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Weihnachten in Magdeburg Was uns der Domprediger zu sagen hat

Domprediger Jörg Uhle-Wettler setzt sich in seiner Weihnachtsansprache mit dem Weltgeschehen auseinander. Seine Predigt zur Christnacht im Wortlaut.

Von vs 24.12.2023, 08:00
Magdeburgs Domprediger Jörg Uhle-Wettler mit dem Friedenslicht vor dem Barlachdenkmal im Dom.
Magdeburgs Domprediger Jörg Uhle-Wettler mit dem Friedenslicht vor dem Barlachdenkmal im Dom. Viktoria Kühne

Was jetzt geschieht, geschieht uns

Magdeburg - Mit ihrem Roman „Das siebte Kreuz“ wurde Anna Seghers vor achtzig Jahren weltberühmt. Das erste Kapitel endet mit den Sätzen: „Jetzt sind wir hier. Was jetzt geschieht, geschieht uns.“ Es ist der Schäfer Ernst, der diese Sätze in stiller Ergriffenheit zu seinem Hund sagt. Er sagt sie wohl auch zu sich selbst und den Lesenden des Romans: Was jetzt geschieht, geschieht uns. Jetzt sind wir dran. Was jetzt weltfern geschieht, geschieht uns. Das klingt dunkel, bedrohlich und ernst. So, wie der Schäfer heißt.

Wir sind hier in Magdeburg. Alles, was geschieht, geschieht uns. Was weltfern geschieht, geschieht uns unter der Herzhaut. Was experimentell geschieht, geschieht global uns.

In Israel sprechen gnadenlos die Waffen. Wie gerne spräche man Israel unumschränkte Solidarität zu. Und doch stockt die Stimme, weil sich die israelische Regierung aus Parteien zusammensetzt, die das Existenzrecht der Palästinenser aushöhlen oder gar offen abstreiten.

Das schreckliche Pogrom der Hamas droht, das eigene Volk untergehen zu lassen und ist Wasser auf die Mühlen der Kriegsmaschinerie.

Die Kraft des Evangeliums

Der britische Schauspieler Peter Ustinov brachte es auf den Punkt: „Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen.“ Töricht ist ein Mensch zu nennen, der glaubt, dass Gewalt einen Konflikt langfristig befriedet und keine Gegengewalt hervorbringt.

In dieser Christnacht spüren wir hier besonders die Kraft des Evangeliums. Des Evangeliums, ohne das nach dem Urteil von Martin Luther die Welt voller Tod und Finsternis wäre. Das Evangelium bringt Licht in die Welt, in unsere vom Tod so überdeutlich gezeichnete Welt. Das ist ein lebendig machendes Licht und ein wärmendes Licht. Wir haben es gerade vom Lettner gehört.

Wärmendes Licht

Das Evangelium bringt ein lebendig machendes Licht in die Welt, das dem scheinbar allmächtigen Tod das Ende seiner Herrschaft und Macht ankündigt. Die kleinen und großen Handlanger des Todes, also diejenigen, die mit Blicken zu töten versuchen und erst recht diejenigen, die mit Waffen Tod und Schrecken um sich breiten, sie alle seien gewarnt: Es wird ein Ende mit ihnen haben.

Das Evangelium bringt ein wärmendes Licht in die Welt: Wärmendes Licht, das die eisige Kälte zu beenden verspricht, die aus kalten Herzen aufsteigt.

Helden abseits der Weltgeschichte

Es ist das Gottes Licht, das in der Welt aufgeht, wenn das Evangelium Gehör und Glauben findet. Dieses herrlich göttliche Licht wahrzunehmen, ist ein reformatorisches Erbe, auf das wir Protestanten ungeniert stolz sein dürfen. Protestanten protestieren – gegen den Tod.

Gott verlässt seine einsame Herrlichkeit und nimmt die Züge jenes Menschen aus Nazareth an. Diese Geburt geschieht uns: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ 2023. In dieser Nacht. Seit Jahrhunderten hören die Menschen diesen Satz im Dom.

Glücklicherweise nicht nur hier, sondern auch in allen anderen Kirchen und Kapellen, auf Krankenstationen, in Gefangenenlagern oder in Wohnzimmern – wo die Weihnachtsgeschichte noch gelesen wird.

Die wahren Helden kommen abseits der Weltgeschichte. Kaiser Augustus bestimmt, dass ein jeglicher in seine Geburtsstadt gehen muss. Der Zimmermann in Nazareth geht los mit seiner schwangeren Verlobten. Augustus und Josef sind sich nie begegnet.

