffen wir uns zur Supervision mit einem externen Experten. Hier werden besonders belastende Gespräche aufgearbeitet, Dinge, die unter die Haut gegangen sind“, weiß der Seelsorger. Denn die Helfer müssen einiges aushalten. Beschimpfungen etwa. Das kostenlose Angebot der Telefonseelsorge wird leider auch manchmal für andere Zwecke missbraucht. All das müsse verarbeitet werden und dabei helfe die Supervision, die auch über Spenden finanziert wird.
Zum Glück überwiegen aber die Anrufer, die ehrlich ein offenes Ohr suchen. „Ich habe in jedem Dienst mindestens einen Anrufer, bei dem ich das Gefühl hatte, dass ich wirklich helfen konnte“, berichtet er. Mit diesem guten Gefühl steigt Matthias Dambacher dann aufs Rad, um nach Hause auf den Werder zu radeln. „Ja, das Gute überwiegt eindeutig“, betont er.
Erfahren Sie hier mehr zur Wahl "Magdeburger des Jahres" 22 und zu allen Kandidaten.
Es ist für ihn wie auch für die anderen Helfer Motivation genug, sich immer wieder neu ans Telefon zu setzen und Anker zu sein in seelischer Not.
Über Matthias Dambacher
Alter/Familienstand/Kinder: 42, verheiratet; engagiert auch im Lions Club Magdeburg Editha
Beruf/Tätigkeit: Bankangestellter
Das mag ich an Magdeburg: die Elbe und die Natur. Magdeburg hat alles, was eine Metropole ausmacht, auch kurze Wege und Ruheoasen.
Hier kann Magdeburg noch besser werden: Ich wünsche mir mehr Aufenthaltsqualität an der Elbe und den Ausbau von Radwegen gerade auf der Ost-West-Achse.
Magdeburg ist in zehn Jahren ... wie jetzt schon auf einem guten Weg. Die Lebensqualität wird weiter wachsen.
Das sagt Anette Carstens, Leiterin der Magdeburger Telefonseelsorge, über ihn: „Ich freue mich sehr, dass er stellvertretend für unser Team Kandidat geworden ist. Nicht nur wegen der Vielzahl seiner geführten Seelsorgegespräche und beantworteten Mails. Ich schätze Matthias’ hohe Einsatzbereitschaft, seine Zuverlässigkeit und Fähigkeit, eigene Seelsorge-Erfahrungen zu reflektieren und an andere weiterzugeben.“
Die Telefonseelsorge können Ratsuchende kostenlos anrufen unter 0800/1110111 und 0800/1110222. Mehr Infos auch bei Interesse an einer Mitarbeit auch hier.