Intel, Tesla oder TSMC Wasser oder Arbeitsplätze? Neue Theaterproduktion in Magdeburg regt brisante Debatte an
Die neue Stückentwicklung „Und sie träumten von der Sonne“ der Gruppe „bühnenfrei“ aus Magdeburg beleuchtet die Schattenseiten großer Industrieansiedlungen. Intel wird zwar nicht direkt genannt, aber zwischen den Zeilen scheint vieles durch – bis zum bitteren Abgesang.
![Der Bürgermeister (vorne) sieht sich nicht nur gegenüber dem Stadtrat (hinten) in Erklärungsnot. Die Fabrik braucht immer mehr Wasser, daür leiden die Menschen unter Durst.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/e5c57025-439c-40e3-bb7e-5cca9699d2fa.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2666&w=1024&auto=format)
Magdeburg - Neu-Olvenstedt. Am Anfang ist die Euphorie. „Ey, sie kommen“, schallt es in Freudenschreien von der Bühne herab. Dazu erklingt das Lied „Love is in the air“ (Liebe ist in der Luft).
Statt „Ey, sie kommen“ könnte es auch „Chip, Chip, hurra“ heißen. Aber in der neuen Produktion „Und sie träumten von der Sonne“ der freien Theatergruppe „bühnenfrei“, die am Wochenende ihre Premiere im Familien- und Jugendzentrum (FaJu) in Neu-Olvenstedt gefeiert hat, bleibt dieser Bezug abstrakt.
Es ist nie direkt von Intel oder Tesla die Rede, die sich ansiedeln wollen, sondern von der „Fabrik“.
Allerdings kann vieles, was von dem mitreißend spielenden Laienensemble dargestellt wird, als eine Allusion auf Ansiedlungsprozesse großer Industrieunternehmen im ostdeutschen Raum gesehen werden.
Und – so viel sei schon vorweggenommen – von der Ekstase der ersten Szene wird am Ende nichts mehr übrig sein. Aus dem Traum von der Sonne wird ein Albtraum vom fehlenden Wasser.
Symbol für Strukturwandel
Schauplatz der fiktiven Handlung, die von der Theatergruppe komplett selbst entwickelt wurde, ist die Kleinstadt Bad-Neustadt. Wo genau diese liegt, bleibt offen.
![Das Bühnenbild präsentiert eine Bushaltestelle. Sie wirkt symbolhaft. Hier sind alle abfahrtbereit, aber keiner kommt weg.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/ed95c157-1955-49de-b784-0696a606c4d2.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2667&w=1024&auto=format)
Man erfährt jedoch, dass Potsdam und Berlin nicht allzu weit entfernt sind, weil die jüngste Tochter des Bürgermeisters mehrfach vergeblich versucht, dorthin zu flüchten. Das Bühnenbild – eine Bushaltestelle – wirkt da symbolhaft. Hier sind alle abfahrbereit, aber keiner kommt wirklich weg.
Der besagte Bürgermeister – „Demokrat und Familienvater“ – heißt Bernd Schlother und wird von Stefan Kolata verkörpert. „Hinter uns liegen Jahre der Stagnation“, sagt er in seinem Einstiegsmonolog.
![Der Bürgermeister - gespielt von Stefan Kolata - ist überzeugt vom Aufschwung, der mit der Fabrik in seine Stadt kommt.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/a446e858-cf2f-466d-8718-244df3140339.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2667&w=1024&auto=format)
Die Fabrik, die nun kommen soll, verspricht Wohlstand und Tausende Arbeitsplätze. Strukturwandel für die Stadt. „Das ganze Land spricht über uns.“ Und auch die Bürger sind in Jubelstimmung. Die Bäckerin, vorher fast pleite, verkauft jetzt „süße Törtchen in Laptop-Form“.
Doch die Fabrik ist nicht einfach da und betriebsbereit. Sie braucht eine Baugenehmigung – das geht dank der kooperativen Behörden im Schnellverfahren – und sie braucht finanzielle Unterstützung. Konkret braucht sie Subventionen, die wiederum aus Steuergeldern stammen.
![Bei einer Sitzung des Stadtrats kommt es zu Tumulten.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/ec99b861-b619-491f-beff-79e84f6a27ff.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2667&w=1024&auto=format)
Hier ist dann auch Bad-Neustadt gefragt. Bei einer Sitzung des Stadtrats wird unter anderem eine Erhöhung der Hundesteuer sowie der Parkgebühren – außer vor dem Rathaus – beschlossen. Die Mehreinnahmen aus dem Geldbeutel der Bürger sollen die Fabrik bei ihrem Aufbau unterstützen.
![Frank Wilke (rechts) - gespielt von Yona Dehoop - mahnt über die wahren Kosten der Ansiedlung.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/2ed323ce-ac23-4278-8724-0fa783296700.jpeg?rect=0%2C0%2C2666%2C4000&w=1024&auto=format)
Erste Zweifel werden laut. Frank Wilke (gespielt von Yona Dehoop) – parteiloser Stadtrat und langjähriger Freund des Bürgermeisters – meldet sich zu Wort und mahnt vor den wahren Kosten, die mit der Ansiedlung einhergehen. Er bleibt dabei noch im Ungefähren und wird vom Bürgermeister mit „Wir schaffen das“ zurechtgewiesen.
