Kirche Weihnacht in Magdeburg: Die Weihnachtsbotschaft von Domprediger Jörg Uhle-Wettler
Am Heiligen Abend finden sich in den Magdeburger Kirchen wieder besonders viele Elbestädter ein und lauschen den Weihnachtspredigten. Den größten Zuspruch gibt es im Dom. Die Volksstimme druckt traditionell die Predigt vorab ab.
Magdeburg - Seit zwei Jahrtausenden wird die Geburt des Kindes aus Bethlehem in der Welt bedacht und gefeiert. Jesus ist der erhoffte „Friedefürst“, wie wir es in der prophetischen Weissagung Jesajas hören. Sein Hoheitstitel wird sein Lebensprogramm. Frieden auf Erden ist möglich. Das lebt er vor. Gedanken des Friedens. Er ist weder bestechlich noch manipulierbar. Unser eigenes Leben, mit Bezug auf Jesus von Nazareth, sollte diese Friedensgedanken immer in unser eigenes Herz hineinlassen.
Die Weihnachtsbotschaft ist immer die Gleiche und doch immer wieder neu: Friede auf Erden und keine Furcht soll mehr sein! Es klingt so einfach und ist doch eine Wucht.
Derzeit kommt man sich vor wie der sprichwörtliche „Rufer in der Wüste“. Frieden scheint weit entfernt zu sein. Diese Stunde hier im Dom mit Domchor, dem Licht aus Bethlehem, biblischen Zeugnissen und unseren Gebeten soll das Fest im Herzen ankommen lassen. Alle Personen in der Weihnachtsgeschichte haben ihre eigenen Bedeutungen.
„Wer das Glück der Großen nicht teilt, teilt meist ihr Unglück.“
Augustus, der römische Kaiser, der die Steuererhöhungen durchzieht, weil die Staats- und Kriegskasse leer ist. Quirinius der Landpfleger, der die Vermögensschätzungen akribisch vornahm. Alle Grundstücke wurden neu bewertet. Natürlich immer zum Nachteil für die Besitzer. In den Kaiserannalen, der weltlichen Geschichtsschreibung, ist alles notiert. Es wird alles aufgeschrieben in Listen.
Maria und Josef ziehen mit einem Esel 150 Kilometer von Nazareth nach Bethlehem. Alle Entscheidungen der Großen bilden sich in den Biografien der Kleinen ab. Das weiß jeder Mensch, der eine Fluchtgeschichte in den Knochen hat. Wer das Glück der Großen nicht teilt, teilt meist ihr Unglück.
Die Hirten auf dem Felde, das Volk, das im Finsteren wandelt – und dann das große Licht. Klarheit und Wahrheit. Wie weit sind wir in diesem Jahr davon entfernt! Blendgranaten und Nebelbomben statt Klarheit und Wahrheit. Kriegsrhetorik und Waffengeschrei statt Friedensangebote und Aufbauverhandlungen.
Alle Zeiten, die den Menschen manipulieren, werden vergehen.
Gerade hier, wenn wir heute die Geburt eines Kindes und Gottesgeschenkes feiern, sei an den großen Erasmus von Rotterdam erinnert, der vor 500 Jahren an die Herrscher Europas schrieb:
„Wenn man nur die Erscheinung und Gestalt des menschlichen Körpers ansieht, merkt man denn nicht sofort, dass die Natur, oder vielmehr Gott, ein solches Wesen geschaffen hat? Ein jedes der anderen Wesen stattet sie mit eigenen Waffen aus, den Stier mit Hörnern, den Löwen mit Pranken, den Eber mit Stoßzähnen, andere mit Gift, wieder andere mit Schnelligkeit. Der Mensch aber ist nackt, zart, wehrlos und schwach. Er kommt auf die Welt und ist lange Zeit von fremder Hilfe abhängig. Nur durch Wimmern oder Weinen kann er nach Beistand rufen. Die Natur schenkte ihm freundliche Augen als Spiegel der Seele, biegsame Arme zur Umarmung, gab ihm die Empfindung eines Kusses, das Lachen als Ausdruck von Fröhlichkeit, Tränen als Symbol der Sanftmut und des Mitleides.“
Hier bei dem Kind in der Krippe werden wir an unser eigenes Menschsein erinnert. Bei dem Kind – und in unserer Beziehung zu diesem – liegt die Entscheidung für unser Leben. Mit Jesus ist ein Zeichen in der Welt, an dem sich Gedanken offenbaren und alles ans Licht kommt. Ja, alles.
„Im Wegducken und Weggucken sind wir Weltmeister.“
In der DDR gab es eine Hetzkampagne gegen meinen Großvater in Nordsachsen, nur weil er auf der Kanzel geäußert hat: Diese Zeit werde gleich der der Nazis vergehen. In seinem Tagebuch ist notiert: Man muss nur alt genug werden, um zu sehen, dass man Recht behalten hatte. Alle Zeiten, die den Menschen manipulieren und von seinem Menschsein entfremden, werden vergehen. Auch diese, auf reine Ausbeutung setzenden Zeiten, werden vergehen.