Friede auf Erden

Mit dieser Geschichte werden die Gottesbilder, die von Allmacht, Unverletzlichkeit und Stärke überzeichnet sind, in Frage gestellt. Im Schrei der Geburt wurden die alten Gottesbilder zerschlagen.

Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens – so singen die Engel. Es sind die Menschen, die trotz aller Erfahrung von Lüge, Gewalt und Krieg ihr Trotz-Alledem-Vertrauen nicht aufgeben. Es sind die Menschen, die helfen und verbinden.

Es sind die Menschen, die trösten. Es sind die Menschen, die Zeuginnen und Zeugen der Wahrheit über die Abscheulichkeiten der Kriege bleiben. Es sind die Menschen, die daran arbeiten, Gewalt durch Recht einzuhegen und mit den Mitteln des Rechtes die Gewalttäter zur Verantwortung zu ziehen. Nicht alle laufen Amok. Nicht alle wünschen die Auslöschung der anderen.

Brich an, du schönes Morgenlicht

Nicht alle setzen mehr auf Sieg als auf den Frieden. Die wahren Helden kommen spät, unheroisch und unauffällig. Die wahren Helden kommen abseits der Weltnachrichten. Sie bauen in einer improvisierten Werkstatt Prothesen für die Krüppel. Sie suchen nach Lumpen, die als Windeln zu gebrauchen sind. Sie machen Schuhe aus den Reifen eines zerschossenen Fahrzeugs. SIE sind die Menschen seines Wohlgefallens. Im Weihnachtsoratorium, das auch hier im Dom wieder aufgeführt wird, erklingt auf dem Hirtenfeld:

„Brich an, du schönes Morgenlicht und lass den Himmel tagen! Du Hirtenvolk erschrecke nicht, weil dir die Engel sagen, dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein, dazu den Satan zwingen und letztlich Frieden bringen.“ Wir wissen nicht, welche Entwicklungen auf uns zukommen. Die Weltsprache ist gefüllt von Angst und Kriegsrhetorik. Frieden scheint weit entfernt zu sein. Unsere Kinder und Enkel sind dabei, ihr Urvertrauen zu verlieren.

Menschen, die über sich hinauswachsen

Nun sind wir noch nicht so weit, dass in einer Buckauer Werkstatt Prothesen gebaut werden, in Rothensee aus Lumpen Windeln gemacht werden und in Salbke Gummireifenschuhe. Es wird aber immer Menschen geben, die über sich hinauswachsen und das Wohlergehen der anderen im Blick behalten. Das hat die Geschichte Magdeburgs immer wieder gezeigt.

In diesen aufgeladenen Zeiten ist ein Gegensteuern besonders notwendig. Bewahren wir uns Freundlichkeit. Rufen wir mal wieder jemanden an, der aus dem Blickfeld geraten ist, und legen wir mit oder ohne Worte ein Päckchen Güte beim Nachbarn ab. Prüfe Dich in dieser Nacht – wo Du Gutes tust, das Dir guttut. Von diesem schwachen Knäbelein in der Krippe, das Satanisches niederzwingt und letztlich Frieden bringt, sind im Matthäusevangelium sechs Werke der Barmherzigkeit überliefert. Die da sind: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen. Später kam noch ein 7. Werk dazu: Tote begraben.

Stille Nacht, heilige Nacht

Diesen sieben Werken der Barmherzigkeit sind nunmehr sieben geistliche Werke der Barmherzigkeit zuzuordnen: Die Unwissenden lehren, den Zweifelnden recht raten, die Traurigen trösten, die Sünder zurechtweisen, die Lästigen geduldig ertragen; denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen; für die Lebenden und die Toten beten.

Überanstrengen wir uns nicht schon wieder, auch nicht im nächsten Jahr. Versuchen wir, ein einziges Werk der Barmherzigkeit umzusetzen. Das wäre viel. Was jetzt geschieht, geschieht uns. Was den Bedürftigen geschieht, geschieht Christus. Seine Geburt feiern wir in dieser Nacht hier im Dom – und da Kehle und Seele zusammengehören, singen wir jetzt das Lied: Stille Nacht, heilige Nacht.

Domprediger Jörg Uhle-Wettler hält diese Predigt in der Christnacht am 24. Dezember 2023 um 23 Uhr im Magdeburger Dom.