Es wird heiß in der Stadt
Wenig später erfährt das Publikum, was es mit den Andeutungen von Wilke auf sich hat. „Es geht um unser Wasser“, sagt der promovierte Biologe. Er hat gerade ein Buch über eine Flussmuschel im heimischen Gewässer veröffentlicht. Nun soll ein Gutachten über die „Fabrik und ihre Folgen“ erscheinen.
Was genau dieses zum Inhalt haben könnte, wird nicht gleich gesagt. Aber es wird gezeigt. Nach der Pause ist es heiß in Bad-Neustadt. 38 Grad. Die Einwohner ächzen unter den Temperaturen und unter dem Wassermangel.
![Die Frau und zwei Töchter des Bürgermeisters schauen in eine ungewisse Zukunft.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/f15c873a-98c4-455f-a966-0248f3fe2495.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2667&w=1024&auto=format)
Die private Entnahme musste gedrosselt werden, um die Abläufe in der Fabrik nicht zu gefährden. Maria Schlother (gespielt von Martha König), die Frau des Bürgermeisters, versucht, ihre geliebten Rosen zu retten. „Alles verdorrt, jeden Tag ein bisschen mehr.“ Schließlich muss sie resignieren. „Alles verendet, alles tot, tot.“
Für die Schüler fällt der Unterricht aus. Hitzefrei. Ein allgemeiner Durst breitet sich in der Bevölkerung aus. Es fühlt sich an, als hätte man Sand geschluckt. Eine Flasche Trinkwasser wird für 7 Euro verkauft.
Auftritt des Transparenzbeauftragten Smith der Fabrik, gespielt von Leon Junghans. Er fordert noch mehr Wasser, um die Produktion aufrecht zu halten. Der Bürgermeister stimmt zu. Es dürfe jetzt – so kurz vor dem Start – nicht alles den Bach runter gehen. Die Ansiedlung der Fabrik ist sein politisches Lebensprojekt. „Schlimmer ist, wenn es gar keinen Bach mehr gibt“, kontert Wilke.
![Es kommt zur Konfrontation zwischen dem Bürgermeister und dem Wissenschaftler.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/6659f84e-c796-4c1a-a727-6f6427790aa1.jpeg?rect=0%2C0%2C2667%2C4000&w=1024&auto=format)
Bei der Eröffnungsfeier kommt es zur Konfrontation – statt auf der Bühne geschieht dies mitten im Publikum. Das Gutachten zur Fabrik und ihren Folgen liegt inzwischen vor.
„Bad-Neustadt wird austrocknen“, klagt der Wissenschaftler. Doch das will keiner hören. Die Bürger schimpfen Wilke als „Verräter“ und treiben ihn fort. Die Fabrik hat Priorität. „Wir brauchen jetzt Kundschaft, jetzt Arbeit, jetzt Hoffnung“, heißt es.
Abend bleibt in Erinnerung
Also bleibt die Fabrik, doch der Durst der Bevölkerung wird immer schlimmer. Eine neue Filteranlage soll helfen, die das Wasser aus der Produktion neu aufbereitet. Der Bürgermeister trinkt davon und übergibt sich.
Dazu stimmt er einen bitterbösen Abgesang an, der nachhallt. Es ist eine Abwandlung vom „Lied der Partei“ aus DDR-Zeiten. Er singt: „Die Fabrik, die Fabrik, die hat immer recht.“ Was nutzen Tausende Arbeitsplätze, wenn die Bevölkerung dafür Durst leiden muss?
![Aus der anfänglichen Euphorie ist Verzweiflung geworden. Das Wasser fehlt, die Bevölkerung leidet.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/11/21d59273-377a-4f42-bda1-f806f96408f6.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2666&w=1024&auto=format)
Das neue Stück „Und sie träumten von der Sonne“ von der Theatergruppe „bühnenfrei“ (Regie hat die Leiterin Angela Mund geführt) zeigt die Schattenseite von technologischen Großansiedlungen.
Das Thema könnte kaum aktueller sein, gerade für Magdeburg. Bei aller politischen Brisanz wartet der Abend aber zugleich mit grotesk-komischen Szenen auf.
Für Zwischenapplaus sorgte etwa die Pantomime einer „Brandmauer“ oder der Tanz der Wirtschaftsbeigeordneten Liebeknecht (gespielt von Anja Kreft) mit dem Transparenzbeauftragten der Fabrik.
Auch dank der immensen Spiellaune des ehrenamtlichen Ensembles bleibt dieser Theaterabend lange in Erinnerung.
Weitere Termine geplant
Die nächsten Vorstellungen von „Und sie träumten von der Sonne“ sind am 1. und 2. März im Familien- und Jugendzentrum am Rennebogen 167.
Kartenreservierung und weitere Informationen unter buehnenfrei.de im Internet. Eintritt auf Spendenbasis.