Wir müssen uns besinnen, dass jeder Mensch zur großen Menschheitsfamilie gehört, die neu zusammengebracht werden muss. Frei von Gier, Kriegen und Hetzkampagnen. Die eine Seite versteht den Lärm nicht mehr, die andere Seite kann diese Stille nicht ertragen.
Kein Krieg wird mehr auf einem Schlachtfeld entschieden. Entschieden wird nur an den Verhandlungstischen. Wie kommen wir aus der Verhöhnung in die Versöhnung? Kampagnen, Hetze, Kriegsgeschrei. Alles wird zur Bekenntnisfrage. Hetze gegen Andersdenkende wurde betrieben, etliche haben leider geschwiegen. Es wurde bedroht und angeklagt. Viele haben das bejaht.
Im Wegducken und Weggucken sind wir Weltmeister. Moralweltmeister. Besser: Doppelmoralweltmeister. Es gehört zum Pfarrberuf dazu, in seelische Abgründe zu schauen. Die selbst gezimmerten Lügengebäude fallen alle irgendwann zusammen.
Alle Menschen, die bei dem Kind an der Krippe waren, sind wieder in ihren Alltag zurückgekehrt. Hirten und Könige. Wir wissen von keinem, wie dessen Leben weiter verlaufen ist. Aber durch ihre Begegnung mit Jesus ist er ein Teil ihrer eigenen Biografie geworden und hat ihr Leben verändert.
„Vielleicht könnte im Mai wieder Frieden sein.“
Der Zimmermannssohn aus Nazareth hat den Weg aufgezeigt, den nur die Liebe ermöglicht. Sie bleibt, wie es Paulus, der diese Domkanzel auf der Schulter trägt, schrieb: langmütig und freundlich. Sie eifert nicht, sie treibt keinen Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu und freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit.
Das Neue Testament beschreibt unterschiedlichste Lebensläufe in den Jesusbegegnungen. Hauptmänner, gekrümmte Frauen, Trauernde, Feiernde, Vermögende und nichts Vermögende. Kinder, Menschen auf dem Sterbebett, Huren, Zöllner, Weinsäufer. Handwerker, Karrieristen. Gelehrte und einfach Strukturierte. Sie alle begegnen dem Menschensohn, dessen Geburt wir heute hier feiern. Und in den folgenden Jahrhunderten kamen Millionen von Menschen dazu, derer wir nachher in der Fürbitte gedenken. Es sind unsere Ahnen.
Jede und jeder von uns hatte und hat seine ganz eigene Wahrnehmung, wie er oder sie Jesus begegnen und für sich begreifen will. Eine Beziehung zu Jesus ist eine persönliche Angelegenheit, die niemand bewerten oder kommentieren soll. Sie ist eine persönliche Beziehung, die im Leben tragen kann und im Tode nicht aufhört. Kirchen sind in diesen Tagen Sprach- und Kostümverleihanstalten. Hier wird anders geredet, als man es draußen mitunter nicht mehr hören kann.
Ich muss in diesen Tagen oft an Friedrich Spee denken, er lebte von 1591 bis 1635. Ein Pfarrer, der sich gegen die Hexenprozesse wendete. Er verteidigte die Frauen mit roten Haaren. Die Welt war so verlogen und dazu noch im Krieg, dass er 1622 ein Adventslied schrieb: O Heiland, reiß die Himmel auf. Viele werden es in den Magdeburger Kirchengemeinden im Advent gesungen haben. Es steht in unseren Gesangbüchern unter der Nummer 7. Genau 400 Jahre ist das her. Der Krieg, von dem es nun heißt, dass es der Dreißigjährige Krieg war, währte im vierten Jahr. Mich wundert, dass die Politik jetzt schon vom nächsten Kriegswinter redet. Wir haben noch nicht mal diesen überstanden. Vielleicht könnte im Mai wieder Frieden sein?
„O Heiland, reiß die Himmel auf! O Sonn geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.“ Stärke die Mutigen, die Verhandlungen für Frieden. Die Weihnachtsbotschaft ist immer die Gleiche. Frieden auf Erden und keine Furcht soll mehr sein.
Zwei Hirten unterhielten sich, ein Junger und ein Alter. Der Junge fragt den Alten, warum es friedliebende Menschen gibt, die auf Versöhnung aus sind und warum es andererseits Menschen gibt, die so furchtbar aggressiv sind. Der Alte sagte, in jedem Menschen sind zwei Wölfe, die miteinander ringen. Einer ist gutmütig, großzügig, kompromissbereit und der andere Wolf ist bösartig, hinterhältig und auf Vernichtung aus. Beide Wölfe ringen immerzu miteinander. Und? – fragt der junge Hirte den alten Hirten. Wer gewinnt? Der, den du fütterst.
Wir müssen den Frieden in unser Herz lassen.
Wenigsten hier. Wenigstens an diesem Abend.
Diese Predigt hält Jörg Uhle-Wettler am 24. Dezeber 2022 um 16.30 und 18 Uhr im Magdeburger Dom. Erfahrungsgemäß herrscht großer Andrang. Decken und Sitzkissen sind empfehlenswert.